Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Peter Kurzeck: Und wo mein Haus?

Schon der Titel deutet an, dass es sich beim Autor um einen Meister des Weglassens handelt. Auf den für seine literarische Originalität prämierten Kurzeck stößt man eher zufällig. Zwölfbändig sollte seine Autobiografie werden, doch den achten Band hat der Verlag aus seinem Nachlass zusammengestellt. Kurzeck blickt darin auf die Nachkriegsjahre zurück. Als fünfjähriger Flüchtlingsjunge aus dem Sudetenland besucht er manchmal mit seiner Mutter Gießen. Der Gymnasiast der Herderschule ist dann Fahrschüler und Außenseiter. Jahrzehnte später besucht er mit seiner Familie die Stadt und registriert, was sich verändert hat. In diesem Rahmen, den er immer wieder aufgreift, eingebettet sind seine Beobachtungen als Angestellter im größten amerikanischen Versorgungszentrum Europas. Damals beschäftigen die Besatzer dort noch Displaced Persons, Entwurzelte, die den Einstieg ins normale Leben nicht schaffen, aber auch nicht in ihre Heimatländer zurückkehren.

Detailliert bis zur Absurdität schildert er den öden Alltag, die sinnentleerte Scheinbeschäftigung bis in die 60er Jahre. Der Leser muss Muttersprachler sein, sonst wird er irre, und ein selbständiges Ergänzen der Lücken wird voraussetzt. Ein Wort – Punkt, da fehlt der Hauptsatz, dort das Verb, Groß- und Kleinschreibung, Kommaregeln, aus Kurzeck sprudelt es ungehemmt von irgendwelchen sprachlichen Gesetzmäßigkeiten. Gedankenfragmente, die sich zu Metaphern verdichten wie Blitzlichter, die sich erst auf die Netzhaut brennen, nachdem der Blitz schon Geschichte ist. Poetische Wortschöpfungen oder -kombinationen, die in keinem Wörterbuch stehen. Ein Ausdruck wird aufs prägnante Minimum reduziert, dennoch wohl kalkuliert in der Wirkung.

Wenn sich der Leser an den Steinbruchstil gewöhnt hat, dann verliert er sich unweigerlich in dem Text. Hat man darüber hinaus die Stadt in derselben Zeit gekannt, muss man sich darauf gefasst machen, hineingezogen zu werden in die eigene Vergangenheit.

 

 

 

Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH
176 Seiten. Gebunden
€ 24,00 €[A] 24,70
ISBN: 978-3-89561-693-8

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