Spanien – mehr als Mauren und Reconquista
Von Dr. Aide Rehbaum
Nicht nur in Ägypten haben Menschen riesige Steine aufeinandergeschichtet oder einzeln aufgestellt. Wie und warum gerade so, daran wird teilweise noch gerätselt. Sie denken an Obelix? Weit gefehlt, die Erbauer lebten viel früher. In Norddeutschland gibt es eine Ferienstraße zwischen Osnabrück und Oldenburg, die Straße der Megalithkultur, und zwischen Rügen und Berlin stolpert man immer mal wieder über Großsteingräber. Bekannter sind die Menhire in der Bretagne. Spanien ist weit mehr gesegnet.

Wie sich die Vorstellung bzw. deren Ausdruck über Europa verteilte, weiß man ebenso wenig wie die Transportweise der viele Tonnen wiegenden Steine. Die Dolmenstätten von Antequera zählen seit 2016 zum UNESCO-Welterbe: aus Jungsteinzeit (Dolmen von Menga 3750 bis 3650 v. Chr. ; Dolmen von Viera um 3500 bis 3000 v. Chr.). und der Kupferzeit der Tholos von El Romeral um 2500 v. Chr. Ein weiterer Hügel ist noch nicht ausgegraben.
Der Dolmen de Menga, (Megalithhügelgrab) misst im Durchmesser 50 m, ist aus Blöcken gefügt mit einem Gesamtgewicht von 1600 Tonnen, die größte Deckplatte wiegt 180 Tonnen. Als das Grab im 19. Jahrhundert geöffnet und untersucht wurde, fanden Archäologen darin die Skelette von mehreren hundert Menschen. In der durch Steinpfeiler gestützten Kammer befindet sich ein tiefer Schacht, der die Annahme stützt, dass es sich um eine Kultstätte gehandelt haben könnte.

Der Dolmen de Viera hat einen Korridor aus 27 Steinen. Dessen Decke ist von dicken Pfeilern gestützt. Während dieser Bau offenbar auf den in der Ebene sichtbaren Berg ausgerichtet war, dessen Umriss einem Gesicht ähnelt, war der Gang des Dolmens von Menga nach Ostsüdost orientiert, d. h. in etwa auf den Höchststand der Sonne im Juni. Häufig deutet die Forschung die Anlagen dieser Zeit als eine Art Kalender.
Die namengebende chalkolithische Siedlung Los Millares liegt auf einer Erhebung ca. 25 Kilometer nördlich von Almería zwischen Santa Fé de Mondújar und Gádor im Südosten Spaniens. Sie hatte in einer größeren Region Einfluss. Der Ort zeichnet sich dadurch aus, dass hier die größte Nekropole mit über 100 Kuppelgräbern mit der dazu gehörigen Siedlung ausgegraben wurde. Entdeckt hat sie 1891 ein Ingenieur anlässlich des Baus einer Eisenbahnlinie.

Ab 10 Uhr öffnet das Besucherzentrum, wo die einzige Erläuterung in Englisch ein magerer Flyer ist, abgesehen von den Tafeln im Gelände. Zumindest die Ausgrabungen 1949, 1953 und 1978-81 waren zweisprachig dokumentiert. Die Siedlung bedeckt eine Fläche von etwa fünf Hektar. Die innerste Mauer umschließt den als Herrschaftsresidenz gedeuteten Bereich. Davor lag der Wohn- und Handwerksbereich, den wiederum eine zweite Steinmauer mit Eingangstor von einer Erweiterung trennte. (Modell Jose Mª Yuste)
Die äußerste Mauer ist etwa zwei Meter dick und hat in unregelmäßigen Abständen halbrunde Bastionen und ein monumentales Eingangstor; sie umschließt Nekropole und Siedlungsplatz. Die äußerste Mauer wurde laut Radiokarbon-Datierungen zufolge um 3025 v. Chr. zerstört und danach wieder stärker errichtet.
Ein Stück der äußeren Mauer mit den daran klebenden Rundhütten zur Kupferverhüttung war am Rande des Areals anschaulich rekonstruiert. Das ist jedoch bei weitem noch nicht alles. Außerhalb des Stadtgebiets auf den umliegenden Hügeln befinden sich ca. dreizehn unterschiedlich große Befestigungen, die als Verteidigungsbauwerke gedeutet werden. Mal ist es nur ein Turm, mal ein richtiges Fort. Gegen welchen Feind mag man sich hier gewappnet haben. Leider war die größte Anlage umzäunt, kein Rankommen möglich, das Tor verschlossen und ein vermutlich mal vorbereiteter Besucherparkplatz zeigte sich durch tiefe Erosionsrinnen zerstört. Wie gut, dass ein spanischer Videofilm das Leben und die inneren Bereiche des Areals darzustellen versuchte.

Die Wissenschaft streitet sich, ob 1.000 oder sogar 5.000 Bewohner im Chalkolithikum hier lebten und einen einmaligen Blick auf ihr soziales Miteinander ermöglichen. In Deutschland kennen wir aus derselben Zeit selten mehr als Gräber, in denen die Toten in embryonaler Haltung bestattet lagen, mit glockenförmiger Keramik, Armschutzplatten der Bogenschützen und hie und da einem kupfernen Beil. Hier dagegen haben wir eine komplette Siedlung, die lange bestand, möglicherweise umkämpft war und von einer differenzierten Gesellschaft bewohnt wurde. Spaniens Geschichte beinhaltet abseits der üblichen Touristenrouten weit mehr als bunte Fliesen in maurischen Palästen und gigantische Kathedralen.