Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Nur weniger ist mehr
Sie sind Nummer 1: Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen ganz oben auf der Liste der todbringenden Krankheiten. Allein in Deutschland leiden rund 11 Millionen Menschen daran. Durch gezielte Gesundheitsprogramme ließen sich hierzulande rund 25.000 Todesfälle pro Jahr vermeiden. Und sehr viel Geld sparen.
Über Finanzminister, die sich für Investitionen in Gesundheitsprogramme interessieren, ist wenig bekannt. Das sollten sie aber – zumindest, wenn sie an nachhaltigen Haushalten interessiert sind. Allein Herz-Kreislauf-Erkrankungen kosten die EU-Staaten jährlich 282 Milliarden Euro – darin enthalten sind die Ausgaben der Gesundheitssysteme, Produktivitätsverluste und die Kosten, die durch informelle Pflege von Angehörigen entstehen. Viele Milliarden ließen sich einsparen, wenn konsequent in die Prävention und Früherkennung investiert werden würde; unter anderem, weil 65 Prozent der Todesfälle in der Gruppe der arbeitenden Bevölkerung anfallen. Das zeigt eine Untersuchung der London School of Economics and Political Science (LSE), die zusammen mit dem europäischen Pharmaverband EFPIA herausgegeben wurde. Die Ergebnisse wurden auf einer virtuellen Panel-Diskussion vorgestellt.
Die Wissenschaftler haben sich die Daten aus 7 Ländern angeschaut: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien. Und dann simuliert, was geschehen würde, wenn die 4 wichtigsten Risikofaktoren (Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Diabetes, Rauchen) besser überwacht, kontrolliert und eingestellt würden. Für Deutschland hat die LSE folgende Daten ermittelt (s. Grafik): Herz-Kreislauf-Erkrankungen kosten das Gesundheitssystem 44 Milliarden Euro; die gesamtgesellschaftlichen Kosten summieren sich auf 83 Milliarden Euro. Würden die erwähnten Risikofaktoren besser gemanagt, könnten hierzulande 25.333 Todesfälle vermieden werden.
Herzinfarkt & Co.: Die wesentlichen Risikofaktoren sind bekannt
In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel geschafft: „Wir haben bei der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutliche Fortschritte erreicht“, sagt Professor Panos Kanavos, Mitautor des LSE-Berichts. „Aber jetzt sehen wir Stillstand oder sogar wieder einen Anstieg.“ Dazu dürfte die Alterung der europäischen Gesellschaften und die Zunahme etwa von Diabetes und Adipositas beitragen.
Die wesentlichen Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall sind bekannt:
- Bluthochdruck: Eine Reduktion des systolischen Drucks um 5mmHG kann das Risiko schwerer Herz-Kreislauf-Ereignisse um 10 Prozent mindern.
- Hyperlipidämie: Gelingt es, das LDL–Cholesterin um 1 mmol/L zurückzufahren, kann das die Sterblichkeit um 10 Prozent verringern.
- Diabetes: Menschen mit dieser Erkrankung haben ein besonders hohes Risiko für Krisen im Herz-Kreislauf-System.
- Rauchen: Menschen, die jünger als 50 Jahre sind und rauchen, haben ein 5-fach erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.
Doch die Untersuchung zeigt auch, dass wesentliche Therapieziele verfehlt werden. In der Stärkung der Sekundärprävention sieht der Wissenschaftler einen wesentlichen Hebel, um die Krankheitslast zu verringern. Dazu müssten in den Ländern die Überwachung (Surveillance) verbessert, die Prävention ausgebaut und das Management der Erkrankungen auf ein höheres Level gebracht werden. Im Wesentlichen fordern die Wissenschaftler:
- Regelmäßige Gesundheitschecks rund um Diabetes und Herzgesundheit
- Entwicklung eines EU-weiten Gesundheitsplans und Implementierung solcher Pläne durch die Mitgliedsstaaten
- Standardisierte, verbindliche Therapie-Leitlinien, um Menschen mit Bluthochdruck und zu hohem Cholesterin besser einzustellen
- Nutzung von Gesundheitsdaten, um die Maßnahmen bewerten und ihren Kosten-Nutzen-Effekt berechnen zu können
- Anreize setzen, um die Menschen dabei zu unterstützen, ihre Gesundheitsziele zu erreichen.
Die Politik ist gefragt – da waren sich alle einig. „Jeden Tag sterben in der EU 5.000 Menschen als Folge einer Herz-Kreislauf-Erkrankung“, sagt Haseeb Ahmad, Europa-Chef des forschenden Pharmaunternehmens Novartis. Er registriert einen wachsenden Willen der politischen Entscheidungsträger, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. „Eigentlich ist es ganz einfach: Es geht hier lediglich darum, wissenschaftliche Evidenz in die Praxis umzusetzen.“ Die größten Hebel sieht der Manager in der Umsetzung von Sekundärpräventionsprogrammen und Screenings, um die Betroffenen zu identifizieren und besser behandeln zu können.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Mehr Prävention nötig
Professor Kanavos ergänzte: „Es ist eine große Herausforderung, aber es ist machbar.“ Doch: „Gesundheitssysteme investieren nicht mehr als 4 oder 5 Prozent ihrer Ausgaben in Prävention. Wir müssen Ressourcen von der Behandlung in Richtung Vorbeugung umswitchen.“ Die LSE-Berechnungen haben ergeben, dass in den kommenden 10 Jahren in der EU 1,2 Millionen tödliche Herzinfarkte und Schlaganfälle vermieden werden könnten, wenn 70 Prozent der Zielgruppe ihre Risikofaktoren besser managen würden. „Das ist eine konservative Schätzung.“
Aber es war auch ein Elefant im virtuellen Raum, wie er feststellte. „Das ist ganz offensichtlich mangelnde Gesundheitskompetenz.“ Deshalb müsse durch Kampagnen besser und mehr aufgeklärt werden – damit die Menschen ihre Krankheitsrisiken auch besser selbst erkennen und entsprechend handeln können.
In seinen „Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV) hat Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach ein Gesetzvorhaben zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen angekündigt. „Bis zu 80 Prozent der Fälle sind auf größtenteils vermeidbare Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Diabetes, Adipositas, Nikotinkonsum, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährungsgewohnheiten zurückzuführen“, heißt es da. Die Stärkung der Früherkennung und frühzeitige Behandlung könne „zu einer nachhaltigen finanziellen Entlastung der GKV führen.“ Und der Wirtschaft, wie das LSE-Projekt zeigt.
Vielleicht sollte er sich einmal mit dem Bundesfinanzminister zusammensetzen. In einem alternden Europa ist es wichtiger denn je, Ausgaben für Gesundheit als Investition und nicht als Kostenfaktor zu sehen. Schließlich ist nur ein vermiedener Herzinfarkt ein guter Herzinfarkt. Das gilt für die Betroffenen genauso wie für den Staatshaushalt.
Quelle: https://pharma-fakten.de
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