Die 800 Jahre alte Katharinenkirche ©Stadt Oppenheim

Ziemlich genau in der Mitte zwischen Mainz und Worms liegt auf der linken Rheinseite, an den sanft ansteigenden Hang gelehnt und von Weinbergen umrahmt, das malerische Städtchen Oppenheim. Von weitem schon – besonders vom jenseitigen Ufer des Stroms aus – sind die beiden spitzen Türme seines Wahrzeichens zu sehen: der 800 Jahre alten Katharinenkirche. Und auch die Umrisse der Ruine Landskron lassen sich bereits aus der Ferne erkennen. Oppenheim? Da klingelt doch etwas. Steht der Name nicht in direkter Verbindung mit „Krötenbrunnen“ – und damit mit einer bekannten Weinlage?

Natürlich tut es das. Und wir werden auch darauf zurückkommen. Doch zunächst gilt es, die große und über die Jahrhunderte nicht selten dramatisch bewegte Vergangenheit des 7 500-Seelen-Fleckens ins Bewusstsein zu heben. So ziemlich jeder kennt wahrscheinlich die Redewendung vom „Gang nach Canossa“ als blumige Umschreibung eines unangenehmen, aber leider nicht zu umgehenden Eingeständnisses von Fehlverhalten und Reue. Aber wissen die Zeitgenossen auch, dass dieser historische Bußgang (wenn er sich denn wirklich so abgespielt haben sollte, wie einst in der Schule gelernt) in einer unmittelbaren Beziehung zu Oppenheim steht? In Kurzfassung: Der junge Salier-Kaiser Heinrich IV hatte sich mit Papst Gregor VII wegen der Frage zerkracht, wer Bischöfe und Äbte ernennen dürfe und war deshalb mit dem Kirchenbann belegt worden. Die Geschichtskunde spricht hier vom „Investitur-Streit“. Aus Sorge, unter Umständen ebenfalls exkommuniziert zu werden, zwangen daraufhin im Oktober 1076 die jenseits des Rheins in der Kaiserpfalz Tribur (heute Trebur) versammelten Reichsfürsten den in Oppenheim weilenden 26-jährigen Monarchen, sich innerhalb einer Frist von einem Jahr und einem Tag mit dem demütigenden Bittgang zur Burg Canossa in der Emilia Romagna wieder von dem Bann zu lösen.

Drei prägende Bauwerke

Kaiser Karl IV. (1316-1378)

Das ist fast tausend Jahre her. Und von der einstigen Pfalz ist im jetzigen, hessischen, Trebur auch nichts mehr zu sehen. Ja, man kennt nicht einmal den ursprünglichen Standort, weil bislang kein einziger Stein davon gefunden wurde. Tatsächlich müssen die Besucher von Oppenheim ja auch gar nicht unbedingt viele Gedanken an den Canossa-Kaiser verschwenden, wenn sie – vielleicht eines schönen Sonnentages  bei Kaffee und Kuchen oder einem Eisbecher – auf dem idyllischen Marktplatz in der Mitte der Altstadt sitzen. Denn ihr Blick wird  sowieso automatisch von drei Gebäuden eingefangen, die das Gesicht der Stadt entscheidend mit prägen – das ursprünglich auf das 17. Jahrhundert zurückgehende Renaissance-Rathaus, die rund 800 Jahre alte, hochgotische Katharinenkirche und die Reste der einstigen Burg Landskron dahinter.

Der Marktplatz mit dem historischen Rathaus ©Stadt Oppenheim

Längst sind die zahlreichen Burgruinen entlang des großen Stroms ein wesentlicher Teil der Antwort auf die vor allem gesanglich unverdrossen  immer wieder gestellte Frage, warum es wohl am Rhein so schön sei. Und ohne Zweifel zählt auch das graue Gemäuer der einstigen Adelsbehausung Landskron mit dazu. Allerdings waren die vor etwas mehr als 300 Jahren damit verbundenen Ereignisse alles andere als romantisch. Ende des 17. Jahrhunderts, im Zuge des „Pfälzischen Erbfolgekriegs“, verwüsteten französische Heere im Auftrag des „Sonnenkönigs“ Ludwig IV. große Teile Süddeutschlands, sprengten die Burgen auf den Höhen der Vogesen im Elsass und (mit Ausnahme der Marksburg bei Braubach) auch die am Ober- und Mittelrhein in die Luft; nicht zu vergessen das Heidelberger Schloss. Am 31. Mai 1689 brannte schließlich auch Oppenheim und mit der Stadt die Burg Landskron. Bei diesen Brandschatzungen und anderen Gräueltaten hatte sich ein Mann besonders hervorgetan, dessen bloße Namensnennung noch viele, viele Jahre ausreichte, um etwa freche Kinder zur Folgsamkeit zu erziehen: General Ezéchiel de Mélac. Noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts pflegten vor allem die Menschen in der Pfalz bissigen Hunden den Namen „Melac“ zu geben. Auch das bayerische Schimpfwort „Lackel“ soll davon abgeleitet sein.

40 Kilometer Kellerlabyrinth

Gerade einmal ein halbes Jahrhundert zuvor war Oppenheim schon einmal mit Schrecken überzogen worden. Es tobte der 30-jährige Krieg. Zunächst kamen kaiserlich-katholisch-spanische Truppen, danach – kurz vor Weihnachten 1631 – setzte der Schwedenkönig Gustav Adolf über den seinerzeit rund 300 Meter breiten Rhein und nahm die Stadt im Sturm. Nun ist es zwar nicht allein, aber auch Kriegsereignissen wie diesen zu verdanken, dass Oppenheim seinen Gästen heute eine besondere Attraktion bieten kann. Auf eine Länge von mindestens 40 Kilometern ist die historische Kernstadt auf bis zu fünf Ebenen unter der Oberfläche von einem Labyrinth aus Kellern, Tunneln, Gängen und Treppen durchzogen. Viele davon gehen bereits bis ins hohe Mittelalter zurück, dienten als Stapelräume für Handelswaren, aber auch als Schutz bei Feuersbrünsten. Allerdings gerieten sie nach der „Schwedenzeit“ immer mehr in Vergessenheit – bis sich plötzlich 1983 in der Pilgersberggasse ein Krater auftat und ein Polizeistreifenwagen darin verschwand. Heute werden Führungen durch die restaurierten Abschnitte des Labyrinths angeboten, und man kann sie auch für Festivitäten mieten.

Über die Stimmungslage von Martin Luther ist nichts bekannt, als er am 15. April 1521 im damaligen Gasthaus „Zur Kanne“ in Oppenheim Quartier bezog. Am nächsten Tag ging es auf die letzte Etappe nach Worms, wohin der Reformator von dem jungen 19-jährigen und erst ein Jahr zuvor zum Kaiser gekrönten Karl V. zitiert worden war, um seine “95 Thesen“ zu widerrufen. Das Geschehen damals hat, ohne Zweifel, die Welt verändert. Auch auf dem Rückweg, 10 Tage später, machte Luther noch einmal in Oppenheim halt. Die kleine Weinstadt am Rhein schloss sich seinerzeit ebenfalls der Reformation an, und so ist denn die alles überragende Katharinenkirche protestantisch. Ein Besuch dieses Gotteshauses ist ein absolutes Muss. Nicht umsonst gilt der Bau als eine der bedeutendsten gotischen Kirchen am Rhein zwischen Straßburg und Köln – nicht zuletzt berühmt wegen ihrer Fenster, von denen wiederum vor allem die sogenannte Oppenheimer Rose an der Südfront hervorsticht. Und wer das Bauwerk ganz besonders aufmerksam betrachtet, wird vielleicht sogar ein zusätzliches Kuriosum entdecken: Ein steinerner Kopf auf der Bekrönung eines Portals (der Fachausdruck dafür ist „Wimperg“) trägt die Gesichtszüge des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss.

Schädel und Knochen

Das Beinhaus in der Michaeliskapelle

Ist noch das Märchen von „Einem, der auszog, das Gruseln zu lernen“ präsent? Im Schatten der Katharinenkirche hätten die Besucher die Chance, sich von einem Schauder zumindest streifen zu lassen. Schädel und Knochen von mindestens 20 000 Verstorbenen – das Beinhaus in der Michaeliskapelle in Oppenheim ist bis an die Gewölbedecke mit Skeletten vollgeschichtet. Sicher, es gibt „Beinhäuser“ auch in anderen deutschen Orten, doch dieses hier ist das mit Abstand größte und besterhaltene. Zwischen 1400 und 1750 wurden die Gebeine von Verstorbenen, nach einer gewissen Liegezeit, vom Friedhof in den rund 70 Quadratmeter großen „Karner“ umgebettet. Wegen der vielen Toten durch Hungersnöte, Kriege und Seuchen mangelte es nämlich seit dem 14. Jahrhundert an Friedhofs-Ruhestätten. Unter den gestapelten Totenköpfen in Oppenheim befindet sich auch ein goldfarbener. Vor einigen Jahren hatten Studenten einen Film im „Karner“ produziert und für eine mystische Stimmung den bemalten Schädel mitgebracht. Nach Abschluss der Dreharbeiten fand er hier seine letzte Ruhe – unterm Goldanstrich ist er nämlich echt.

Der Krötenbrunnen

In und um Oppenheim ist alles nicht weit. Auch die Ruine Landskron ist nur einen Steinwurf vom Beinhaus und von der Katharinenkirche entfernt. Sie ist Ausgangs- bzw. Endpunkt des Weinlehrpfads, der durch die Gemarkung am berühmten Krötenbrunnen vorbei und durch die Weinberge zum Deutschen Weinmuseum führt. Bei klarem Wetter bietet sich von der Landskron aus ein weiter Blick in die Rheinebene. Mitunter ist sogar die Skyline von Frankfurt zu  sehen, auf jeden Fall die Silhouette des Odenwalds. Und der berühmte „Oppenheimer Krötenbrunnen“? Im allgemeinen Bewusstsein ist dies der Sammelbegriff für Oppenheimer Wein schlechthin. Was allerdings nicht unbedingt allerhöchste Qualität versprach. Mittlerweile freilich verbirgt sich dahinter nur noch eine eng begrenzte, erstklassige, Weinlage um den steinernen Krötenbrunnen. Dieser, wiederum, war einst Teil des Wassersystems zur Versorgung  der Stadt und wurde schon vor vielen Jahren stillgelegt.

Der Erbauer des Reichstags  

Noch zwei herausragende Persönlichkeiten gefällig, deren Namen nicht von Oppenheim zu trennen sind? Paul Wallot (1841 – 1912) ist die eine. Der Nachfahre von Hugenotten aus Südfrankreich, Architekt und Hochschullehrer, schuf den Entwurf für den Berliner Reichstag und liegt im Familiengrab in Oppenheim begraben. Und Friedrich Koch ist der andere. Der Oppenheimer Apotheker (1786 – 1865) entwickelte als weltweit Erster die industrielle Herstellung des Anti-Malaria-Mittels Chinin.

Gisbert Kuhn

 

Info:

Touristinfo

Merianstraße  2a

55276 Oppenheim

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