Chrystal Croftangrys Geschichte
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Sir Walter Scott: Chrystal Croftangrys Geschichte

Der vom Bestsellerautor seiner Zeit (1771-1832) verfasste Roman, der anlässlich seines Ersterscheinens vor 175 Jahren in einer neuen Übersetzung und optisch sehr ansprechender Ausgabe vorliegt, zählt zu Scotts Spätwerk. Goethe und andere berühmte Fans seiner Zunft hielten Scott für den gewandtesten Erzähler und nahmen ihn zum Vorbild. Literaturgeschichtlich gilt er als Begründer des historischen Romans, der auf weitreichenden Recherchen basiert. Sein bevorzugtes Rohmaterial stammte aus Schottland, dessen volkstümliche Legenden er auf vielen Reisen sammelte. Man fühlt sich an die Brüder Grimm erinnert.
Im Zentrum des vorliegenden Romans, der zum Teil Autobiographisches verarbeitet, steht ein etwa sechzigjähriger Gentleman, der als junger Mann seinen ererbten Besitz verschleudert hat, lange im ausländischen Exil lebte und mit dem Ziel in die Heimat zurückkehrt, wenigstens einen kleinen Teil des ehemaligen Besitzes zurückzukaufen. Doch das Vorhaben scheitert, die Wurzeln sind unwiederbringlich gekappt, alles ist ihm fremd geworden. Als Ausweg fasst er den Entschluss, sich der Schriftstellerei zu widmen. Einziges Überbleibsel früheren Reichtums ist eine alte Haushälterin, die er anstellt mit dem Hintergedanken, ihr als erster Instanz seine Texte zur Kritik vorzutragen. Dass sie, wie andere Bekannte, ihm unbeabsichtigt gleichzeitig Stoff für seine Erzählungen liefert, kommentiert er ironisch und mit humorvoller Lebensweisheit, genauso wie sein Bangen um die Wirkung seiner Bücher. Bewegen sie die Mitmenschen in angestrebter Weise, ist er befriedigt.
Der gutverdienende Scott stürzte ins Elend, weil er für einen Verlag bürgte, der bankrottging. Als außerdem seine Frau gestorben ist, schrieb er wie ein Rastloser gegen seine Schulden an. Vor dem Frühstück beendete er den einen Roman, danach begann er den nächsten. Dadurch ruinierte er seine Gesundheit, die von Kindesbeinen an durch Kinderlähmung beeinträchtigt war.
Am liebsten sind ihm die Geschichten von Highländern, die durch einen überzogenen Ehrbegriff von einer Schwierigkeit in die andere geraten. Fast modern mutet es an, wenn Scott sich über den aufkommenden Tourismus, Großbauprojekte, die die Natur zerstören, oder das Aussterben von Tierarten beklagt. Allein in die meisterhafte Präsentation der Landschaften und Menschen fließt so viel Handlung ein, dass man glatt die alte Schreiberregel vergisst, man solle besser etwas unmittelbar passieren lassen, statt nur zu beschreiben.
Walter Scott
Chrystal Croftangrys Geschichte
Roman
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort von Michael Klein
320 S., geb., 130 × 200 mm, mit s/w-Illustrationen
ISBN 978-3-945424-84-1
Erschienen: Juni 2021
Morio Verlag
Untere Neckarstraße 34
69117 Heidelberg
Internet: www.morio-verlag.de
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