Medizin: Wie Impfungen die Welt verändern
Die Entwicklung eines ersten Impfstoffs liegt 228 Jahre zurück. Seitdem ist viel passiert: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verhindern Immunisierungen jedes Jahr bis zu 5 Millionen Todesfälle durch Erkrankungen wie Tetanus, Grippe oder Masern. Und: Vakzine können heute sogar vor Krebs schützen. Anlässlich der „World Immunization Week“ weist die WHO darauf hin, dass mehr Kinder denn je die Chance haben, zu leben und sich zu entfalten.
„Seit Jahrhunderten suchen Menschen nach Möglichkeiten, sich vor tödlichen Krankheiten zu schützen“, schreibt die WHO in ihrer „brief history of vaccines“. Von anfänglichen Experimenten, über erste Vakzine, bis hin zu einer Impfkampagne gegen eine weltumspannende Pandemie: „Die Geschichte der Immunisierung reicht weit zurück.“ Tatsache: Schon mindestens ab dem 15. Jahrhundert begannen Menschen damit, Krankheiten verhindern zu wollen, indem sie sich bei voller Gesundheit einer geringen Menge an Pockenviren aussetzten. Laut manchen Quellen geht dieses Vorgehen sogar auf das Jahr 200 vor unserer Zeitrechnung zurück. Das Unterfangen war riskant: Schließlich sind die Menschenpocken, die heute weltweit ausgerottet sind, lebensbedrohlich.
Der Mai 1796 markierte daher einen Durchbruch: Der britische Arzt Dr. Edward Jenner entwickelte die erste Impfung. Über eine Arm-Wunde infizierte er den 8-jährigen James Phipps mit Kuhpockeneiter. Für einige Tage fühlte sich der Junge unwohl – doch die Kuhpocken sind für Menschen ungefährlich. Im Juli desselben Jahres dann das Wagnis: Dr. Jenner rieb dem Kind – erneut über eine Wunde am Arm – das infektiöse Sekret einer an Menschenpocken erkrankten Person ein. Das Ergebnis: Phipps blieb gesund – er war der erste geimpfte Mensch.
Der Begriff „Vakzin“ wurde erst später geprägt; er stammt vom lateinischen Wort für Kuh – vacca – ab.
Immunisierung: Kindersterblichkeit senken
Vor allem das 20. Jahrhundert war geprägt von großen Fortschritten: darunter eine 1938 zugelassene Impfung gegen Gelbfieber, ein erstes Vakzin gegen Influenza (1945/46) und Polio (1955) sowie die Entwicklung eines Hepatitis B-Impfstoffs (1969). 1971 kombinierte der US-amerikanische Mediziner Dr. Maurice Hilleman die Vakzine gegen Masern (1963), Mumps (1967) und Röteln (1969) in einem einzigen MMR-Impfstoff. Ein besonderes Jahr war 1980: Die WHO erklärte die Pocken – nach intensiven, weltweiten Immunisierungskampagnen – als erste Krankheit überhaupt für ausgerottet (s. Pharma Fakten). Allein im 20. Jahrhundert hatte das Virus noch mindestens 300 Millionen Menschen das Leben gekostet.
Laut der Plattform „Our World in Data“ galt in der Geschichte der Menschheit lange Zeit: Rund 50 Prozent aller Kinder starben – unabhängig von ihrem Geburtsort. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die Kindersterblichkeit hoch: 1950 verlor 1 von 4 Jungen und Mädchen weltweit das Leben. Und heute? Heute liegt die Kindersterblichkeit bei 4 Prozent. Impfstoffe haben ihren Teil dazu beigetragen – neben anderen Faktoren wie ein besserer Zugang zu sanitären Anlagen, Gesundheitsversorgung, Bildung oder Fortschritte im Kampf gegen Hungersnöte.
Trotzdem bleibt viel zu tun: Noch immer sterben pro Tag 16.000 Kinder weltweit, bevor sie 15 Jahre alt werden. Noch immer erkranken Menschen an Polio („Kinderlähmung) – eine potenziell tödliche Krankheit, für die alle Instrumente verfügbar und alle Voraussetzungen gegeben sind, um sie weltweit ausrotten zu können (s. Pharma Fakten). Noch immer leiden zu viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene an Krankheiten wie Masern und ihren Spätfolgen, obwohl Vakzine viele Fälle verhindern könnten – auch in Deutschland. Zahlreiche Kinder weltweit haben in Folge der COVID-19-Pandemie wichtige Routine-Impfungen nicht erhalten – nur langsam gelingt es, diese entstandenen Lücken wettzumachen.
Impfen: Für mehr Gesundheit, Innovation, Wohlstand
Mit der Welt-Impf-Woche (24.-30.4.) feiert die WHO 2024 einen besonderen Meilenstein: Vor 50 Jahren – 1974 – wurde ein Programm ins Leben gerufen, das heute den Namen „Expanded Programme on Immunization“ (EPI) trägt. Diese Initiative ist Sinnbild für das globale Unterfangen, allen Kindern – unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrem sozioökonomischen Status – einen „gleichberechtigten Zugang zu lebensrettenden Impfstoffen“ ermöglichen zu wollen. Anfangs standen 6 sogenannte „Kinderkrankheiten“ im Fokus des EPI: Tuberkulose, Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio und Masern. Heute umfasst das Programm 13 Impfstoffe, die über den gesamten Lebenszyklus verteilt allen Menschen weltweit empfohlen werden – sowie 17 weitere Vakzine, die unter bestimmten Voraussetzungen zum Einsatz kommen. Von Rotavirus, über COVID-19 bis Humanes Papillomavirus (HPV): Impfungen haben großes Potenzial – sie können Menschen vor Krankheit, Komplikationen, Tod bewahren, Pandemien eindämmen oder vor Krebs (etwa in Folge einer HPV-Infektion) schützen.
„Wir wissen, dass die Immunisierung von unglaublich großem Nutzen für unsere Gesellschaften sein kann. Aber Tatsache ist, dass wir ihr Potenzial momentan nicht voll ausschöpfen“, sagt Sibilia Quilici, Geschäftsführerin von „Vaccines Europe“ als Stimme von in Europa tätigen Impfstoffunternehmen. Die Firmen haben im vergangenen Jahr ein „Manifest“ veröffentlicht, in dem sie vor der anstehenden EU-Wahl die Politiker:innen dazu auffordern, eine Strategie zu implementieren, um Menschen aller Altersgruppen künftig besser vor impfpräventablen Erkrankungen zu schützen. Dabei geht es um mehr als „nur“ Gesundheit: Es geht auch um den Forschungsstandort, um die Wirtschaft, den künftigen Wohlstand (s. Pharma Fakten). „Jeder Euro, der in Erwachsenen-Impfungen (ab 50 Jahren) investiert wird, ergibt Einnahmen in Höhe von 4 Euro, die im Laufe des restlichen Lebens der Betroffenen erwirtschaftet werden“, heißt es im Manifest mit Blick auf die EU. Menschen, die weniger krank werden, können mehr arbeiten, sich gesellschaftlich engagieren – und sie belasten weniger die Sozial- und Gesundheitssysteme.
Auch aus diesem Grund ist „auf dem Erreichten ausruhen“ nicht das Gebot der Stunde. In den Pipelines der Vaccines-Europe-Firmen befinden sich 103 Impfstoffkandidaten – 42 Prozent davon richten sich gegen Krankheiten, für die es bisher keine Vakzine gibt.
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