Saftiger Preisanstieg

Inflation und Energiepreise gehen durch die Decke. Doch wie reagieren andere Staaten? Wir berichten aus Argentinien und den skandinavischen Ländern.

Argentinien

Einstellige Inflationsraten sind in der argentinischen Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts eine Rarität. Die meisten Argentinier wären für eine aktuelle Inflationsrate von 7 Prozent wie in Deutschland vermutlich sehr dankbar. Die argentinische Wirtschaft ist ein rätselhafter Fall, der in kein eindeutiges Erklärungsmuster passt. In den letzten 100 Jahren glich die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts einem Bild enormer Herzrhythmusstörungen. Das Land war einst die Kornkammer der Welt, noch immer kann die Landwirtschaft das Zehnfache der eigenen Bevölkerung ernähren. Allerdings gehören neun Staatspleiten ebenfalls zur jüngeren Geschichte des Landes.

Wenn in Argentinien die Preise für das geliebte Grillfleisch steigen, ist schnell Schluss mit lustig. © Marlene Bitzer auf Pixabay.com

Im August 2022 beträgt die Inflation 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2021 lag Argentinien bereits mit 48,4 Prozent weltweit an sechster Stelle. Die hohe Inflation ist folglich definitiv nicht nur auf die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt zurückzuführen. Die Geschichte der Preisentwicklung in Argentinien war schon immer eine der Extreme. Betrachtet man die Zahlen zwischen 1980 und 2019 lag die durchschnittliche Inflation bei atemberaubenden 215,4 Prozent pro Jahr.

Wirtschaftskrisen, Staatspleiten, der Rückgang von Erspartem oder der reale Lohnverlust gehören zum Alltag. Kinder wissen bereits, was Inflation bedeutet und kennen die Wechselkursraten. Die Nachrichten berichten über den offiziellen Dollar und den Dollar blue (den inoffiziellen Kurs) täglich wie über das Wetter oder die Covid-Infektionszahlen. Denn sobald der Dollar blue steigt, wird alles sofort teurer – Brot, Benzin und das geliebte Asado, das Grillfleisch, das wie der Fußball zum kulturellen nationalen Heiligtum gehört. Aktuell ist der größte Geldschein – 1000 Argentinische Pesos – umgerechnet nur 3,44 Euro (oder 7,60 Euro nach offiziellem Kurs) wert. Eigentlich unvorstellbar.

Allein im Juli 2022 kam es zu enormen Schwankungen in den Preis- und Wechselkursraten. Der dramatische Abgang des Wirtschafts- und Finanzministers Martín Guzmán, der der Denkschule von Joseph Stiglitz entstammt, sorgte für politisches Chaos in der peronistischen Regierung. Vor dem Rücktritt gab es für 100 US-Dollar in den Wechselstuben noch 25 000 Argentinische Pesos, ein bis zwei Wochen danach waren es fast 34 000 Pesos. Nach dem Verschleiß einer weiteren Finanzministerin und dem Antritt des neuen Superministers, Sergio Massa, der bereits als zukünftiger Präsidentschaftskandidat gehypt wird und den „Märkten“ besser gefällt, bekommt man nun rund 29 000 Pesos für diese Summe.

Sogar Schülerinnen und Schüler investieren in Kryptowährungen

Folglich dreht sich in Argentinien alles um den US-Dollar und darum, irgendwie an diese Währung zu kommen. Der Schwarzmarkt blüht. Argentinische Pesos zu sparen ergibt keinen Sinn, weil die Inflation die Werte des Sparguthabens vernichtet. Not macht kreativ: Rabattangebote in Supermärkten werden intensiv studiert, Ratenzahlungen auch für kleine Summen genutzt, sogar Schülerinnen und Schüler investieren in Kryptowährungen. Das Gemüsebeet auf dem kleinen Stadtbalkon ist keine Ausnahme mehr und Tauschmärkte erleben nach der letzten großen Staatspleite von 2001 ein Revival.

Denn gleichzeitig frisst die Inflation Löhne und die staatlichen Sozialhilfen auf. Obwohl Tarifverträge monatlich angepasst werden, die Regierung Preiskontrollen auf bestimmte Lebensmittel eingeführt hat, den Mindestlohn immer wieder anhebt, zeitweise sogar den Rindfleischexport gestoppt hat, um die Preise im Land zu beruhigen, gewinnt die Inflation. Mehr als ein Drittel im einstmals reichen Argentinien lebt mittlerweile in Armut und ist auf Nachbarschafts-Netzwerke und Suppenküchen angewiesen. Für sie ist die aktuelle Inflationsentwicklung eine humanitäre Katastrophe.

Die Frage, wer an dieser Entwicklung Schuld hat, ist ein Dauerbrenner. In der aktuellen politischen Debatte gibt die politische Linke denjenigen die Schuld, die Milliardenkredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufnehmen und Argentinien von den internationalen Finanzinstitutionen des Globalen Nordens abhängig machen. Liberale und Konservative sehen im populistischen Peronismus die Ursache. Die rechts-libertäre Bewegung befindet, dass der aufgeblähte Staatsapparat (den wiederum die Peronisten verursacht haben) die Inflation antreibe.

Fakt ist jedenfalls, dass unter progressiveren und konservativeren, unter peronistischen wie nicht-peronistischen, unter zivilen sowie Militär-Regierungen die Inflation immer wieder galoppierte. Neben der Pandemie kommt seit März 2022 ein weiterer Faktor hinzu: Der internationale Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise infolge des Krieges in der Ukraine ist in der gesamten Region Lateinamerikas zu spüren und potenziert nochmals die bereits existierende Inflation Argentiniens.

Das Haushaltsdefizit wird mit Schulden oder Scheinen aus der Notenpresse finanziert. Der fehlende Konsens in der Politik und abrupte Richtungswechsel sorgen gleichzeitig für einen instabilen institutionellen und politischen Rahmen. Der Abstand zwischen inoffiziellem und offiziellem Dollar, der von der Zentralbank auf 130 Pesos festgesetzt wird, beträgt heute mehr als 100 Prozent, was zu allen möglichen makroökonomischen Verzerrungen im Import- und Exportgeschäft führt. Ein mit dem IWF vereinbartes Programm zur Refinanzierung des 44-Milliarden-Dollar-Kredits aus dem Jahr 2018 steckt Argentinien zusätzlich einen engen Rahmen.

Zu den derzeitigen Zielen gehören das Erreichen eines ausgeglichenen Haushalts bis 2024, eine eiserne Politik der Reservenbildung und eine Verringerung der Inflation. Alle Hoffnungen richten sich derzeit auf den neuen Wirtschaftsminister, der nun auch für das Finanz-, das Agrar- und das Energieressort zuständig ist. Er hat bereits verkündet, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, damit das Haushaltsdefizit 2,5 Prozent des BIP nicht überschreitet. Auch die Notenpresse soll gestoppt werden. Wenn er es schafft, bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen die Inflation allein auf 30 Prozent zurückzudrängen, ohne weitere Armut in der Bevölkerung zu verursachen, wird dies in Argentinien als Erfolg gewertet werden.

Svenja Blanke, FES Buenos Aires

 

Nordische Länder

Wenn Journalisten mit Passanten in der Fußgängerzone darüber rätseln, wie viel die Butter inzwischen kostet, lässt sich schlussfolgern: Der Preisanstieg ist im Alltag der nordischen Bürgerinnen und Bürger angekommen. Dies betrifft nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die Preise für Energie. Um die Haushalte von dieser Verteuerung zu entlasten, gibt es in den skandinavischen Staaten eine ganze Reihe von Werkzeugen.

Teilweise agieren die Staaten mit automatischen Ausgleichsmechanismen zur Kompensierung der Inflationswirkung. In Schweden existiert der sogenannte „Prisbasbelopp“, was sich ungefähr als „Preisbasisbetrag“ übersetzen lässt. Dieser wird vom Statistischen Zentralbüro Schwedens regelmäßig auf Grundlage eines Verbraucherpreisindexes berechnet und dient der Kontrolle von staatlichen Leistungen. Dazu zählen beispielsweise die Studienförderung, Garantierenten oder auch Steuerabzüge. Basierend auf der Veränderung des Preisbasisbetrags wird dann auch die Höhe der Leistungen angepasst. Die diesjährige Erhöhung des Betrags ist die stärkste seit 40 Jahren.

Aber nicht alle staatlichen Zuwendungen werden automatisch angepasst. Die Höhe des Kindergeldes steigt beispielsweise nicht mit der Inflation an. Die Schwedinnen und Schweden werden also ungleichmäßig entlastet. Auch Schweden hat verschiedene Ad-hoc-Maßnahmen beschlossen, beispielsweise Steuersenkungen. Entscheidend für die Frage, welche weiteren Hilfen es in Schweden geben wird, ist die Wahl im September und die sich anschließenden Haushaltsverhandlungen.

Beim Thema Reallohn gehen die Meinungen der Sozialpartner auseinander. Während die schwedische Wirtschaft davor warnt, die Inflation mittels Lohnerhöhungen zu kompensieren, befürchtet der schwedische Gewerkschaftsdachverband LO, dass die Reallöhne der Beschäftigten stark fallen könnten. Zusätzlich zur derzeitigen unsicheren Konjunktur laufen im kommenden Jahr zahlreiche Tarifverträge aus. Auch daher rechnet das staatliche Medlingsinstitutets, welches für Vermittlungen bei Tarifverhandlungen zuständig ist, mit besonders schwierigen Verhandlungen.

Norwegen ist als Öl- und Gasproduzent weitestgehend autark.

Aber gibt es im Norden auch Profiteure der Inflation? Als stabiler und demokratischer Staat ist Norwegen derzeit ein besonders wichtiger Öl- und Gaslieferant für die europäischen Staaten. Vom gestiegenen Marktpreis profitiert das Land beziehungsweise die (teil-)staatlichen Unternehmen in der Öl- und Gasbranche durchaus. Dennoch bedeutet das nicht, dass diese Preisentwicklung unmittelbar für Freude in norwegischen Haushalten sorgt. Als relativ kleine und offene Ökonomien sind die nordischen Staaten teilweise auch stark externen Effekten ausgesetzt.

Dies führt, neben verschiedenen innernorwegischen Gründen dazu, dass auch in Norwegen die Energiepreise für die Verbraucherinnen und Verbraucher stark gestiegen sind. Wichtig ist hierbei noch ein weiterer Aspekt: Das Land ist, wie beispielsweise auch Schweden, in verschiedene Strom-Regionen unterteilt, die ihren eigenen Strompreis haben. Diese weisen in den verschiedenen Landesteilen derzeit hohe Unterschiede auf, was wiederum für politische Spannungen sorgt. Die südlichen Teile des Landes erfahren derzeit Strompreise, die um ein Vielfaches höher sind, als die Preise im Norden des Landes.

Die mit den Energiepreisen eng verknüpfte Versorgungssicherheit ist im Vergleich zu Deutschland in keinem der Nordischen Länder derartig gefährdet. Norwegen ist als Öl- und Gasproduzent weitestgehend autark. In den übrigen Ländern hatte man nur sehr begrenzt auf die Lieferung fossiler Rohstoffe aus Russland gesetzt. Auch wenn, wie im Falle Finnlands, die Gasimporte vornehmlich aus Russland stammten, stellt Gas nur einen geringen Anteil am nationalen Energiemix.

Vielfach nutzen die Länder erneuerbare Energien oder Atomenergie. Im Mai und Juni stellte Russland bereits die Lieferung von Erdgas nach Finnland und Dänemark ein. Größere Versorgungsengpässe blieben aber bisher aus. Dennoch gaben Dänemark und Schweden Ende Juni eine Frühwarnung vor möglichen zukünftigen Engpässen aus. Um diese zu vermeiden, stehen aber Notfallpläne bereit und es werden derzeit weitere Möglichkeiten zur Substitution von Gas erarbeitet. Diese könnten in Dänemark noch besonders wichtig werden: Das Land plante ursprünglich im Jahr 2023 mit einer Wiederaufnahme der Gasförderung im großen Tyrafelt. Nach Angaben des betreibenden Unternehmens muss sich Dänemark nun jedoch darauf einstellen, dass die Förderung erst im Winter 2023/24 aufgenommen werden kann. Alternativen werden dringend gesucht.

Kristina Birke Daniels, FES Stockholm

 

 

Dr. Svenja Blanke ist Herausgeberin der Zeitschrift Nueva Sociedad und Leiterin des FES-Büros in Argentinien. Von 2014 bis 2019 war sie Leiterin des Referats Lateinamerika/Karibik der FES in Berlin.

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