Vorbild China?

Wie der Fokus auf wirtschaftliche Entwicklung die Werte in den afrikanisch-europäischen Beziehungen ersetzt.

Chinesisches Infrastrukturprojekt in Addis Abeba, Äthiopien: Eröffnung der ersten modernen Straßenbahn im subsaharischen Afrika im September 2015.

Das Fehlen guter Regierungsführung, die fehlende Teilhabe weiter Teile der Bevölkerung in vielen Staaten Afrikas sowie allgemeine Perspektivlosigkeit führen zu einer zunehmenden (religiösen) Radikalisierung der Bevölkerung. Konsequenz sind nicht nur destabilisierte Länder und Regionen, sondern auch Flüchtlingsströme, die Europa um jeden Preis verhindern will. Angesichts des Bevölkerungswachstums benötigt die junge, jobhungrige Bevölkerung Afrikas dringend eine Perspektive, damit die „demographische Dividende“ nicht von einer Chance zu einem Risikofaktor wird. Ein weiterer Anstieg der Migration nach Europa würde zudem die politische Spaltung innerhalb der EU zwischen Weltoffenheit und Abschottung verschärfen.

Dies ist der Hintergrund vor dem am 29. und 30. November der 5. AU-EU-Gipfel in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, stattfindet – zum ersten Mal in Subsahara-Afrika. Der Gipfel kommt für beide Seiten zu einer kritischen Zeit, da Afrika und Europa vor vielfältigen Herausforderungen stehen. Die Erwartungen an den Gipfel sind dennoch nicht sonderlich hoch. Denn es zeichnet sich ab, dass der Plan einer langfristigen Strategie dem Pragmatismus und Opportunismus der Stunde weicht.

Die Bilanz der vor zehn Jahren beschlossenen gemeinsamen Afrika-EU Strategie (Joint Africa-EU Strategy, JAES) fällt gemischt aus. Die Neuausrichtung der gemeinsamen Beziehungen hatte das erklärte Ziel, das einseitige Geber-Nehmer-Verhältnis zwischen Europa und Afrika zu beenden und die Beziehungen politischer zu gestalten, um so gemeinsame Interessen und Projekte verfolgen zu können. Doch bis heute fehlt es der JAES an politischer Zugkraft. Dies liegt vor allem daran, dass viele afrikanische und europäische Mitgliedsstaaten die kontinentalen Beziehungen als weniger wichtig erachten und stattdessen bilateral verhandeln oder andere Prioritäten in der Partnerschaft setzen. Hinzu kommen eine Vielzahl politischer Auseinandersetzungen, etwa über europäische Militärinterventionen, die mangelnde demokratische Entwicklung Afrikas oder Handelsvereinbarungen. Andere Akteure wie China oder Indien müssen sich solchen Diskussionen nicht stellen, da sie die demokratische Entwicklung ihrer Partner nicht interessiert – anders als der europäische – wertorientierte Ansatz – der dadurch immer stärker unter Druck gerät. Während der Handel zwischen Afrika und China von Rekord zu Rekord eilt und China dafür gepriesen wird, Afrika mit Infrastruktur zu versorgen und zu entwickeln, sehen sich die Europäer immer wieder der Kritik ausgesetzt, zu zaghaft und paternalistisch zu sein.

Vor diesem Hintergrund waren die Staats- und Regierungschefs bereits beim letzten Gipfel 2014 peinlich darauf bedacht, strittige Themen zu vermeiden. Neben dem obligatorischen Thema Frieden und Sicherheit, diskutierte der Gipfel deshalb vor allem die Verbesserung von Handel und Investitionen, während Themen wie gute Regierungsführung und Menschenrechten allenfalls am Rande besprochen wurden. Immerhin gab es einen hochgelobten Austausch zu Migration und Mobilität, der von afrikanischer Seite als wichtiger Schritt in Richtung einer gleichberechtigteren Partnerschaft wahrgenommen wurde, da die daraus hervorgegangene Erklärung auch die Interessen der afrikanischen Seite wiederspiegelte. Wie substanzlos die Erklärung in Wirklichkeit aber war zeigte sich im Nachgang, als auch mehr als ein Jahr nach dem Gipfel noch fast nichts davon umgesetzt war.

Die Ankunft von circa 1,3 Millionen Migranten in Europa im Sommer 2015 und Europas Handlungsunfähigkeit machte „neue“ Lösungsansätze notwendig, um Fluchtursachen zu adressieren. So wird Migration nicht länger als Teilbereich der Entwicklungszusammenarbeit betrachtet, sondern ist nun ihr Kern. Afrika wurde aufgrund seines Bevölkerungswachstums schnell als zentrale Herausforderung identifiziert. Im Vordergrund der neuen Ansätze stehen Migrationskontrolle und die schnelle Implementierung von Projekten, die eine pragmatische Herangehensweise voraussetzen. Seit dem Valletta-Aktionsplan vom November 2015 tragen alle Initiativen der EU die Handschrift dieses Paradigmenwechsels: Oberste Prämisse ist es derzeitige und zukünftige Migration zu verhindern. Dies soll durch eine Fokussierung auf wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden, selbst wenn die Ursachen von Flucht und Migration im politischen (Unrechts-)System der jeweiligen Partnerstaaten zu finden sind. Wirtschaftliche Entwicklung in den meisten Ländern Afrikas ist notwendig und willkommen, ebenso wenig spricht gegen eine pragmatischere Ausrichtung der Beziehungen, in der beide Seiten ihre Interessen – anders wie bisher – auf den Tisch legen. Ohne die Einbindung politischer Aspekte wird sie jedoch beliebig. Die EU macht sich durch ihr auf Migrationskontrolle fixiertes einseitiges Agendasetting so abhängig, dass verbleibende Restansprüche an gute Regierungsführung und Menschenrechte zu Lippenbekenntnissen verblassen. So ist im Rahmen der sogenannten Rabat- und Khartumprozesse auch die Unterstützung von fragwürdigen Regimen in Nord- und Ostafrika Realität.

Der Kurswechsel der EU in Richtung mehr Investitionen und wirtschaftlicher Kooperation, ohne dass dies mit der Einhaltung von demokratischen Standards verknüpft wird, wird von afrikanischer Seite mehrheitlich begrüßt. China und andere externe Akteure führen dies seit Jahren vor und fahren bislang sehr gut damit. Die sensiblen und schwierigen politischen Themen werden gerne Europa überlassen, genau sowie wie die Kooperation und Finanzierung friedens- und sicherheitspolitischer Maßnahmen. Bei allem Erfolg des chinesischen Modells sollte Europa jedoch nicht übersehen, dass Afrika dadurch weder stabiler noch friedvoller geworden ist. China hat zudem den Vorteil, dass es aufgrund seiner Lage weit weniger von Entwicklungen in Afrika betroffen sein wird. Der politische Dialog mit Afrika, der bislang nur wenig Resultate gebracht hat, wird für die Europäer unwichtiger und immer stärker durch einen Ansatz ersetzt, der vermeintlich schneller und einfacher zum Ziel führt. Dass viele afrikanische Regierungen an einem derartigen Dialog nicht interessiert sind, leistet dieser Entwicklung weiteren Vorschub. Für den Gipfel in Abidjan bedeuten diese Vorzeichen nichts Gutes, denn auch eine pragmatische und interessengeleitete Partnerschaft ist politischen Entwicklungen ausgesetzt, die lieber früher als später entsprechend adressiert werden müssen.

Florian Koch ist Koordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Afrikanische Union in Addis Abeba, Äthiopien.

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