Mutti May

Das Chaos bei den britischen Tories könnte nicht nur Theresa May stärken, sondern auch die Labour Party in eine echte Zwickmühle bringen.

Theresa May

Der Brexit spaltet die britische Gesellschaft, die Tories und nun auch das Kabinett von Theresa May. Nur Tage nachdem die britische Premierministerin auf ihrem Landsitz in Chequers einen fein austarierten Kompromiss vorlegte, dem ihr Kabinett zustimmte, sind zwei der vehementesten Brexit-Befürworter, Brexitminister David Davies und der erratische Außenminister Boris Johnson zurückgetreten. In ihren pompösen und von Pathos triefenden Rücktrittsschreiben beklagen sie, die Premierministerin sei der EU zu weit entgegengekommen. Ihr Vorschlag werde Großbritannien in den Zustand einer faktischen Kolonie versetzen und den Traum des Brexit langsam ersticken.

Unterstützt wurden die beiden Ritter des Brexits in ihrem Unmut von einer schwer abzuschätzenden Zahl von konservativen Abgeordneten. Diese gaben teils offen, teils anonym ihren Ärger über das Kompromissdokument zum Besten. Allerdings war die Wut nicht so groß, dass sie die Premierministerin direkt angingen und ihr das Vertrauen entzogen. Paradoxerweise bedeutet das, dass der Rücktritt von Davis und Johnson, der Anfang der Woche wie der Anfang des Endes von Theresa May wirkte, letztlich Mays Position stärken könnte. Denn in Verbindung mit dem Zeitdruck der Brexitverhandlungen, könnte es May nun gelingen, die Partei auf Linie zu bringen.

Eine Ursache: Die Brexiteers konnten bislang außer wolkigen Fantasien und nostalgischen Formulierungen keinen Plan vorlegen, wie der Kurs Großbritanniens in Zukunft aussehen soll. Gleichzeitig drängen Wirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft immer heftiger auf ein Abkommen. Das so genannte No-Deal-Szenario, nach dem der Brexit ohne Folgeabkommen einfach passiert, ist dann doch zu abschreckend.

Wenn May damit erfolgreich sein sollte – und bei den Turbulenzen in der konservativen Partei ist das ein sehr großes „wenn“ – wird sich der Fokus vom bisherigen Tory Theater abwenden und auf die Labourpartei richten.

Deren Vorsitzenden Jeremy Corbyn ist es bislang ausgezeichnet gelungen, sich im Windschatten der chaotischen und zerstrittenen Tories zu bewegen und deren nicht vorhandene Brexitstrategie zu kritisieren. In Verbindung mit einer scharfen und berechtigten Kritik am maroden Zustand des britischen Gemeinwesens, konnte er so sein Profil schärfen und in den Umfragen aufholen. Inzwischen liegt Labour (wieder) gleichauf mit den Tories bei etwa 39 Prozent.

Doch bei genauerer Betrachtung weist die Strategie von Corbyn in Sachen Brexit ähnliche Widersprüche auf, wie die der Konservativen. Die Idee eines „Jobs-first-Brexit“ mit anhaltender Mitgliedschaft in Zollunion und Binnenmarkt, aber mit Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, ähnelt dem Kabinettskompromiss von May und stößt ebenso wie dieser auf Ablehnung in Brüssel.

Hinzu kommt: Labour vertritt nicht nur Wahlkreise die mit größter Mehrheit für den Austritt gestimmt haben, sondern auch die, die mit größter Mehrheit dagegen waren. In dieser Gemengelage ist es Corbyn und seinem Brexit Schattenminister Keir Starmer bislang nicht gelungen, eine Brücke zwischen beiden Lagern zu schlagen.

Dabei wäre dies durchaus machbar. Denn im Gegensatz zu Tories und Liberal Democrats hat Labour verstanden, dass das Brexitvotum zumindest auch in sozialen Missständen begründet ist und somit einem Herzensanliegen von Corbyn sehr nahe kommt. Stattdessen thematisiert aber auch Labour Fragen der Sozial- oder Gesundheitspolitik lieber isoliert vom Brexit und überlässt damit die Deutungshoheit den Konservativen.

In der eigenen Partei wird dieses Vorgehen inzwischen scharf kritisiert. Es ist sogar denkbar, dass Corbyn gezwungen sein wird, eine kontroverse inhaltliche Debatte zur Brexitpolitik auf dem Parteitag im September zuzulassen. Der Druck aus wichtigen Unterstützungsorganisationen wie Momentum oder auch den mächtigen Gewerkschaften in diese Richtung jedenfalls steigt.

Das ist der Grund, weshalb Mays Schwenk in Richtung eines „weicheren Brexits“ Labour in eine schwierige Lage bringt. Die Konservative Fraktion ist in dieser Frage zutiefst gespalten, doch steht aus Angst vor Neuwahlen und einem möglichen Sieg Corbyns bislang hinter der Premierministerin. Mays Strategie wird deshalb darauf hinauslaufen, in den kommenden Wochen eine Vereinbarung mit der EU zu verhandeln, die den vagen Labourvorstellungen in einigen Punkten ähnelt und diese dann nach dem Motto „Friss oder stirb“ ins Parlament einzubringen.

Wohlwissend, dass die Hardcore-Brexiteers auch ein No-Deal-Szenario in Kauf nehmen würden, wäre Labour in der verzwickten Situation entweder staatspolitische Verantwortung zu übernehmen – an was erinnert mich das nur? – oder das Land einer ungewissen Zukunft in der Hand einer Clique um Johnson und Konsorten zu überlassen. Denn selbst im Falle kurzfristiger Neuwahlen würde die Zeit bis zum Ablaufen der Verhandlungsfrist Ende 2018 kaum mehr ausreichen, um einen neuen – besseren – Brexit zu verhandeln. Die Krux: Nur wenn ein konkreter und glaubhafter Plan von Labour vorliegt, wie sie das Land aus diesem Schlamassel herausführen wollen, können sie sich Mays Plan verweigern.

Bevor also bei Labour die Korken über den neuen Clou im Tory Theater knallen, sollte der Blick nach innen gehen und die eigene Strategie zum Brexit geschärft werden.

Besonders wichtig für Labour wird dabei sein, nicht auf die Logik der Konservativen einzugehen und die EU-Verhandlungen als Brexit-Schlacht und Nullsummenspiel zu definieren, bei dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Stattdessen wird es notwendig sein, die Beziehungen zur EU – endlich einmal – als Akt des Zusammenstehens und des Vereinens von Kräften unter Gleichgesinnten darzustellen. Labour kann glaubhaft machen, dass eine enge Verbindung zwischen der EU und Großbritannien mehr ist als die Summe der einzelnen Teile.

Aber dafür muss Corbyn aus dem Schatten des Politspektakels um Johnson und Co heraustreten und den Britinnen und Briten eine glaubhafte Alternative anbieten.

Nicole Katsioulis leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in London. Zuvor leitete sie das Büro der Stiftung in Athen. Davor war sie für die Stiftung unter anderem als Referentin für Frankreich, Spanien und Portugal sowie als Leiterin des Forum Jugend und Politik in Nordrhein-Westfalen tätig.

 

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