Blättern im Bilderbuch der Artenvielfalt
von Dr. Bernd Kregel
Die Galapagos-Inseln als Spielwiese der Evolution
In tänzelndem Auf und Ab stabilisiert der Katamaran sein Gleichgewicht auf der bewegten Wasseroberfläche. Denn angetrieben von der kräftigen Brise des Passatwindes brechen sich im gleißenden Licht der Äquatorsonne glitzernde Wellen an seinen Kufen, um sich nach dem Aufprall wie glühende Funken in eine schäumende Gischtwolke zu verwandeln. Ein stets sich wiederholendes Schauspiel, bei dem wendige Fregattvögel mit ihrem markant hellen „tik, tik, tik, tik“ bereits seit längerer Zeit das Signal zum Aufbruch geben.
Mit Ihrem Drängen treffen sie die Stimmungslage an Bord, wo die Passagiere bereits mit Ungeduld darauf warten, unverzüglich in See zu stechen. Endlich einzutauchen in die bizarre vulkanische Inselwelt des Galapagos-Archipels zur lange herbeigesehnten Entdeckungsreise auf Darwins Spuren. Zu blättern wie er im Bilderbuch der Artenvielfalt, wie es sich bei seiner legendären Forschungsreise auf der „Beagle“ im Jahr 1835 vor ihm auftat.
Schöpfung und Evolution
Damals, als er inmitten des Pazifischen Ozeans die Beobachtung machte, dass die vielfältigen Arten, die er vorfand, ihr Überleben nicht allein ihrer Stärke oder ihrer Intelligenz verdankten, sondern vor allem der bestmöglichen Anpassung an ihre Umweltbedingungen. Eine bahnbrechende Erkenntnis, die später einmündete in seine „Evolutionstheorie“, mit der er – im Widerspruch zur biblischen Schöpfungslehre – nicht nur bei der Kirche sondern auch in akademischen Fachkreisen Staub aufwirbelte. Das gesamte abendländische Weltbild war aus den Fugen geraten, und nichts schien plötzlich mehr, wie es einmal war.
Beim Lichten des Ankers der „Treasure of Galapagos“ im Hafen von San Cristobal heften sich nun alle Blicke voller Neugier an die Weite des Horizonts. Niemand, der in diesem aufregenden Augenblick die Grundlagen der Evolutionslehre anzweifelte. Und dennoch ist jeder überwältigt von dem feierlichen Gefühl, dem Geheimnis der „Schöpfung“ ein Stück näher zu kommen. Und zugleich erfüllt von dem Bewusstsein, dass sich ungewöhnliche Erlebnisse wie dieses am besten in der Gedankenwelt des Mythos nachempfinden und ausdrücken lassen.
Abbild des Gartens Eden
So betrachtet sind es geradezu paradiesische Verhältnisse, mit denen bereits am nächsten Tag der weiße Strand der Insel Espanola aufwartet. Nicht etwa wegen der zu erwartenden Badefreuden – das Wasser ist hier sogar empfindlich kalt – sondern vielmehr wegen der Unbefangenheit der hier anzutreffenden Bewohner, allen voran die behäbigen Seelöwen, die sich in kleinen Gruppen eng aneinander schmiegen. In verblüffender Unbekümmertheit reagieren sie auf die eintreffenden Gäste, und niemand und nichts scheint sie zu stören. Ein detailgetreues Abbild des Gartens Eden vor dem Sündenfall?
Und dennoch ist der Kampf ums Dasein auch auf dieser Insel nicht unbekannt. Am härtesten trifft er die Albatros-Kolonie am Rande der Steilklippen, die zu Beginn jeden Jahres unter Futtermangel, ausbleibendem Wind und hohen Temperaturen leidet. So ist es für sie überlebenswichtig, rechtzeitig das ecuadorianische Festland zu erreichen. Ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit für die neu geborenen, noch lange in weißen Flaum gehüllten Jungen, die in Rekordgeschwindigkeit heranwachsen müssen. Im letzten Moment stürzen sie sich in einem tollkühnen Sprung über die Steilkante des Felsens hinunter in die Tiefe, wo der Aufwind unter ihre weit ausgebreiteten Flügel greift und sie an die tausend Kilometer entfernte Küste davonträgt.
Ikonen des Archipels
Gelassener hingegen geht es zu bei den Blaufußtölpeln. Mit leuchtend blauen Füßen signalisieren sie ihrer Partnerin die Geschlechtsreife und versuchen sodann mit einem temperamentvollen Balztanz ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Dabei recken sie Flügel, Schwanz und Schnabel senkrecht nach oben und machen mit langen begleitenden Pfiffen deutlich, wozu sie sonst noch fähig sind. Das sich damit anbahnende Bündnis wird schließlich mit der symbolischen Übergabe von kleinen Stöckchen zum Nestbau besiegelt. Weiße wuschelige Küken sind nach mehreren Wochen Brutzeit schließlich das Resultat dieser besonderen Art der Eheschließung.
Weniger rituell und eher kämpferisch geht es dagegen zu bei den Meeresechsen, die mit ihrem Kopfpanzer und ihrer gezackten Nackenkrone so furchterregend aussehen wie urtümliche Wesen aus einer vergangenen Welt. Während der Paarungszeit müssen sie ihren männlichen Konkurrenten beweisen, wer von ihnen der Stärkere ist. Als wechselwarme Tiere tanken sie dazu ihre Energie zunächst aus der von der Sonne erwärmten Luft, um sodann zur weiteren Stärkung die Algenteppiche auf dem Meeresgrund abzuweiden. Als eine der seltsamsten und auffälligsten Erscheinungen der Inseln stehen sie zugleich als fremdartig-vertraute Ikone für den gesamten Galapagos-Archipel.
Zerbrechliches Gleichgewicht
Bekannter noch als sie sind jedoch die kleinen grauen Finken, mit denen einst Darwins Bewusstwerdungsprozess begann. Denn schnell fiel ihm auf, dass die später nach ihm benannten „Darwin-Finken“, insgesamt sind es dreizehn Arten, alle unterschiedliche Schnabelformen besaßen. Diese, von ihnen wie wirksame Werkzeuge eingesetzt, befähigten sie, die von Samenkörnern bis Kaktusfrüchten reichende Nahrung möglichst effektiv aufzunehmen. Eine Anpassung in ihrer überzeugendsten Form, die das Überleben in speziellen Nischen für Jahrtausende garantierte.
Das mit Abstand bekannteste Markenzeichen der Galapagos-Inseln sind zweifellos die Riesenschildkröten. In großen Mengen durchkämmen sie das dichte Unterholz und sorgen als vierbeinige Ingenieure für die Auflockerung der undurchdringlichen pflanzlichen Biomasse auch für andere Inselbewohner. „Lonely George“ war bis vor kurzem der letzte Überlebende seiner speziellen Art, wie sie einst auf der Insel Pinta verbreitet war und von dort in die Kochtöpfe vorbeifahrender Seeleute gelangte. Gezielte Fortpflanzungsversuche der berühmten Darwin-Forschungsstation von Porto Ayora auf der Insel Santa Cruz schlugen jedoch fehl. So dient „Lonely George“ schließlich nur noch als der traurige Beweis für die Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem zerbrechlichen natürlichen Gleichgewicht.
Rätsel der Plattentektonik
In geologischer Hinsicht ist sogar die gesamte Inselgruppe auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Denn alle diese Vulkaninseln entstanden einst über einem der großen pazifischen „Hot Spots“ und driften nun nacheinander dem südamerikanischen Kontinent entgegen. Getragen werden sie dabei von der Nazca-Platte, die sich durch den in der Plattentektonik üblichen Vorgang der „Subduktion“ langsam unter den Festlandsockel schiebt. Ob Darwin schon davon wusste?
Sicherlich nicht. Und auch Alexander von Humboldt, dem großen Naturforscher, war auf seiner Südamerika-Forschungsreise zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die Plattentektonik noch unbekannt. Sonst wäre er vielleicht schon damals darauf gekommen, worin die in nord-südlicher Richtung verlaufende „Straße der Vulkane“ ihren wahren Ursprung hat. Denn nach neuester Erkenntnis ist sie zurückzuführen auf die Eruptionen, die sich im Untergrund des Festlandes beim Zusammentreffen des heißen Nazca-Plattenrandes mit eingesickerten Wassermassen ihren Weg nach oben bahnen.
Kulturelles Schatzkästlein
So gehört auch in diesem Teil des pazifischen Feuerrings der Vulkanismus zum Alltag der Menschen. In Quito, der „schönsten Hauptstadt Südamerikas“, tragen schlafende Riesen wie der Pichincha, der Cayambe und der Cotopaxi sogar bei zu dem landschaftlichen Reiz, von dem die Stadt und ihr Umland profitieren. Allein die Fahrt mit der Kabinenseilbahn hinauf auf den viertausend Meter hohen Pichincha vermittelt beim Blick auf die Spielzeugkulisse im Tal von Quito ein atemberaubendes Erlebnis.
Hauptaugenmerk der Stadt Quito jedoch ist die vom Stadthügel „Panecillo“ herabblickende „Madonna von Quito“, der hier die Herzen der Bewohner entgegenfliegen. Segnend bewacht sie das prall gefüllte kulturelle Schatzkästlein der Stadt – in Museen, auf Straßen und in Kunstwerkstätten. Und fast will es scheinen, als erstrecke sich ihr wohlwollender Einfluss bis hin zu den fernen Galapagos-Inseln, der einzigartigen und unvergleichlichen Spielwiese der Evolution.
HIER GEHTS ZUR FOTOSSTRECKE GALAPAGOS:
Info „Galapagos“:
Anreise: Mit LAN von Frankfurt nach Quito, www.lan.com, weiter mit Aerogal auf die Galapagos-Inseln, www.aerogal.com
Einreise: Reisepass, kein Visum
Reisezeit: ganzjährig
Reiseveranstalter: www.chamaeleon-reisen.de, www.gebeco.de, www.miller-reisen.de
Auskunft: www.ecuador.travel/en/, www.quito.com.ec, www.experiencequito.com, quito@bz-comm.de
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