von Sharon D. Cohagan

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Sharon D. Cohagan

Tony Weber machte eine kurze Mittagspause. Drei Computer und ein offener Laptop standen auf seinem Schreibtisch, davor ein Teller mit einem Käsebrot und ein Becher Kaffee. Mittags waren die Telefone meist ruhiger, und er konnte sich in seinem bequemen Chefsessel von dem hektischen Morgen erholen. Die Tür zu seinem Büro war geschlossen, und dadurch bekam er nichts mit von den flackernden Bildschirmen, lärmenden Druckern und Telefonen gleich nebenan. Anderseits war er froh, dass es so viel Lärm gab. Denn es zeigte, dass seine kleine Computerfirma genug zu tun hatte. Das war nicht immer der Fall. Doch nun suchte er einen neuen Mitarbeiter. Oder eine Mitarbeiterin. Tonys Frau, Silke, war zwar theoretisch für eine weibliche Besetzung, aber ihre Eifersucht stand oft im Weg. Die einzigen Frauen in der Firma waren daher zwei seiner Schwestern und eine Mitte-Fünfzigerin, seine Sekretärin. Am Nachmittag waren zwei Vorstellungsgespräche geplant. Erst aber musste es etwas Ruhe geben. Fünf Minuten die Beine hochlegen. Darauf freute er sich. Leider kam es nicht dazu. Ohne anzuklopfen, rauschte plötzlich eine ältere Frau in sein Büro.

Tonys Sek,etärin stand mit rotem Kopf in der Tür hinter ihr.
„Tut mir leid, Tony. Sie ist einfach…“
Tony machte ein Handzeichen, und seine Sekretärin schloss leise die Tür.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Er schob sein angebissenes Käsebrot beiseite.
„Erstens, könnten Sie aufstehen und mich anständig begrüßen.“

Die Frau sah ihn über ihre Brille hinweg an. Sie hatte hellblaue Augen denen Tony nicht ausweichen konnte.
„Weber. Tony Weber.“ Seine Stimme zitterte ein wenig, genau wie sein ausgestreckter Arm. Sie erinnerte ihn an eine gefürchtete Grundschullehrerin. „Und Sie sind…?“
„Frings. Marie Frings. Guten Tag.“
„Ah, guten Tag, Frau Frings.“
Fräulein Frings. Darauf lege ich Wert.“ Sie setzte sich unaufgefordert hin, strich ihren Rock glatt und lächelte ihn an.

Tony Weber blickte auf seinen Handy-Kalender. Silke hatte den Termin gemacht. Typisch Silke! Wenn eine neue Mitarbeiterin, dann eine ältere.
„Genau. Marie Frings. Sie hatten sich bei meiner Frau angemeldet. Allerdings für 14 Uhr. Jetzt haben wir erst 13 Uhr.“
„Dreizehn ist meine Glückszahl.“

 Das wird ein kurzes Vorstellungsgespräch, dachte Tony. Er musterte die Dame, ja, eine Dame, ob Frau oder Fräulein. Sie saß aufrecht in ihrem grauen Rock und Lila Twin-Set. Eine Perlenkette trug sie.“Wie eine Oma, dachte er. Genau. Wie meine Ur-Oma. Silke, das wirst du mir büßen! Was will diese Frau hier, in meiner Computerfirma?

„Ich will wieder arbeiten gehen, “ sagte sie, als ob er seine Frage laut gestellt hätte. „Meine kleine Rente aufbessern, wissen Sie?“

„Nun, Frau, err, Fräulein Frings. Sie wissen schon was für eine Firma das hier ist?“

„Junger Mann! Herr Weber, glauben Sie mir, ich weiß wie man sich für ein Vorstellungsgespräch vorbereitet. Man lernt vorher so viel wie möglich über die Firma. Natürlich weiß ich, dass Sie mit Computern arbeiten.“

 

Tonys Handy meldete sich mit zwei kurzen Tönen. „Entschuldigung,“ sagte er und drehte sich zur Seite.
Er telefonierte und wippte in seinem Stuhl. Er überlegte was er Silke am Abend sagen würde. Ab und zu warf er einen Blick auf die Bewerberin. Seine Augen folgten ihrem Kopf als sie sich in seinem Büro umsah. Die Leder-Sitzgruppe in der Ecke, die Lampen, die teuren Teppiche und das Portrait in dem üppig verziertem Rahmen.

„Mein Großvater.“
„Am Telefon?“
„Nein. Sie haben das Portrait angesehen. Das ist mein Großvater. Er hat mir das Mobiliar vererbt.“ Mit einer ausholenden Handbewegung, zeigte Tony auf sein Inventar. „Er hat an mich geglaubt.“

Er drehte sich wieder zu ihr. „Fräulein Frings, wir suchen eine erfahrene Kraft für die Firma. Sie hatten unser Inserat gesehen?“
„Ja. Das mit der dampfenden Tasse. Nun, hier bin ich.“

Tony nahm einen Schluck Kaffee und bemerkte Fräulein Frings‘ Blick.
„Möchten Sie auch einen Kaffee,“ fragte er leise, wie ein getadeltes Kind.
„Sehr gern. Aber eine Tasse, bitte.“

Tonys Becher war ein Werbegeschenk mit dem JAVA logo darauf, eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Irgendwann würde er auch Becher mit eigenem Logo haben.
„Wir haben nur solche Becher. Aber ich könnte ihn nur halbvoll machen.“
Er setze ein kleines Tablett mit Becher, Milchkännchen und Zucker vor Fräulein Frings ab.

„Ich vertrage nicht so viel Java am Nachmittag,“ sagte sie, als sie Milch und Zucker hinein rührte.
„Hmm,“ murmelte Tony nur. Er war etwas überrascht von der Ausdrucksweise der Bewerberin. Amerikanische Wortwahl passte nicht zu ihr. Auch altmodischer Slang nicht. Wann hat er zuletzt das Wort „Java“ statt „Kaffee“ gehört? Und auch noch – so richtig ausgesprochen, mit amerikanischer Aussprache. Tony überflog seinen Bildschirm und tippte schnell etwas in den PC.

„Der ist amerikanisch, nicht?“ Fräulein Frings hob ihren Becher hoch.

„Ja.“

„So typisch. Die Amerikaner benutzen oft keine Untertassen. Der Becher zeigt aber eine Tasse mit Untertasse. Als ob ein Bild genug wäre. Keine Untertasse –   wohin mit dem Löffel?“

Sie hielt ihren benutzten Kaffeelöffel in die Höhe. Dann legte sie ihn auf dem Tablett ab. Tony sah ihr zu, während sie ihren Rock über den Knien glättete. Sie stellte ihre Handtasche auf den Schoß.

Ah, nun wird sie ihre Bewerbungsunterlagen rausrücken, dachte Tony.

„Sie haben IT Erfahrung? Ich meine, wir arbeiten nicht mehr mit Lochkarten.“ Er unterdrückte ein Schmunzeln. Mit einer Hand, tippte er nun etwas in seinen Laptop. Dann sammelte er Brotkrümel mit seinem Zeigefinger zu einem Häufchen. „Und Auslandserfahrung?“

„Ich habe zehn Jahre in den USA gelebt. In Kalifornien gearbeitet. The Valley. Sagt Ihnen das was?“

Tony Webers Augen wurden größer. „Allerdings.“

Es war schon länger sein Traum im Silicon Valley zu arbeiten. Selber hatte er das nicht geschafft. Es gab zu viele Hindernisse. Zuletzt Silke und die Zwillinge. Vielleicht hat Fräulein Frings noch wichtige Kontakte. „Und haben Sie dort richtig gearbeitet?“

„Oh, ja. Ich fing bei einem an, dann wurde ich abgeworben. Deutsche Gründlichkeit haben sie dort sehr geschätzt.“

Ein Klingelton meldete eine einkommende Email an, aber Tony ignorierte ihn.

„Mit Arbeitsvisum und allem?“

Marie Frings schüttelte ihren Kopf, schnalzte mit der Zunge. „Aber Herr Weber. Sie wissen wie es dort läuft.“

Tonys Handy vibrierte, nahm Kurs auf das Brotkrümelhäufchen. Tony unterdrückte den Anruf und beugte sich nach vorn. „Wie kam es denn dazu?“

Marie Frings lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie sackte ein wenig zusammen, als ob sie sich unsichtbar machen wollte. Sie bewegte die Lippen und fingerte an ihrer Perlenkette, als wäre sie ihr Rosenkranz. In dem Moment, erinnerte Tony sich an den Namen seiner gefürchtete Lehrerin. Fräulein Rosen.

 „Wir kennen uns nicht. Ich rede ungern darüber, aber so viel kann ich Ihnen sagen. Ich hatte mich verliebt. Leider war er ein Gauner. Ohne es zu wollen, musste ich auch den Behörden aus dem Wege gehen, unter dem Radar leben. Mich verstecken. Eines Tages hatte ich genug. Ich wollte ein neues Leben anfangen. So reiste ich nach Südkalifornien, zum Valley.“

Tony runzelte die Stirn. „Ich dachte, Silicon Valley liegt in Nordkalifornien, bei San Francisco.“

„Das ist richtig.“

„Aber Sie sagten gerade, dass sie nach Südkalifornien gingen.“

Fräulein Frings richtete sich kerzengerade auf. Sie klammerte sich an ihre Handtasche auf dem Schoß.

„Herr Weber. Es ist wirklich nicht der Zeitpunkt für Geographie Unterricht! Ich war in Los Angeles, San Fernando Valley. The Valley genannt.“

 

Tony Weber klappte seinen Laptop zu. Nichts mit Silicon Valley. Er seufzte und lehnte sich weit in seinem Sessel zurück. Sein rechter Daumen verwischte das Brotkrümelhäufchen und sie rieselten auf den Boden.

„Herr Weber, Ihr Inserat war kurz und bündig. Nun sollten Sie auch so schnell ihre Entscheidung treffen. Und mich einstellen. Hier gibt es viel zu tun, wie ich sehe.“

„Können Sie mir sagen, warum ich Sie anstellen soll?“

„Ah, ha! Genau so steht es in dem Buch darüber wie man sich für ein Vorstellungsgespräch vorbereitet. Ich wusste, dass Sie das fragen würden. Ja, Herr Weber, warum bin ich die Beste für Sie? Ich bin fleißig…komme eher früher als später zur Arbeit. Ich kenne mich seit über vierzig Jahren in Raumpflege aus. Ihre Lampen könnten übrigens ein Staubtuch gebrauchen. Und hier…“, sie zeigte auf den Flecken und die Krümel auf dem Teppich. „Ja, es gibt viel zu tun. Aber am wichtigsten, wie es in ihrem Inserat steht – sogar mit Bild – kenne ich mich mit Java aus. Ich bereite den besten Kaffee weit und breit zu.“

 

Kurzvita

Sharon D. Cohagan, geb. in Kalifornien, USA; lebt heute in Bonn. Schreibt Lyrik und Kurzgeschichten. Veröffentlichungen in Hörbüchern, Anthologien, Sammelbänden, Monatsblättern „Lyrik in Köln“ und zwei eigenen Gedichtbänden. Teilnahme an Lesungen, Radio Sendungen und Poetry Slams. Leitet eine Gruppe für Kreatives Schreiben.

 

 

 

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