Größe, Pathos, Kunst, Erotik
Max Klingers Beethoven im Zentrum einer großen Ausstellung in Bonn
Von Gisbert Kuhn

Es geschieht gewiss eher selten, dass einem Museumsbesucher gleich beim Eintritt in den Hauptsaal der Atem stockt. So wie bei der gerade eröffneten großen Ausstellung zum 100. Todestag des Leipziger Skulpteurs, Malers, Graphikers und Zeichners Max Klinger (1857 – 1920) in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Ein warmes Halbdunkel umfängt den Gast sofort an der Pforte zur großen Halle, in der massige braune Säulen schräg nach oben bis an die Decke streben. Ein wenig Walhalla und ein bisschen Zauberwelt. Die Mystik wurde nicht zufällig geschaffen. Das Umfeld zwingt den Betrachter geradezu, sich sofort dem Glanzstück, Clou und Höhepunkt der Schau zuzuwenden. Es ist der von Klinger aus griechischem Marmor gehauene Beethoven.

Nun ist Ludwig van Beethoven in der einstigen Bundeshauptstadt ja natürlich nicht irgendwer. Vor 250 Jahren war der geniale Komponist hier geboren worden. Die Eltern stammten aus Mechelen, nördlich unweit von Brüssel im flämischen Landesteil des heutigen Belgien. Die Stadt Bonn hatte selbst geplant, dieses Jahr mit einem breit gefächerten kulturellen Programm zu feiern. Vieles, ja das meiste davon, fiel den vom Corona-Virus erzwungenen Einschränkungen zum Opfer. Jetzt ist die Klinger-Ausstellung die Krönung. Mit Klingers sicher ein wenig bombastischer und trotzdem genialer Beethoven-Kombination im Zentrum. Wie ein Altar wirkt das durch eine grelle Ausleuchtung aus dem Halbdunkel herausgehobene Denkmal aus etwa 20 Meter Entfernung. Wenige Schritte dahinter wölbt sich ein großer Bogen, der den Blick freigibt in einen strahlend leuchtenden Raum. In ein Elysium, vielleicht? Der Gedanke erscheint nicht abwegig, dass beim Entwerfen dieser beeindruckenden Kulisse die „Ode an die Freude“ Phantasie anregend war.
Natürlich reicht es nicht, den Künstler, sein Werk und Leben, auch nicht die Ausstellung in Bonn allein auf dieses Beethoven-Monument zu begrenzen. Aber es bildet den gewollten Blickfang. Und wohl auch die bekannteste Schöpfung dieses Künstlers aus der Sachsen-Metropole an der Pleiße, der um die Wende zum 20. Jahrhundert nicht nur in Deutschland gefeiert worden war ob seiner Statuen, Zeichenkunst, Grafiken und vielen Bilder. Aber genauso häufig an den Pranger gestellt von Vertretern des damaligen „Zeitgeists“ und skandalisiert wegen seiner für die wilhelminischen (und damit sozusagen offiziellen) Moralvorstellungen ungewöhnlich „unbefangenen“ Wiedergabe des nackten Körpers. Als „skandalös“ wurde das seinerzeit in weiten Kreisen verurteilt – nicht so sehr wegen seiner durchaus „lebensnahen“ Akt-Zeichnungen, sondern weil Klinger unter Zuhilfenahme des „bloßen“ Körpers auch soziale Probleme in der sich industrialisierenden Welt (z. B. Prostitution) ausleuchtete und slbst vor religiösen Themen (u. a. der gekreuzigte, nackte Christus) nicht Halt machte.

Klinger lässt sich persönlich und auch seine Kunst nicht eindeutig einordnen. Wenn man ihn darum – quasi allumfassend – als “Wegbereiter des deutschen Symbolismus“ bezeichnet, dann zeigt sich darin halt auch ein wenig die Schwierigkeit sowohl seiner Zeitgenossen und Kritiker als auch der folgenden Generationen, diesen Mann zu schablonisieren. Klinger besuchte zwar die Kunstakademie in Karlsruhe, war jedoch im Grunde Autodidakt. Aber er konnte (und wollte es offensichtlich auch) sich beeinflussen lassen. Von Künsten der unterschiedlichsten Art genauso wie von Persönlichkeiten. Etwa von Musik-Giganten wie Richard Wagner und Johannes Brahms, oder vom großen französischen Bildhauer und Maler Auguste Rodin. Klinger bewunderte Wagner und Brahms. Und er verewigte sie mit einer Technik, die wiederum Rodin zur Perfektion entwickelt hatte – non finito. Das heißt, er ließ die Köpfe der Komponisten gleichsam aus dem Marmor herauswachsen.
In der Bonner Kunsthalle ist das leicht zu finden, sobald der Besucher seinen Blick von dem beherrschenden Beethoven-Ensemble wendet. Dann fällt auch der elegant posierende Athlet ins Auge, bei dessen Darstellung der Einfluss Rodins auf Klinger nicht zu übersehen ist. Max Klinger hat sich zwischen 1883 und dem Beginn des 20. Jahrhunderts mehrfach über längere Zeiträume in Paris aufgehalten. Vermutlich hat er sich mit Auguste Rodin angefreundet. Auf jeden Fall ermöglichte er dem berühmten Franzosen zwei Ausstellungen in Deutschland und stellte ihm einige, auch wirtschaftlich lukrative, Verbindungen her.
Nicht zu übersehen sind auch die Wirkungen des um die Jahrhundertwende geradezu blühenden Jugendstils auf die Arbeiten des Leipziger Vielseitigkeits-Künstlers. Klinger pflegte enge Beziehungen zu Gustav Klimt, einem der bedeutendsten Vertreter des Wiener Jugendstils. Gemeinsam mit dessen Beethoven-Fries sollte Klingers soeben fertig gestellte, rund fünf Tonnen schwere Darstellung des Musik-Titans 1902 in Wien den Mittelpunkt der 14 Ausstellung der Wiener Sezession „in memoriam Beethoven“ bilden. 18 Jahre waren da vergangen, seit dem begabten Pianisten Max Klinger (angeblich beim Klavierspielen in Paris) erstmals die Idee zu „seinem“ Beethoven gekommen sein soll.

Aus 13 Teilen ist das Ensemble zusammengesetzt, wie Agnieszka Lulinska, die Kuratorin der Bonner Schau, fast ehrfürchtig erklärt. Trotz seiner Massigkeit wirkt es in der großen Halle gar nicht sonderlich ausladend. Der Thron mit den elegant geschwungenen und vergoldeten Armlehnen stammt aus einer Pariser Bronzegießerei, die (nackte) Beethoven-Figur selbst wurde aus griechischem Marmor gehauen, das um Unterleib und Knie geschlungene Tuch ist aus Südtiroler Alabaster. Das Ganze, wiederum, steht auf einem Fels, der in den Pyrenäen gebrochen wurde, genau wie der Marmor, aus dem der Adler entstand, dessen Augen aus Bernstein funkeln. Links und rechts der Schultern befinden sich vier Engelsköpfe aus Elfenbein, von denen einer die Gesichtszüge von Klingers langjähriger Lebensgefährtin, der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Elsa Asenijeff, trägt – jener Frau, mit der er eine gemeinsame Tochter hatte, die er aber nie heiratete und 1912 nach 15 Jahren des Zusammenseins wegen des sehr viel jüngeren Models Gertrud Bock verließ.

Klinger, Sex und Eros – auch das ist eine Kombination, die in den unterschiedlichsten Bereichen des Werks dieses Künstlers auftaucht. Erotik und deren ungeschminkte Darstellung war für ihn genauso wichtig, wie das Anprangern und Aufzeigen sozialer Missstände und Probleme. Das eine oder andere Mal, freilich, beugte er sich dennoch der Forderung nach Verhüllung. So sah er sich 1891 bei einer Präsentation seiner „Kreuzigung“ genötigt, ein Lendentuch über die Blöße des Heilands zu malen – eine Tat, die erst in den 1990-ern wieder korrigiert wurde.
Mit dieser Ausstellung ist der Bundeskunsthalle, ohne Frage, wieder ein großer Wurf gelungen. Eine Schau, zu deren Gelingen nicht zuletzt der Architekt Marcel Schmalgemeijer beitrug. Vor allem aber muss der Dank der Bonner dem Museum der bildenden Künste in Leipzig gelten, das nicht nur die kleinen und großen Exponate zur Verfügung stellte, sondern – wie die Vize-Direktorin des dortigen Bildermuseums, Jeannette Stoschet, ihn bezeichnete – „unsern Hausleipziger“ noch einmal auf Reise gehen ließ. Den Leipziger Beethoven. Zum allerletzten Mal.
HIER GEHTS ZUR FOTOSTRECKE MAX KLINGER:
Ausstellungsdauer:
- Oktober bis 31. Januar 2021
Ausstellungsort:
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
Heussallee/Museumsmeile
53113 Bonn
U-Bahn-Linien: 16, 63, 66 oder Bus-Linien 610, 611, 630
DB-Haltepunkt: UN-Campus hinter der Museumsmeile mit Bundeskunsthalle
Öffnungszeiten:
Di. u. Mi. 10 – 21 h
Do bis So 10 – 19 h
Feiertag 10 – 19 h
Eintritt:
10,80 € / ermäßigt 6,90 €
Informationen zum Programm und Anmeldung zu Gruppenführungen:
Tel: (+49)228 9171 243
Fax: (+49)228 9171 244
e-mail: vermittlung@bundeskunsthalle.de
Allgemeine Informationen (dt./engl)
Tel: (+49)228 9171 200
www. bundeskunsthalle.de
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