Politik: Melonis Maskerade
Im Ausland moderat, zu Hause Hardlinerin: Italiens Regierungschefin treibt gekonnt ihre rechte Agenda voran – ohne die Mehrheit im Land zu verprellen.
Als die italienische Regierung vor kurzem ein Gesetz verabschiedete, das Leihmutterschaften auch im Ausland mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen belegte, gab es einigen Aufruhr. Doch der Protest hielt nicht lange an. Die Maßnahme wurde natürlich von einigen progressiven Prominenten kritisiert: „Kann mir jemand erklären, warum das ein Verbrechen ist?“, fragte die Komikerin Luciana Littizzetto in der beliebten abendlichen Talkshow Che Tempo Che Fa („Wie ist das Wetter?“). Elly Schlein, die Vorsitzende der Demokratischen Partei, die sich in der linken Mitte verortet, nannte das Gesetz „scheußliche Propaganda auf dem Rücken von Kindern“. Italiens größte LGBTQ+-Organisation Arcigay bezeichnete es als „schwerwiegende Verweigerung individueller Rechte“ und kündigte Proteste an.
Doch am Tag nach dem Parlamentsbeschluss waren die Titelseiten der Zeitungen stattdessen voll mit Artikeln über die Haushaltskürzungen. Das Thema verschwand daraufhin weitgehend aus den Nachrichten und wurde nur noch in kleinen, progressiven Kreisen auf sozialen Medien diskutiert. Dies ist ein weiteres Beispiel für ein mittlerweile vertrautes Muster: Ein Beschluss der Regierung unter Italiens rechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sorgt bei den Linken für Empörung, findet auch in den Medien einigen Widerhall, entfacht jedoch keine breite gesellschaftliche Debatte. Das Gesetz wird verabschiedet, Melonis Zustimmungswerte bleiben hoch, und Italien rückt mit kaum mehr als einem Schulterzucken nach rechts.
Es ist bekannt, dass Meloni, deren politische Laufbahn im postfaschistischen Movimento Sociale Italiano begann, sich als Ministerpräsidentin eine erfolgreiche Doppelidentität aufgebaut hat: Im Ausland ist sie moderat, zuhause Hardlinerin. So demonstrierte ihre Regierung angesichts der russischen Invasion auf internationaler Bühne stets Unterstützung für die Ukraine und die NATO, obwohl Meloni selbst in der Vergangenheit durchaus lobende Worte für Wladimir Putin gefunden hatte.
Auch daheim musste Meloni Balanceakte vollführen, um ihre rechtskonservative Agenda durchzusetzen, ohne die Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen. Bis jetzt ist ihr das gelungen: In Italien, einem Land mit notorisch kurzlebigen Regierungen und Zustimmungsraten, wurde die Ministerpräsidentin zu einem ungewöhnlichen Stabilitätsanker. Die Faktencheck-Website Pagella Politica zeigte in einer vergleichenden Analyse von Meinungsumfragen seit 2008, dass die Zustimmungsraten ihrer Regierung zwar nicht überragend, aber seit ihrer Amtseinführung konstant geblieben sind – ein scharfer Kontrast zu den meisten Vorgängerkabinetten. Ihre Regierung zählt damit zwei Jahre nach der Wahl bereits zu den langlebigsten in der italienischen Geschichte.
Ihre Regierung zählt damit zwei Jahre nach der Wahl bereits zu den langlebigsten in der italienischen Geschichte.
Diese Beständigkeit verdankt sie nicht bloßem Glück oder Zufall. Meloni gelang es, sich den Rückhalt ihrer Fans zu sichern und zugleich die halbherzige Unterstützung einer breiteren, moderateren Wählerschaft zu erlangen, indem sie Maßnahmen erließ und Reden hielt, die rechts genug waren, um Erstere zufriedenzustellen und Letztere nicht zu verschrecken.
Dazu gehört in Italien auch das Verbot der Leihmutterschaft. In den USA sind sowohl uneigennützige als auch kommerzielle Formen der Leihmutterschaft weit verbreitet und genießen breite Unterstützung. In Italien hingegen galt Leihmutterschaft schon immer als Verbrechen. Das neue Gesetz geht nun noch einen Schritt weiter und stellt sie auch bei Inanspruchnahme im Ausland unter Strafe. Kommerzielle Leihmutterschaft, bei der die Leihmutter für das Austragen der Schwangerschaft bezahlt wird, ist in der gesamten EU verboten, und in Italien sprechen sich etwa 76 Prozent der Befragten dagegen aus. Manche italienische Linke betonen, Leihmutterschaft sei Ausbeutung, vor allem gegen Bezahlung, und Prominente, die sich dafür aussprechen, wägen ihre Worte sorgfältig ab. Auch Littizzetto äußerte sich nicht zustimmend: „Ich kenne bei einem solchen komplexen, riesigen, schwierigen Thema keine Gewissheiten“, sagte sie bei ihrem Auftritt in Che Tempo Che Fa.
Ähnlich wie mit dem Gesetz zur Leihmutterschaft plant Meloni nun, ein neues Sicherheitspaket zu verabschieden, das die Rechte von Demonstrierenden erheblich einschränken würde. Zudem hat sie ein Abkommen mit Albanien geschlossen, um Asylsuchende während der Prüfung ihrer Anträge dort unterzubringen – auch wenn ein Gerichtsbeschluss diesen Plan vorläufig gestoppt hat. Darüber hinaus hält sie den staatlichen Rundfunksender RAI fest unter Kontrolle.
All diese Maßnahmen sind zwar auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu verorten, aber nicht völlig außerhalb des italienischen Mainstreams. Nach Umfragen wünscht sich die überwiegende Mehrheit der Italienerinnen und Italiener eine stärkere Polizeipräsenz. Ein Meinungsbild von 2023 ergab, dass sich 64 Prozent der Bevölkerung für schärfere Grenzkontrollen aussprechen und 45 Prozent der Aussage, Einwanderer seien eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, voll und ganz zustimmen. Zudem sind die Italienerinnen und Italiener seit den Zeiten Silvio Berlusconis an politisch streng kontrollierte Medien gewöhnt.
Giorgia Meloni hat es allerdings auch sorgfältig vermieden, gesellschaftliche Themen anzugehen, die zu Spaltungen führen könnten, weil sie entweder zu ideologisch aufgeladen sind oder den Eindruck von Selbstüberschätzung erwecken könnten. So beschränkte sie sich beispielsweise bei der Abtreibungsfrage, die rund 80 Prozent der Italienerinnen und Italiener unterstützen, auf rein symbolische Aussagen.
Indem sie solche Fallstricke geschickt umging, konnte Meloni den Eindruck von Arroganz und Überheblichkeit vermeiden – eine Haltung, die schon so manchen italienischen Politiker zu Fall brachte. Ein Beispiel ist Matteo Renzi, Ministerpräsident von 2014 bis 2016, der seinen Verbleib im Amt an ein ehrgeiziges Verfassungsreferendum knüpfte, das der Exekutive mehr Macht verleihen sollte. Nach einer krachenden Niederlage musste er jedoch zurücktreten. Oder Matteo Salvini, Innenminister von 2018 bis 2019 in einer Koalition, in der er als beliebtester Politiker – wenn nicht sogar als inoffizieller Chef – galt. Salvini drängte auf vorgezogene Neuwahlen, scheiterte jedoch spektakulär und verlor an Einfluss, bevor er als Melonis Stellvertreter wieder auf der politischen Bühne erschien. Zweifellos wird auch Giorgia Meloni eines Tages zu weit gehen. Doch derzeit scheint sie genau zu wissen, was sie tut.
© The New York Times
Aus dem Englischen von Sabine Jainski
Anna Momigliano ist eine italienische Journalistin und Redakteurin des Magazins Studio. Sie schreibt unter anderem für die führende italienische Zeitung Il Corriere della Sera.
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