R.C.Sherriff: Zwei Wochen am Meer
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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R.C.Sherriff: Zwei Wochen am Meer
(Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Ott)
In dem 1931 erstmals erschienenen Roman geht es um die minutiöse Beschreibung einer englischen Familie, die in den Urlaub ans Meer fährt und dies seit zwanzig Jahren in dieselbe Pension.
Die Familie ist kleinbürgerlich mit drei Kindern, von denen zwei inzwischen erwachsen sind. Der pedantische Vater, der sich vom Lagerarbeiter zum Angestellten hochgearbeitet hat, bestimmt alles, was in
generalstabsmäßigen Ablaufplänen gipfelt, wie das Haus und die Tiere versorgt werden, bevor man startet. Ständig muss er sich über vergangenes oder zukünftiges Glück vergewissern. Was einmal als schön erlebt wurde, muss wieder so sein. Alle Beteiligten werden in ihren Aktivitäten durch Rücksichtnahme, Scham und Etikette gebremst, die zusammen ein fragiles Gerüst bilden.
Die Perspektiven auf die Tagesabläufe wechseln ab. Einmal ist es diejenige der überängstlichen Mutter, die schon in Panik gerät, wenn sich die Struktur ändert oder die Stimmung der anderen kippt. Es deutet sich an, dass die beiden Teenager bald eigener Wege gehen, den beruflich vom Vater eingefädelten verlassen bzw. ohne die Eltern Urlaub machen. Alle Akteure sind kontaktarm und gehemmt, schrecken vor Freundschaften zurück, fast angstneurotisch muss jeder Blick hinter die Familienfassade verhindert werden, als bräche dann ihr unsicheres Konstrukt zusammen. Die unterdrückte Bewunderung für das lockere Verhalten anderer löst man durch Abwertung. Das höchste der Lustbarkeit sind die heimlichen Kneipenbesuche des Vaters und seine damit verbundenen unterdrückten Gefühle, die „seine niederen Instinkte in Wallung bringen.“ Alles Schwierige muss draußen bleiben.
Der drohenden Ablösung parallel entspricht der sich wandelnde Blick auf die Unterkunft, deren Schäbigkeit ihnen bis dato nie auffiel. Unangenehmes, wozu schon Entwicklungen gehören, wird aber nicht angesprochen, sondern peinlich unter dem Teppich gehalten. Allenfalls durch Umgebungsbeschreibung werden Sorgen, mit denen jeder allein kämpft, gespiegelt. Sie dürfen nicht das Zusammengehörigkeitsgefühl beeinträchtigen.
Unwillkürlich wartet der Leser auf eine Katastrophe: dass die Mutter verschwindet, die Tochter ins Straucheln kommt, der Vater beim Wandern verunglückt oder der Jüngste ertrinkt. Aber nur zwei ungewöhnliche Dinge passieren, die gemeistert werden. Alle möglichen Probleme bleiben vage bei der jeweiligen Person ohne aufzubrechen. Am Ende lehnt sich der Leser zurück, weder aufgewühlt von Leidenschaften noch erleichtert über die Lösung eines Konflikts, sondern entspannt wie nach einem Urlaub mit Bekannten.

R. C. (Robert Cedric) Sherriff, geboren 1896 in Surrey, war Schriftsteller, Drehbuchautor und Versicherungsbeamter. Er besuchte die Kingston Grammar School und arbeitete anschließend im väterlichen Versicherungsunternehmen. Er diente im Ersten Weltkrieg in der britischen Armee und besuchte danach das New College in Oxford. In seinen Werken verarbeitete er auch seine Erfahrungen an der Front. Seine Filmskripte wurden u. a. zweifach mit BAFTA-Preisen ausgezeichnet und waren für den Oscar nominiert. Sherriff starb 1975 in London.

Karl-Heinz Ott (*1957) ist Schriftsteller, Essayist und Übersetzer. Von 1986–1998 war er Dramaturg und Musiker an den Theatern in Freiburg i. Br., Basel und Zürich. Er veröffentlicht Romane und Sachbücher, u. a. Ins Offene, Endlich Stille, Die Auferstehung, Und jeden Morgen das Meer sowie Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens, dazu Bücher über Beethoven, Händel und Hölderlin. Ott ist Mitglied in mehreren Akademien und hat diverse Preise erhalten, u. a. den Joseph-Breitbach-Preis 2021. Er lebt in Freiburg i. Br.
Unionsverlag
R.C.Sherriff: Zwei Wochen am Meer
ISBN 978-3-293-00604-1
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