Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Jasmin Schreiber: Marianengraben

© jasmin schreiber

Der Titel hält, was er verspricht und umfasst das Thema einzigartig: einerseits verdeutlicht der Tiefseegraben die Tiefe der Trauer, in der die Protagonistin Paula seit zwei Jahren feststeckt, zum anderen spinnt sich von hier aus der Faden an Bildern, die Paula mit ihrem verstorbenen zehnjährigen Bruder verbinden. Dieser interessierte sich brennend für alles, was mit den Meeresbewohnern zu tun hat, und Paula promoviert in Biologie. Entsprechend stammen viele der Metaphern aus diesem Spezialgebiet und sind deshalb alles andere als abgegriffen. Seine kindlichen Schlussfolgerungen und überraschenden Beurteilungen, auf die seine Schwester immer eingegangen ist, durchziehen den ganzen Roman, machen einen Teil des Humors aus. Während sie bei Paula zum circulus vitiosus ihrer Depression gehören, kann der Leser dadurch das Traurige ertragen.

In der Handlung geht es auf eine einfühlsame und humorvolle Art um die Aufarbeitung von Trauer. Paula trifft nachts auf dem Friedhof Helmut, der die Urne seiner Expartnerin ausgräbt, um mit ihr die versprochene Urlaubsreise ins Heimatdorf anzutreten. Die beiden Charaktere sind überzeugend ausgearbeitet: die depressive Paula, die sich schuldig fühlt am Ertrinken ihres Bruders, allein, weil sie nicht vor Ort war, und der knurrig-schrullige, achtzigjährige Helmut, der nach anfänglichem Widerstreben sie, seinen Hund und ein Huhn im Wohnmobil mitnimmt. So wie Paula allmählich mit Helmuts unaufdringlicher Unterstützung ihre Schuldgefühle abbaut, mindert sich die Tiefe ihrer Verzweiflung: die Tiefenangaben über den Kapiteln verdeutlichen das langsame Aufsteigen aus dem Marianengraben der Trauer.

Das Ende ist überraschend, nicht alles nett, was passiert, aber Paula findet zur Lebensfreude und Arbeitsfähigkeit zurück. Kaum zu glauben, dass das ein Erstlingswerk ist: der Schreibstil ist durchgängig originell und gelungen. Ein Depressiver wird die Darstellung wahrscheinlich verharmlosend finden, aber alles in allem zeigt die Autorin, die wohl Autobiographisches einfließen lässt, wie man Klischees vermeidet, selbstironisch und trotzdem mit Tiefgang ein so heikles Thema darstellen kann.

 

Jasmin Schreiber, geboren 1988, ist studierte Biologin und arbeitet als Schriftstellerin. Ihr Bestseller MARIANENGRABEN war das erfolgreichste belletristische Debüt 2020

 

Eichborn Verlag

Taschenbuch
Literarische Unterhaltung
254 Seiten
ISBN: 978-3-8479-0082-5
Ersterscheinung: 27.08.2021
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