„Wo Fragen Pflicht sind: Die Geschichte der Bundespressekonferenz und ihr Saal in Bonn“
von Clemens Christian Makosch
„Ich begrüße den Regierungssprecher und die Sprecher der Ministerien zur …!“

So die Begrüßung durch das jeweiligen Vorstandmitglied der Bundespressekonferenz (BPK), bei der Eröffnung der Pressekonferenzen im Bonner Tulpenfeld. Markant der Saal mit der holzvertäfelte und meterhohe Palisanderwand. Seitlich die hohen Fenster. Einzigartig die wöchentlichen Pressekonferenzen, wobei die Pressesprecher der Bundesregierung montags, mittwochs und freitags regelmäßig den Hauptstadtjournalisten Rede und Antwort standen. Hier wurde Demokratiegeschichte geschrieben. Ein Ritual, das es vergleichbar in der Form bei anderen Demokratien nicht gibt. Grund genug für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die BPK zum 75. Geburtstag zu würdigte: „Die Bundespressekonferenz ist eine starke demokratische, ich würde sagen: eine unverzichtbare Institution. In der Bundespressekonferenz wurde Geschichte geschrieben: sie war die die Gastgeberin der ersten Pressekonferenzen des ersten Kanzlers der Bundesrepublik, Konrad Adenauer.“
„Wo Fragen Pflicht sind: Die Geschichte der Bundespressekonferenz und ihr Saal in Bonn“

Wenn ich an Orte denke, an denen Demokratie greifbar wird, dann denke ich nicht nur an Parlamente oder Wahlurnen. Ich denke an einen Raum mit schlichten Stühlen, einem nüchternen Podium und einer Atmosphäre, die von gespannter Aufmerksamkeit lebt – den Saal der Bundespressekonferenz in Bonn. Ein Ort, an dem Regierende den Fragen der Presse nicht ausweichen können, sondern sich ihnen stellen müssen. Ein Raum, der wie kaum ein anderer für politische Transparenz steht.
Die Geschichte der Bundespressekonferenz (BPK) beginnt 1949 – in einem Land, das sich gerade erst wieder aus Trümmern erhebt. Die Gründung war nicht etwa ein staatlicher Akt, sondern eine Initiative der Journalistinnen und Journalisten selbst. Das Besondere: Nicht die Regierung lädt zur Pressekonferenz ein – sondern die Presse. In der jungen Bundesrepublik war das ein revolutionärer Gedanke. In Bonn, der provisorischen Hauptstadt, bekam diese Idee einen festen Ort: den legendären Saal der Bundespressekonferenz im sogenannten Bundeshaus. Hier, unweit des Rheins, entwickelte sich ein Ritual, das bis heute einzigartig ist: Drei Mal pro Woche treten Regierungsvertreter vor die Hauptstadtpresse – eingeladen von Journalisten, nicht umgekehrt.
Der Saal: Bühne für Fragen
Der Bonner Saal war nüchtern, funktional – und doch hatte er eine Aura. Kein Prunk, keine Pompösität. Die Macht präsentierte sich hier sachlich, beinahe schmucklos. Was zählte, waren Worte und deren Wahrhaftigkeit. Die Kameraeinstellung war meist statisch, die Sprache formell, doch es ging zur Sache: Hartnäckige Fragen, Rückfragen, Ausweichmanöver, Klarstellungen. Politiker wussten: Hier gibt es kein Entkommen. Wer kam, musste Antworten liefern – und wer es nicht tat, wurde öffentlich bloßgestellt. Das machte die BPK zum moralischen Prüfstein politischer Kommunikation.

Wer einmal dort gesessen hat, sei es als fragende Journalistin oder als Zuhörerin, spürt sofort den Ernst dieses Ortes. Ich erinnere mich an die gedämpfte Stille vor Beginn – das Rascheln von Notizblöcken, das Klicken der Tonbandgeräte, das kurze Flackern der TV-Kameras beim Einschalten. Dann betreten die Sprecher den Raum, und mit einem Mal ist jede Geste, jedes Wort potenziell bedeutsam. Für viele Pressevertreter war der Bonner Saal auch ein Treffpunkt – informell, aber mit Gewicht. Nach der Sitzung wurde draußen auf dem Flur diskutiert, analysiert, manchmal auch gestritten. Der Saal war Bühne und Werkstatt zugleich.
Nicht nur Geschichte wurde hier in Bonn geschrieben sondern es gab auch zahlreiche Geschichten, Anekdoten zum Schmunzeln.
1993 wird der PLO-Chef Jassir Arafat, der einstige Bombenleger, von Helmut Kohl empfangen. Es war das erste offizielle Treffen des PLO-Chefs mit einem Kanzler. Bei dem Besuch in Bonn will sich Arafat der Bonner Presse Rede und Antwort stellen. Arafat trug immer einen Gürtel mit seiner Waffe, einer Pistole, die er in der Öffentlichkeit nie ablegte. Heinz Schweden (Rheinische Post) , damals Vorstandsmitglied der BPK, begrüßte Arafat vor dem Saal im 1. Stock und forderte Arafat auf, seine Waffe abzulegen. Mit Hilfe eines Dolmetschers machte Schweden klar, dass Waffen, egal welcher Art, vor der versammelten Presse nicht gern gesehen werde und nicht erlaubt sei. Nach anfänglichen Zögern legte Jassir Arafat seine Waffe ab, die in einem kleinen Raum rechts vom Eingang des Saals deponiert und von einem Leibwächter bewacht wurde.
Amüsant waren auch immer die Auftritte von Regierungssprecher Johnny Klein, der seine Anwesenheit gerne in die Länge zog. Beim Betreten des Saals und dem Gang durch die Reihen zum Podium blieb er hier und da stehen und tauschte Flapsigkeiten mit den Journalisten aus. Eines Tages kam es zu einer Begegnung der anderen Art. Hape Kerkeling enterte 1990 für die Sendung „TV Total“ den vollbesetzten Saal der Bundespressekonferenz, wo sich neben Regierungssprecher Hans „Johnny“ Klein auch alle Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien eingefunden hatten. Kerkeling war zuvor im Sekretariat der BPK angemeldet worden, kam also nicht ganz so überraschend. Kerkeling wollte unter anderem wissen: „Wo bleibt die Mark?“ Und: „Müssen wir Weihnachten den Gürtel enger schnallen?“ Dann ergänzend: „Warum wird hier eigentlich kein Gebäck gereicht?“ Regierungssprecher Johnny Klein konterte: „Das mit dem Gebäck habe ich mich schon lange gefragt. Ich wäre schon mit einem Kaffee zufrieden!“

Nach diesem Auftritt vor der BPK bekam Hape Kerkeling vom damaligen Vorstand Hausverbot. Dieses Hausverbot wurde aber 2024 vom derzeitigen Vorsitzenden der BPK, Mathis Feldhoff, aufgehoben.
Turnusmäßige Pressekonferenzen
Turnusmäßige steht eine BPK an. Leiten muss jeweils ein Vorstandsmitglied der BPK. Der Leiter der Pressekonferenz trägt in der Regel einen Anzug. Alfred Gertler (Korrespondent u.a. für Flensburger Tageblatt, ORB, Radio Bremen) und Vorstandsmitglied der BPK hat in jener Woche Dienst und muss die PK leiten. Doch er ist nicht in Bonn. Nach einem Anruf klärt sich, dass er sich auf dem FDP-Parteitag in Karlsruhe befindet. Aber auch die anderen Vorstandsmitglieder sind in Bonn nicht zu erreichen. Laut Satzung sollen nur Vorstandsmitglieder die Pks leiten. In ihrer Not trifft die Mitarbeiterin im Sekretariat der BPK, Roswitha Pörtner, den Kollegen Heinz Suhr (freier Journalist) auf dem Flur.
Heinz Suhr gehörte noch bis vor kurzem dem Vorstand an. An jenem Tag kam Heinz Suhr gerade aus seinem Garten und hatte entsprechend verschmutzte Schuhe, kein Jackett und auch keine Krawatte an. Roswitha überredete Heinz Suhr, doch die BPK ausnahmsweise zu leiten, weil sonst niemand da war. So geschah es dann auch.

Als Staatsgast kommt 1995 der Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, nach Bonn. Ein seltener Gast in der Hauptstadt am Rhein. Statt Einzelinterviews möchte der Dalai Lama vor der In- und ausländischen Presse im Saal im Tulpenfeld treten und den Journalisten Rede und Antwort stehen. Doch wie begrüßt man das Oberhaupt der Buddhisten? Heinz Schweden wendet sich an das Auswärtige Amt. Aber auch dort weiß man auf Anhieb nicht die richtige Anrede: „Sagen Sie doch einfach Seine Heiligkeit!“
Bundeskanzler Gerhard Schröder will zur Jahrespressekonferenz vor der Bundespressekonferenz auftreten. Der Andrang der Journalisten ist groß, bereits unten im Eingangbereich haben sich viele Kamerateams und Fotografen eingefunden. Um dem Pulk auszuweichen, wählt Schröder spontan die enge Außentreppe, um in den Saal zu kommen. Eine Wendeltreppe, die eigentlich nur für den Notfall gedacht war. Sie zu benutzen ist nicht ungefährlich, zumal sich die Saaltür nur nach außen öffnen läßt. Eine Mitarbeiterin aus dem Sekretariat der BPK zum Kanzler: „Sie müssen erst zurücktreten, Herr Bundeskanzler!“ Schröder und seine Personenschützer folgten der Aufforderung, um dann problemlos in den Saal zu kommen. Für Kameras und Fotografen ein besonderes Bild an diesem Tag.

Eine wichtige Person im Pressehaus im Tulpenfeld war Hausmeister Franzen. Er begrüßte in seinem Blaumann persönlich die „wirklich wichtigen Gäste“. Franzen stand immer unten am Eingang, besonders wenn Bundeskanzler Helmut Kohl zu seiner Jahrespressekonferenz kam.. Der Kanzler lief immer direkt auf Franzen zu: „Guten Morgen Herr Franzen, na wie geht’s?“ Dann wurden noch ein paar Sätze ausgetauscht. Für die TV-Berichte war das meistens das Einstiegsbild für den Beitrag später. Dann ging es im Sprint mit der Kamera die Treppenstufen hoch in den Saal. Kohl und andere Gäste nutzten immer den Fahrstuhl. Beim „Einlauf“ dann in den BPK-Saal hatte man ihn wieder vor der Linse. Damit hatte man genug Bildmaterial für den Einstiegstext und dem anschl. O-Ton. So die Erinnerungen vom Kameramann Rainer Kitz.
Besonders voll war es im Saal, wenn die „letzte“ Pressekonferenz vor der Sommerpause anstand. Dann durften die Bildberichterstatter schon mal vor den Granden auf dem Podium knien. In Zweierreihen saßen und knieten Fotografen und Kameraleute. Entsprechend fielen die Bemerkungen aus, so z.B. Helmut Schmidt: „Heute sind aber besonders viele Wegelagerer unterwegs.“ Oder Helmut Kohl: „Hier muss heute irgendwas ganz besonderes los sein.“
Vom Rhein an die Spree – und doch geblieben
Mit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin 1999 verließ auch die Bundespressekonferenz ihren traditionellen Saal in Bonn. Heute sitzt sie im modernen Pressehaus an der Schiffbauerdammstraße, mit Blick auf das Kanzleramt. Der Berliner Saal ist größer, technisch ausgefeilter – aber das Prinzip ist geblieben: Die Presse lädt ein, die Regierung antwortet. Und doch: Der Bonner Saal hat Geschichte geschrieben. Er war Zeuge von Regierungskrisen, historischen Wendepunkten, Rücktritten, Verteidigungen, Bekenntnissen. Und auch wenn er heute stiller geworden ist – er lebt weiter, als Symbol einer selbstbewussten vierten Gewalt.

Die Bundespressekonferenz ist mehr als ein Termin im Kalender der Hauptstadtpolitik. Sie ist gelebte Demokratie – unbequem, direkt, notwendig. Und ihr Bonner Saal war der erste Raum, in dem dieses Prinzip zum festen Ritual wurde. Ein Ort, der zeigt: Fragen zu stellen ist nicht nur erlaubt – es ist Pflicht.
Leider steht dieser geschichtsträchtige Saal einer interessierten Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung. Brandschutzauflagen machen es nicht möglich. Die Decke des Saals besteht überwiegend aus Styropor. Ist also leicht entflammbar. Dazu die Palisanderwand. Zu Bonner Zeiten war an jedem blauen Stuhl im Saal auch ein Aschenbecher angebracht. Die Stühle gibt es noch, die Aschenbecher nicht mehr, sie wurden demontiert. Regelmäßig werden die riesigen Fenster von außen geputzt. Nur von innen nicht wg. Brandschutz!
Die Bundesnetzagentur hat die Schlüsselgewalt über den Saal. Eigentümer ist aber eine Immo-Gesellschaft in Süddeutschland. Für eine Restaurierung fehlt derzeit das Geld. Nach Schätzungen muss man von einem Millionenbetrag ausgehen.
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