Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Sylvain Prudhomme: Der Junge im Taxi (Unionsverlag)

Sylvain Prudhomme © Mathieu Zazzo

Der französische Autor greift eine Familiengeschichte auf. Ob es eine fiktive ist, erfährt der Leser zwar nicht, vermutet es aber, sonst wäre es ein Leichtes gewesen, sich für die zwei wichtigsten Personen Namen auszudenken statt sich auf die Initialen zu beschränken. Es sind Themen wie Verleugnen, Verschweigen und Geborgenheit, die den Ich-Erzähler umtreiben.

Luciano Malusci ist hochbetagt in seiner Heimat Südfrankreich gestorben. Er heiratete in Frankreich und lebte lange Zeit in Algerien. Die gesamte Großfamilie kommt zur Beerdigung zusammen, um das Familienoberhaupt in feuchtfröhlicher Runde zu betrauern. Nachdem Enkel Simon erfahren hat, dass es da in Deutschland ein uneheliches Kind gab, gräbt er geschockt wenig zielstrebig in der Vergangenheit. Dabei kommt ihm immer wieder die eigene Trennung von A. in die Quere, die er nicht verarbeitet und der Sippe noch nicht gestanden hat. Umso mehr befremdet ihn das Verhalten des Opas gegenüber seinem deutschen Sohn, denn er widmet sich seinerseits den eigenen Kindern mit viel Empathie, damit sie die Trennung verkraften.

Zunächst verweigern ihm die Zeitgenossen des Opas genauere Auskunft, was am Ende des Zweiten Weltkriegs am Bodensee passierte, als der Opa als Besatzungssoldat dort lebte. Die Witwe verbietet ihm sogar weitere Nachforschungen.

Dennoch recherchiert Simon im Internet nach dem verschwiegenen Verwandten, traut sich aber nicht nach Deutschland zu fahren. Erst von einem angeheirateten Onkel erfährt Simon Details der Vorgeschichte, die seine Spekulationen befeuern. Das Ende kommt unvermittelt zwischen Tür und Angel und lässt den Leser mit vielen offenen Fragen zurück.

Was Prudhomme damit bezweckt, dass er direkte Rede und Gedanken durchgehend ohne Anführungsstriche wiedergibt, mal unvermittelt kapitelweise die Absätze in Kleinschreibung beginnt, dann wieder nicht, und Satzzeichen spart, erschließt sich dem Leser nicht. Soll das beweisen, dass keine KI den Text verfasst hat?

UNIONSVERLAG
Hardcover
€ 22.00, FR 30.00, € [A] 22.70
Gebunden
192 Seiten
ISBN 978-3-293-00632-4