Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes

Die Bologna-Entführung – Geraubt im Namen des Papstes (Originaltitel Rapito, internationaler Titel Kidnapped, beides für „entführt“, in Italien auch La conversione, etwa „Die Umdeutung“) ist ein historisches Filmdrama von Marco Bellocchio. Der Film ist von der Geschichte von Edgardo Mortara inspiriert, einem jüdischen Jungen, der 1858 aus seiner Familie genommen und unter der Obhut von Papst Pius IX. zum katholischen Glauben erzogen wurde. Der Film wurde im Mai 2023 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt.
Ein unglaublicher Fall von Antisemitismus erschüttert 1858 ganz Europa: Bewaffnete entführen im Auftrag von Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) den siebenjährigen jüdischen Jungen Edgardo Mortara (Enea Sala). Der Grund: Er soll als Baby ohne Wissen der Eltern christlich getauft worden sein. Beweise dafür legt die Kirche nicht vor. Zur Rechtfertigung nur so viel: Einmal katholisch, immer katholisch. Das Sakrament könne nicht zurückgenommen werden und der Junge dürfe nicht bei den Eltern bleiben, die man als Ungläubige diffamiert.

Im Jahr 1858 stürmen die Soldaten des Papstes das Haus der Familie Mortara im jüdischen Viertel von Bologna. Auf Befehl des Kardinals wollen sie Edgardo (Paolo Pierobon), deren siebenjährigen Sohn abholen. Das Kind soll als Baby heimlich von seiner Amme getauft worden sein und das päpstliche Gesetz ist unbestreitbar: Er muss eine katholische Erziehung erhalten. Edgardos erschütterte Eltern setzen alles daran, ihren Sohn zurückzubekommen. Unterstützt von der öffentlichen Meinung im liberalen Italien und der internationalen jüdischen Gemeinschaft, nimmt der Kampf der Mortaras schnell eine politische Dimension an. Doch die Kirche und der Papst weigern sich, das Kind zurückzugeben, um ihre zunehmend schwankende Macht zu festigen …
In bildstarken Parallelmontagen macht der Film deutlich, dass hier zwei Geschichten gleichzeitig erzählt werden, eine persönliche und eine politische. Die private lebt ganz von der Besetzung des jungen Hauptdarstellers Enea Sala. Er ist ein Kind, das ebenso unschuldig wie staunend auf die Welt blickt. Etwa in der starken Szene, als sich die Mutter nach dem ersten Besuch der Soldaten zu ihm mit feuchten Augen ins Bett legt, eindringlich mit ihm betet und ihn sanft in den Schlaf streichelt. Oder als er sich vom Vater Salomone (Fausto Russo Alesi) verabschieden muss, fassungslos flehend, aber ganz still, so als implodiere gerade lautlos ein Urvertrauen. Tatsächlich wird seine Miene versteinern und fast kein Gefühl mehr verraten, als er sich in sein Schicksal fügt, die Eltern beinahe vergisst und als junger Mann (nun gespielt von Leonardo Maltese) in einen Orden eintritt, wo er ausgerechnet die Juden und andere missionieren will.
Gern hätte man mehr erfahren über die genauen Mechanismen dieser Gehirnwäsche, über Hilflosigkeit, seelischen Zusammenbruch und manipulatives Umerziehen. Und warum das alles so schnell ging, ohne Proteste, Rebellion oder Fluchtversuche. Aber dafür nimmt sich der Film wenig Zeit, denn er will zugleich die ganze Komplexität des „Falles“ Edgardo Mortara aufrollen. Daher nehmen politische Verwicklungen einen ebenso großen Raum ein wie die persönlichen Seelenqualen, die sich hin und wieder plötzlich Bahn brechen, ohne dass man genau verstehen könnte, warum.
Nur eine Traumszene versinnbildlicht sehr gelungen die Zerrissenheit zwischen zwei Identitäten: Da geht der Junge in die Kirche und löst die Nägel vom Kreuz Jesu‘, an das ihn die Juden geschlagen haben. Der Heiland erwacht zum Leben und geht ganz friedlich an Edgardo vorbei, ohne Groll, wie zum Zeichen der Versöhnung zwischen beiden Religionen.
Genre: Historienfilm-Drama
Land/Jahr: Italien, Frankreich, Deutschland 2023
Regie: Marco Bellocchio
Darsteller: Paolo Pierobon, Fausto Russo Alesi, Barbara Ronchi
FSK ab 12
Länge 134 Min.