Seit diesem Jahr stehen zwei Antikörper zur ursächlichen Behandlung der frühen Alzheimer-Demenz zur Verfügung. Ursächlich bedeutet: Sie bauen aktiv Amyloid-Plaques ab. Das sind Eiweißablagerungen im Hirn, die bei der Entstehung der Krankheit eine zentrale Rolle spielen. Auf dem Europäischen Gesundheitskongress in München (EGKM) gingen Experten der Frage nach, was das für die Versorgungsstrukturen, für die Betroffenen selbst und ihre Angehörigen bedeutet. Denn klar ist auch: Eine Heilung ist die neue Therapie nicht.

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Die Alzheimer-Demenz behandelbar machen – die Suche nach einem Medikament hat beim forschenden Unternehmen Lilly vor 35 Jahren begonnen. Doch bis zur Zulassung verging eine halbe Ewigkeit – so groß waren die wissenschaftlichen Herausforderungen. Trotzdem werde man nun nicht zur Euphorie aufrufen, so Stephan Grävinghoff, Senior Director Key Account Management bei Lilly, wohl aber zu „gut begründetem Optimismus“. Denn eines ist jetzt schon klar: Diese Arzneimittelinnovationen verändern die Art und Weise, wie Menschen mit Morbus Alzheimer künftig medizinisch versorgt werden. „Wir müssen jetzt Erfahrungen sammeln, Daten generieren, Behandlungspfade etablieren, Erstattungsfragen klären: Insgesamt muss das System vorbereitet werden“ – damit diejenigen, die von dieser medizinischen Intervention profitieren könnten, auch profitieren können.

Für den Neurologen Professor Dr. Thomas Duning ist die Alzheimer-Erkrankung Alltag; 30-mal in der Woche stellt er mit seinen Kollegen in der Gedächtnisambulanz des Klinikverbundes Bremen eine Erstdiagnose. Er weiß: Die Erkrankung hat im Körper der Betroffenen schon Dekaden vorher begonnen. Deshalb ist die Herausforderung für das Gesundheitssystem schnell beschrieben: Wenn man bahnbrechende Arzneimittel entwickelt hat, die ihren größten Effekt im frühesten Stadium der Erkrankung haben, sollte die Diagnose nicht erst erfolgen, wenn die Menschen alltagsrelevante Einschränkungen haben.

Die Herausforderung: Alzheimer früh diagnostizieren

Zum Glück hat sich die Welt weitergedreht – der Arzt Alois Alzheimer, der die Erkrankung erstmals beschrieb – konnte sie erst nach dem Tode seiner Patienten bestimmen. Heute stehen Biomarker und – zumindest in den USA – Bluttests zur Verfügung. „Wir suchen fitte ab 65-Jährige mit leichten kognitiven Einschränkungen, wo der point of no return nicht überschritten ist“, so Duning. Diese Diagnostik ist aber bis heute nicht im Gesundheitssystem finanziert – auf die neuen Behandlungsmöglichkeiten muss es sich erst noch einstellen. Die in Deutschland gültige S3-Leitlinie, deren Qualität in Fachkreisen weltweit gerühmt wird, ist eindeutig: Demnach sollten bereits Patient:innen mit leichten kognitiven Einschränkungen auf die relevanten Biomarker getestet werden. „Dann kann ich die Alzheimer-Erkrankung diagnostizieren – nicht die Alzheimer-Demenz, sondern die Vorstufe.“ Warum das so wichtig ist? „Das Risiko, dass Sie bei leichten kognitiven Störungen mit positiven Biomarkern eine Demenz entwickeln, liegt bei 90 Prozent.“

Hier kommen die neuen Antikörper ins Spiel, die sich gegen die Plaques richten. Sie markieren die Ablagerungen, das Immunsystem erkennt sie „als fremd und räumt sie ab“, so Professor Duning. „Das funktioniert tatsächlich.“ Nebenwirkungen gibt es auch, „weil ich eine Entzündungsreaktion anstoße“ – das können unter anderem Hirnschwellungen und -blutungen sein. Insgesamt sagt der Neurologe aber: „Das sind Präparate, die gut vertragen werden.“ Trotzdem müsse man auf die Patient:innen aufpassen. Die Behandlung, so der Neurologe, ist aufwändig – und auch hier gilt: noch nicht im System refinanziert. Duning schätzt, dass die neue Therapie aktuell überhaupt nur für vier bis acht Prozent der Betroffenen in Frage kommt. „Das sind wenige Patienten. Das wird das Gesundheitssystem nicht überrollen.“ Der Grund dafür sind neben den systemischen Hürden auch die Tatsache, dass die Antikörper für viele Betroffene gar nicht zugelassen sind – Stichwort: Kontraindikationen.

Die Alzheimertherapie der Zukunft sieht für den Neurologen so aus: eine viel frühere, prä-symptomatische Diagnostik mit neuen, auch digitalen Tools, flankiert mit einer Kombinationstherapie aus symptomatischen und krankheitsmodifizierenden Medikamenten.

Die Alzheimer-Behandlung besser organisieren

Doch bis dahin muss noch viel passieren. Darauf machte Professor Dr. Timo Grimmer aufmerksam. Von einigen lokalen Netzwerken abgesehen, existieren keine etablierten Patienten-Pfade, die dafür sorgen, dass die Betroffenen zu den Spezialambulanzen finden und nicht „verzweifelt von Einem zum Nächsten laufen“, um Hilfe zu bekommen, so der Oberarzt an der Technischen Universität München. Dafür will er auch die Hausärzte stärker einbinden: Es gibt viel, was die tun könnten. Grimmer verweist auf die lange Liste von Faktoren, die in Sachen Demenz präventiv wirken, wie Bewegung, Normalgewicht oder eingestellter Blutdruck. „Wenn Sie einen Diabetes haben, dann erhöht sich ihr persönliches Risiko um 50 Prozent.“ In einer perfekten Welt könnten so 40 Prozent aller dementiellen Syndrome verhindert werden – eine Zahl, die in der Realität natürlich nie erreichbar sein wird, aber das Potenzial von Prävention zeigt. Die Realität beschreibt er so: „Es diagnostiziert kein Hausarzt eine leichte kognitive Störung.“

Jetzt, wo es krankheitsmodifizierende Medikamente gibt, ist das besonders dramatisch. Das Versprechen der neuen Arzneimittel ist: Sie sollen das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Das hat auch Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Belastung der pflegenden Angehörigen. Das zeigen entsprechende Untersuchungen. „Wenn wir Menschen mit einer Alzheimer-Erkrankung entdecken, die noch selbständig sind und im Alltag klarkommen, und ihnen dann eine Behandlung anbieten, die auf die Bremse tritt, dann gewinnen diese Menschen Zeit. Zeit, in der sie keine Hilfe brauchen.“ Die Effekte der Behandlung sind i.d.R. größer, wenn die Therapie so früh wie möglich begonnen wird. „Wir sind am Anfang einer Reise“, so Professor Grimmer, verschiedene neue Wirkstoffe seien bereits in der Entwicklung. „Vielleicht gelingt es uns dann, auch Alzheimer zu einer chronischen Erkrankung zu machen.“

Kosten von Alzheimer für die Kostenträger: 150-mal die Allianz-Arena

Die frühe Diagnose könnte auch aus finanziellen Gründen Sinn machen. Der Gesundheitsökonom PD. Dr. Dr. Bernhard Michalowsky vom Deutschen Zentrum für Neurogenerative Erkrankungen (DZNE) beziffert die Kosten der Erkrankung in diesem Jahr auf 45 Milliarden Euro allein für die Kranken- und Pflegekassen – tendenziell stark steigend: „Damit könnte man in jedem Jahr fünfmal den Berliner Flughafen bauen oder 150-mal die Allianz-Arena.“

Quelle: https://pharma-fakten.de