Copyright Freischwimmer Film

Die Eltern haben den Holocaust überlebt – die Kinder das Trauma geerbt. Über das Generationsübergreifende Trauma hat die Regisseurin Sandra Prechtel einen intensiven Dokumentarfilm gedreht: “Liebe Angst”. Im Mittelpunkt ist Lore, die mit sechs Jahren erleben musste, wie ihre Mutter von den Nazis geholt und ins Konzentrationslager Auschwitz geschickt wurde. Kim, Lores Tochter, bekam den Schmerz der Mutter schon als Kind ungefiltert mit – als Erwachsene ist sie selbst daran zerbrochen. Im Dokumentarfilm “Liebe Angst”, der in die Kinos kommt, geht es um die Annäherung von Mutter und Tochter. 

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Eine sich über drei Generationen erstreckende Familientragödie, der man sich nicht entziehen kann; ein Dokumentarfilm, dem man ein Denkmal bauen möchte.
Kim hat ihre Musik, Kim hat ihre Hunde, Kim hat ihren Glauben. Kim kämpft, jeden Tag. Gegen die Angst, um ein Stück Normalität, um den Boden unter den Füßen. Kim ist die Tochter von Lore. Lore war sechs Jahre, als ihre Mutter nach Auschwitz deportiert wurde. Lore ist eine „DP“ – eine Displaced Person, bis zum heutigen Tag. Lore hat ihre Karteikarten. Von morgens bis abends schreibt sie Artikel aus dem Weser-Kurier ab, archiviert sie in Kisten, Körben und Kartons. Ein Leben lang hat Lore nicht gesprochen: nicht über ihre Mutter, nicht über das Versteck, in dem sie überlebt hat, nicht über Tom, ihren Sohn, Kims Bruder, der sich das Leben genommen hat. Aber Kim will reden: über die Kindheit mit Lore, über Tom, über die beschädigten Leben beider. Da ist viel Wut, viel Kraft, und eine Liebe zwischen Mutter und Tochter, die immer da war, aber nicht gelebt werden konnte.

»Liebe Angst« erzählt davon, wie Traumata über Generationen weitergegeben werden. Von den oft beschriebenen Schuldgefühlen derjenigen, die überlebt haben, während Millionen andere sterben mussten. Von den eigenen Erlebnissen, die so schrecklich sind, dass ein Leben allein nicht ausreicht, um sie zu verarbeiten. Kims Rebellion und ihre andauernde Abnabelung von Lore sowie Toms Unfähigkeit, sein eigenes Leben zu bestreiten, zeugen davon. Besonders schwer erträglich ist, dass dieser Prozess längst nicht abgeschlossen ist. Weder für die Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus noch für die anderen Verbrechen, die sich seitdem und noch immer tagtäglich weltweit ereignen. Auch die Menschen, die beispielsweise aus Kriegs- und Krisenregionen wie der Ukraine oder Syrien fliehen, erleiden Traumata, die sich durch nachfolgende Generationen fräsen werden.

Trotz dieser Schwere gelingt es Prechtel aus der Distanz der Regisseurin heraus, auch hoffnungsvolle Momente einzufangen: in denen Kim und Lore sich schweigend verstehen. Sich umarmen, Späße machen oder einander necken. Der lebenslange Wille der Tochter, die Mutter zu verstehen, und Lores störrische Geduld, das auszuhalten und ihr dies zu verzeihen, hat beide doch ein Leben lang verbunden.

 

 

Filmdaten

Originaltitel
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
Regie: Sandra Prechtel
Buch: Sandra Prechtel · Kim Seligsohn
Kamera: Susanne Schüle
Musik: Reinhold Heil · Kim Seligsohn
Schnitt: Andreas Zitzmann
Länge: 81 Minuten
Kinostart: 23.03.2023
Fsk: ab 12; f
Pädagogische Empfehlung – Sehenswert ab 14.
Genre: Dokumentarfilm
 

 

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