Ampel-Rausch der Sinne

Dieter Weirich

Eigentlich sind sich die Grünen und die FDP in dieser Berliner Regierungs-Ampel so lieb wie Leibweh. In einem gesellschaftspolitischen Projekt zur Umgarnung junger Wähler haben sie sich trotzdem jetzt zusammengefunden – in der kontrollierten Freigabe von „Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“. Nach der „Zeitenwende“ nun also die „Tüten-Wende“, konstatiert ein Magazin. Nach der Sommerpause wird sich das Parlament mit dem „Gras“ und den „Shits“ der selbsternannten Fortschritts-Koalition beschäftigen.

Wie nicht anders hierzulande zu erwarten, handelt es sich bei der 163 Seiten umfassenden Regierungsvorlage um eine komplizierte Regulierung der Liberalisierung. Im ersten Schritt erhalten sogenannte „Cannabis Social Clubs“ nach ihrer Gründung Lizenzen, Hanfpflanzen anzubauen oder Blüten und Harz an ihre Mitglieder abzugeben. Kiffer dürfen bis zu 25 Gramm bei sich tragen.

Erwachsene dürfen zuhause maximal drei Cannabispflanzen züchten, Kinder und Jugendliche sollen keinen Zutritt zu den Anbaustätten haben. In einem Radius von 200 Metern rund um Kindertagesstätten und Schulen ist der Genuss oder die Mitnahme von Joints verboten, in Fußgängerzonen gilt diese Bestimmung von 7 bis 20 Uhr. Der Weg in die Freiheit ist in Deutschland bekanntlich immer mit Pilotprojekten gepflastert. Im zweiten Schritt können in Modellprojekten Fachgeschäfte dann Cannabis- Produkte verkaufen.

Die Regierung verspricht sich von einer durch mehr Prävention begleiteten Legalisierung der Rausch-Pflanze weniger Süchtige und Kriminelle, die Vermeidung von verunreinigtem „Gras“ durch Kontrolle in den Cannabis-Vereinen und weniger Arbeit für Polizei und Justiz, die Kiffer nicht mehr verfolgen und bestrafen müssen. Die Kritiker hingegen warnen vor Cannabis als Einstiegsdroge. Studien beschwören zudem die Gefahren von Psychosen bei Jugendlichen, Erfahrungsberichte aus liberalisierten Städten zeigen mehr Verkehrsunfälle unter Drogeneinfluss.

Eine tragikomische Figur gibt Bundesgesundheitsminister Lauterbach in dem Streit ab. Er warnt massiv vor den Schäden für das Gehirn für Menschen bis zum 25.Lebensjahr, um dann für die Freigabe ab 18 einzutreten. Er erinnert dabei an einen asketischen Prediger vor den Anonymen Alkoholikern, um dann zu einer fröhlichen Zechtour einzuladen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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