Nur noch Trümmer von einstigem Herrschaftswahn
Über Hitlers vergessenem Hauptquartier „Felsennest“ in der Eifel wachsen Bäume und Gestrüpp
Von Gisbert Kuhn
„Nur eine einz´ge Säule
zeugt von entschwund´ner Pracht.
Auch diese, halb geborsten,
kann stürzen über Nacht“.
(Ludwig Uhland: „Des Sängers Fluch“)
Rodert ist gewiss nicht der Mittelpunkt der Welt. Auch käme wohl kaum etwa jemand auf die Idee, den Flecken als das Herz Deutschlands zu bezeichnen. Rodert ist ganz einfach ein in 427 Meter ü. M. idyllisch gelegenes Eifelörtchen mit rund 450 Einwohnern, im 12. Jahrhundert erstmals erwähnt und seit 1969 Teil des nur ein paar Kilometer von hier entfernten Städtchens Bad Münstereifel. Rodert und seine Bürger haben aus eigenem Antrieb nie viel von sich her gemacht. Und das soll, wenn es nach ihnen geht, auch so bleiben. Denn auf fremde Besucher – neugierige zumal – legt man keinen Wert.
Für kurze Zeit Weltgeschichte
Für eine kurze Zeit, jedoch, ist von diesem Ort aus tatsächlich so etwas wie Weltgeschichte geschrieben worden. In Rodert ließ Adolf Hitler von Beginn des Krieges bis Mai 1940 das erste ortsfeste Hauptquartier bauen. Codename: „Felsennest“. Durchschnittlich 400 Arbeiter waren täglich bis zu zehn Stunden beschäftigt, mehr als 3000 Kubikmeter Beton zu verbauen, Baracken zu errichten, Kanal- und Fernmeldeleitungen zu verlegen. Die Gesamtzahl der Arbeitsstunden allein an diesem Platz belief sich auf rund 850 000 – bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von 70 Pfennig. Kriegsgefangene durften bei der Errichtung solcher Anlagen nicht eingesetzt werden; sie waren schließlich streng geheim.
Hier wurde am 10. Mai 1940 um 5:35 Uhr von Adolf Hitler „Fall Gelb“ ausgelöst – der später auch als „Westfeldzug“ bekannte deutsche Angriff auf die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Nordfrankreich. Die militärische Planung des Unternehmens war vom Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zuvor über Monate im Taunus ausgearbeitet worden. Dort hatte die für Infrastrukturmaßnahmen zuständige „Organisation Todt“ nach den Plänen von Hitlers Chefarchitekt Albert Speer in der Nähe von Usingen die zuvor requirierten Schlösser Kransberg und Ziegenberg aufwändig ausbauen und – mit dem Tarnnamen „Adlerhorst“ versehen – als Hauptquartier mit entsprechenden Schutzvorkehrungen versehen lassen. Doch der „Führer“ weigerte sich, dort einzuziehen. Erstens erschien ihm der Standort zu weit von der geplanten Westfront entfernt. Und zum anderen widersprachen die ehemals adligen Herrensitze dem von ihm selbst für das Volk und – nicht zuletzt – für die Nachwelt entworfenen Propagandabild eines asketischen Staatslenkers.
Wichtige Mittel der Propaganda
Deshalb sah er die „Führerhauptquartiere“ (insgesamt entstanden im Laufe der Kriegsjahre rund 20) nicht nur als Anlagen von militärischer Zweckmäßigkeit. Sie waren vielmehr zugleich wichtige Mittel der stets zuvorderst auf ihn zugeschnittenen Propaganda. Diese machte nicht umsonst den Begriff „Führerhauptquartier“ sozusagen zu seinem exklusiven Markenzeichen. Das galt, wenigstens zeitweilig, besonders für das „Felsennest“. Diese, tief in den Wäldern der Eifel versteckte, erste ortsfeste Kommandozentrale sollte auch nach dem – natürlich siegreichen – Krieg völlig unverändert erhalten und gepflegt werden. Als eine Art Wallfahrtsort für das dankbare Volk. Wie weit die Inszenierung des eigenen Ich bei Hitler ging, zeigt auch die Tatsache, dass er nachhaltig Wert auf eine räumliche Trennung „seines“ Hauptquartiers von dem der militärischen Führung legte. So musste, zum Beispiel, zusätzlich zum „Felsennest“, in etwa 4 Kilometer Luftlinie eine eigene Leit- und Befehlsstelle für das Oberkommando des Heeres (OKH) geschaffen werden. Diese entstand in dem an der von Bad Münstereifel nach Rheinbach führenden Landstraße 498 im heute noch vorhandenen Forsthaus Hülloch, wo während des Westfeldzugs Generaloberst Walter von Brauchitsch residierte und Ende 1944 im Rahmen der Ardennen-Offensive (Unternehmen „Wacht am Rhein“) Generalfeldmarschall Walter Model Quartier bezog.
Von Rheinbach her kommend, stechen dem aufmerksamen Besucher gerade hier, wenige Meter vor der Einfahrt zum (heute im Besitz des Haniel-Konzern befindlichen) Forsthaus Hülloch, direkt links und rechts der Straße wirr durch- und aufeinander liegende mächtige, mitunter mehrere Meter dicke Betonbrocken ins Auge – Reste der umfangreichen einstigen Bunkeranlage, die Anfang März 1945 von deutschen Pionieren gesprengt worden war. Die mit Eisen armierten Klötze, haben bisher sogar der Natur getrotzt, die sich im Laufe des vergangenen Dreiviertel-Jahrhunderts die größten Teile der damaligen Rodungen zurück eroberte. Mitten drin auf der Forsthaus-Seite hat in den Endtagen des Krieges ein Stützpfeiler den Sprengladungen standgehalten und ragt noch immer wie ein mahnender Finger an das mörderische Geschehen in die Höhe. Unwillkürlich drängen sich beim Betrachten dieses Bildes die Zeilen des Dichters Ludwig Uhland ins Gedächtnis: „Nur eine einz´ge Säule zeugt von entschwund´ner Pracht“ – wobei die letzten Worte besser zu ersetzen wären mit „entschwund´ner Macht“. Mit all ihren entsetzlichen Nebenwirkungen und Folgen.
28 „Führer“-Tage im „Felsennest“
Was ist geblieben von den in Beton gegossenen Weltmacht-Fantasien des „GröFaZ“ – des „Größten Feldherrn aller Zeiten“? Erzählen vielleicht eindrucksvolle Ruinen noch von den aufregenden und aufgeregten Tagen im „Felsennest“? Tatsächlich hat Hitler lediglich 28 Tage hier in Rodert zugebracht. Und nicht einmal die vollständig, weil er zwischendurch unter anderem einmal nach Bad Godesberg fahren musste, um aus den Händen des damaligen italienischen Botschafters Alfieri einen Brief Benito Mussolinis entgegenzunehmen, in dem der „Duce“ den Kriegseintritt Italiens ankündigte, der dann am 10 Juni 1940 erfolgte. Im kleinen Eifeldorf sieht man nicht gern Fremde, die sich nach Ruinen und anderen Überbleibseln des Hauptquartiers erkundigen. Die Leute fürchten weniger um ihre Ruhe als vielmehr etwaige „Wallfahrten“ von Besuchern, die möglicherweise Gesinnung und Bewunderung nationalsozialistischen Gedankenguts mit sich, oder gar vor sich her tragen.
Doch solche Reste von Pracht und Macht sucht man vergebens in Rodert. Wenn man Glück hat, weist – natürlich erst nach voran gegangener misstrauischer Befragung hinsichtlich Sinn und Zweck – ein Dorfbewohner den Weg zum Beispiel zum Badehaus der „Felsennest“-Besatzung. Es wird seit langem privat genutzt. Das gleiche gilt für das ehemalige „kleine Gästehaus“. Und oben, auf der Kuppe des Eselsberges (der früher tatsächlich Felsennest hieß), muss man sich mühsam den Weg durch Dornen, Unterholz und anderes Gestrüpp bahnen, um wenigstens einige wenige Brocken des einstigen Führerbunkers zu entdecken. Auch der wurde, wie praktisch alle militärischen Anlagen gegen Ende des Krieges in die Luft gejagt. Und nur wer genau sucht, wird ein paar Meter tiefer und unterhalb eines Forst- und Wanderweges die wenig eindrucksvollen Fundamente der ursprünglich einmal zu einer Flugabwehrstellung gehörenden Lagebaracke finden. Selbst die noch erhaltenen zwei kleinen Splitterschutz-Unterstände am Waldparkplatz weisen als eindrucksvollste Stücke bloß die Zentimeter dicken Eisentüren auf.
Nichts ist geblieben
Nein, von einstiger Größe samt ihrem Wahn, von militärischer Macht und Imponiergehabe mit Pracht ist nichts geblieben im Eifelwald bei Rodert. Von Weltherrschaftsträumen künden allein noch ein paar Brocken aus Gestein und Beton. Auch diese, schon halb geborsten, können stürzen und verschwinden über Nacht. Wie es der Dichter gesagt hat.
Titelfoto: gesprengte Bunkeranlage des Heeres-Oberkommandos bei Rodert
Schreibe einen Kommentar