Mit Wasserstoff in die saubere Zukunft?
Alle setzen plötzlich auf eine alte Technik / Experimentierfeld Island
Von Gisbert Kuhn

Bis vor kurzem sprach alle Welt vor allem vom Klima – und meinte nicht selten das Wetter. Dann schlängelte sich mehr und mehr der chemische Begriff Kohlendioxid (von Kundigen bereits als Co2 definiert) ins Zentrum der umwelt-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Dispute und stellte zumeist die traditionellen Verkehrsmittel zu Lande, zu Wasser und in der Luft als „Killermedien“ an den Pranger. Die Elektromobilität erschien plötzlich als ein Retter der Menschheit. Also saubere Energie aus der Steckdose, statt giftige Abgase aus den Auspuffs der Benzin- und Dieselmotoren. So langsam, freilich, sprach sich herum, dass der Strom ja schließlich zunächst irgendwo produziert werden muss, bevor er die Ladestation erreicht; also in Kraftwerken, die (umweltbelastend) mit Kohle, Gas oder Uranstäben beheizt werden. Und außerdem sollen die für E-Fahrzeuge notwendigen Batterien mit ökologischen Grundsätzen auch nicht ohne weiteres vereinbar sein…
Scheinbar eine ideale Lösung
Jetzt beherrscht mit einem Mal ein neuer Begriff die öffentlichen Diskussionen – H2O, übersetzt als Wasserstoff. Neu? Natürlich nicht. Wie viele Generationen von Schülern haben nicht atemlos im Chemieunterricht das so genannte Knallgas-Experiment verfolgt, wenn mithilfe der Elektrolyse simples Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten und dann – bums – zur Explosion gebracht wird. Als „Abfallprodukt“ setzt sich am Reagenzglas wieder Wasser ab. Eigentlich die ideale Lösung der drängendsten Fragen unserer Zeit – nämlich zum Einen den immer größer werdenden Hunger der Menschheit nach Energie zu befriedigen, ohne (andererseits) die Erde und ihre Bewohner durch die beim Verbrennen der fossilen „Kraftspender“ Kohle und Öl frei werdenden Abgase zu ersticken.
Soeben hat die Bundesregierung ein gewaltiges Forschungs- und Förderungsprogramm aufgelegt. Neun Milliarden Euro sollen im Rahmen einer „Nationalen Wasserstoff-Strategie“ während der nächsten Jahre in den Bau von H2O-Anlagen investiert werden. Dazu noch einmal mehr als 300 Millionen bis 2023 aus dem Klimafonds des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das Ziel, wie Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) es formuliert, ist: „Deutschland soll – sozusagen als globaler Vorreiter – langfristig Marktführer auf dem Gebiet der Wasserstoff-Technologien werden“. „Grüner“ Wasserstoff, so die Parole, werde das „Erdöl der Zukunft“.
Der Zukunftszug rollt bereits

Große Worte und, ohne Zweifel, hehre Absichten. Doch das Hochtechnologieland Deutschland wird sich beeilen müssen, will es auf diesem Weg in die Zukunft wirklich die Spitze einnehmen und nicht am Ende landen. Andere Länder mit (wieder einmal) Japan voran sind längst schon auf diesem Gebiet zugange. Denn: Neu im Sinne des Wortes ist die technische Kombination von Wasserstoff und Brennstoffzelle als „Treibmittel“ nun wirklich nicht. Bereits 1839 hatte der wallisische Naturwissenschaftler Sir William Robert Grove den ersten funktionierenden Prototyp einer Brennstoffzelle entwickelt. Vielleicht erinnert sich ja auch noch jemand des Romans „Die geheimnisvolle Insel“ von Jules Verne, in dem der futuristische französische Schriftsteller 1874 – weit vorausschauend – geschrieben hatte: „Wasserstoff und Sauerstoff werden für sich oder zusammen zu einer unerschöpflichen Quelle von Wärme und Licht werden; und zwar von einer Intensität, die Kohle überhaupt nicht haben könnte. Das Wasser ist die Kohle der Zukunft“. Welch ein Prophet!
Das ist keineswegs etwa bloß graue Theorie. Schließlich verfügt aktuell die Bundesmarine mit der Klasse 212 A über die weltweit ersten mit Wasserstoff und Brennstoffzellen angetriebenen U-Boote, die zudem von der Außenluft unabhängig sind. Seit Jahren experimentieren, darüber hinaus, praktisch sämtliche großen Autohersteller mit den umweltfreundlichen Wasserstoff/Brennstoffzellen-Motoren. Damit erfreuen sie sich (in der Regel während der nachrichtenarmen Sommerzeit) eines jährlich wiederkehrenden Lobs der Brüsseler EU-Kommission und der kurzzeitigen Aufmerksamkeit der Medien-Redaktionen.
Das ist es dann zumeist aber auch. Denn die so überzeugend einfach erscheinende energiepolitische und automobile Ideallösung für die Zukunft hat einen Haken. Die Herstellung von Wasserstoff in großen, als globaler Benzin- und Dieselersatz ja sogar riesigen Mengen ist außerordentlich teuer – jedenfalls dann, wenn die Produktionsbedingungen selbst nicht umweltbedrohend sein sollen. Ganz zu schweigen von den ebenfalls noch ungelösten Transportproblemen.
Island, die Experimentierinsel
Um Wasserstoff zu gewinnen (mithin Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufzuspalten) muss zunächst einmal viel „Primär“-Energie eingesetzt werden; traditionell also in erster Linie Kohle, Öl oder Gas mit dem entsprechenden Ausstoß von Kohlendioxid. Und das zweite Dilemma: Lagerung und Transport (flüssig oder gasförmig?) in gigantischen Mengen und das auch noch rund um den Globus. Freilich gibt es bereits seit geraumer Zeit ein sehr emsiges Experimentierfeld. In Island, der Insel weit draußen im Nordatlantik, sind die Energieprobleme der hoch entwickelten Industriestaaten überhaupt kein Thema. Fernwärme, Heißwasser-Gewinnung, Stromversorgung? Seit Jahren schon sind die rund 300 000 Nachfolger der Wikinger auf diesen Gebieten total unabhängig von fossilen Energieträgern. Kein Wunder, wenn man in den weiten, schwarzen Lavafeldern nahezu überall weiße Dämpfe aufsteigen und Geysire kochende Wasserfontänen aus der Erde spucken sieht. Die Insulaner haben hier geradezu ein Luxusproblem. Sie besitzen über Wasserkraft und Erdwärme weit mehr Energie als sie überhaupt jemals verbrauchen können. Aber dennoch – um den öffentlichen und privaten Verkehr aufrecht zu erhalten und (fast noch bedeutender) die für sie lebenswichtige Fischfangflotte zu betreiben, müssen gegenwärtig halt doch noch immer Öl, Benzin und Diesel eingeführt werden.

Damit soll jedoch spätestens in weniger als einem halben Jahrhundert Schluss sein. Und zwar mit Hilfe von Wasserstoff und der wieder entdeckten Kraftmaschine Brennstoffzelle. 1998 hatte die damalige Regierung in Reykjavik (mit oppositioneller Unterstützung) dies feierlich zu ihrem politischen Kernprogramm erhoben. Um dieses Ziel zu erreichen, boten die Isländer ihre Vulkaninsel einschließlich sämtlicher natürlichen Energiequellen allen Interessierten sozusagen als „Experimentier- und Forschungsfeld“ an. Treibende Kraft und international gesuchter Gesprächspartner war dabei Bragi Arnason, in Fachkreisen berühmt als „Professor Wasserstoff“.
Professor Wasserstoff
Der 2017 mit 82 Jahren verstorbene Wissenschaftler hatte sich, nach Abschluss seines Chemiestudiums 1961 an der Technischen Hochschule München, geradezu verbissen in die Suche nach neuen Energieträgern. Wobei er schon frühzeitig davon überzeugt war, dass nur im Wasserstoff die Lösung liege. Dass man ihn lange als Sonderling abstempelte, ließ den untersetzten, weißhaarigen Wissenschaftler kalt. Am Ende seines Lebens hatte er vermutlich nicht nur seine Landsleute davon überzeugt, dass ihre Insel auf jeden Fall die erste (aber gewiss nicht letzte) Region der Erde sein werde, die in absehbarer Zeit keinerlei fossile Brennstoffe mehr brauche.
Freilich sah Arnason im Wasserstoff auf Dauer auch nur als eine energiepolitische „Brücke“. Die wirkliche Zukunft erblickte er in der Nutzung von Sonnenenergie. Im Vergleich dazu werde – im weltgeschichtlichen Maßstab – die „fossile“ Zeit nur ein „Wimpernschlag“ sein. Es sind, im Übrigen, ja auch jetzt schon die erneuerbaren Energien Wasser, Wind und – vor allem – Sonne nötig, wenn der Hoffnungs- und Heilsträger Wasserstoff tatsächlich „grün“, also umweltfreundlich, erzeugt werden soll. Für den deutschen Umweltminister Gerd Müller (CSU) wäre, in diesem Zusammenhang, der afrikanische Kontinent mit seinen heißen Wüsten- und Tropenregionen die ideale Produktionsstätte. Das ist, theoretisch, leicht nachzuvollziehen. Indes: Solange dort politische Stabilitäten fehlen, werden mit Sicherheit sowohl private wie staatliche Investoren ausbleiben.

Zurück zur Experimentierinsel Island. Die große Shell-Tankanlage am östlichen Stadtrand der Hauptstadt Reykjavik unterscheidet sich von anderen Stationen allenfalls durch ihr räumliches Ausmaß. Höchstens der leichte Pfeifton nach dem Aufsetzen des Stutzens auf die Tanköffnung des blauen Opel „Zafira“ lässt aufhorchen. Hier wird nämlich nicht Benzin oder Diesel gebunkert, sondern unter hohem Druck Wasserstoff in den Tank der Familienkutsche gepresst. Ob General Motors, Mercedes-Benz, BMW, Volkswagen oder die japanischen und südkoreanischen Giganten – hier oben im Nordatlantik treffen sich die Anstrengungen praktisch sämtlicher Autobauer mit ihren „Feldversuchen“ unter ebenso realistischen wie idealen Bedingungen. Der Stuttgarter Konzern mit dem Stern gliederte sogar für mehrere Jahre drei Wasserstoff-Omnibusse in den regulären isländischen Liniendienst ein.
Technisch alles überhaupt kein Problem mehr. Ist die Welt also auf dem Weg in eine neue, saubere, der Umwelt freundlich gesinnte und zugleich der Menschheit nützliche energiepolitische Zukunft? Wer in seine Hoffnungen und Überlegungen freilich die Größenordnungen einbezieht, die für einen wirklich umfassenden Wechsel zum Energieträger Wasserstoff erforderlich wären, kann ernsthafte Zweifel kaum unterdrücken. Damit wäre er allerdings bei „Professor Wasserstoff“ an den Unrechten geraten. Es werde, pflegte Bragi Arnason Zweiflern und Kleinmütigen wieder und wieder zu predigen, „keine Ewigkeit mehr dauern, dann wird die Menschheit sehen, dass die Ära mit fossilen Brennstoffen nur einen Wimpernschlag der Geschichte dauerte“.
Titelfoto: Der Opel “ Zafira“ wird an der Wasserstofftankstelle in Reykjavik mit hohem Druck betankt.
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