„Herzstück“ der „Lindenstraße“ dauerhaft im Bonner „Haus der Geschichte“

Von Gisbert Kuhn

Plakat zur Ausstellung ©seppspiegl

Sonntags, früher Abend, 18:30 Uhr, Fernsehzeit mit der ARD. Das war 35 Jahre lang praktisch Pflichttermin für Millionen Bundesbürger. Für Singles gleichermaßen wie für Großfamilien. In den Programm-Zeitschriften ist zu der Stunde „Die Lindenstraße“ ausgewiesen. Na gut, von einem Straßenfeger zu sprechen, wäre vermutlich ein wenig übertrieben. Aber dass die vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) über dreieinhalb Jahrzehnte ausgestrahlte Serie ein Millionenpublikum fesselte, mitunter an sich band und sogar heiße Kontroversen in der Gesellschaft auslöste, ist unbestreitbar. Nach 1 758 Folgen entschied der WDR, im Frühjahr 2020 den Dauerbrenner einzustellen. Zwar löste die Entscheidung einen wahren Sturm von Protesten aus, aber die „Quote“ stellte die WDR-Oberen halt nicht mehr zufrieden. Außerdem befanden sie, das Konzept der bislang erfolgreichsten deutschen Seifenoper sei antiquiert und damit überholt.

Um konkret zu sein: Vom 8. Dezember 1985 bis zur letzten Folge am 29. März 2020 stritten und diskutierten die Bewohner der fiktiven „Lindenstraße“ nicht nur über banale Alltäglichkeiten, sondern engagiert und zuweilen auch erbittert über tagesaktuelle Probleme und gesellschaftliche Fragen – von Rechtextremismus und Sterbehilfe, über vegane Ernährung und Klimawandel bis zum Bekenntnis zur Homosexualität. Die „Lindenstraße“ war zweifellos Unterhaltung, aber – sozusagen im Kleinen – zugleich ein Spiegelbild der Öffentlichkeit und deren jeweiliger Befindlichkeit. Und mittendrin Mutter Beimer in ihrer Küche.

Von Anfang bis Ende gespielt

Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan), in der Küche der Ausstellung ©seppspiegl

Die von Beginn bis Ende von der Schauspielerin Marie-Luise Marjan verkörperte Figur der meist resoluten, wenn nötig aber auch mitfühlenden und – je nach Bedarf –  fröhlichen oder deprimierten Helga Beimer hat sich in der breiten deutschen Öffentlichkeit eingebrannt; sozusagen im Sinne einer Mutter der Nation. Und das dürfte auch für einen Kulissenraum gelten, in dem sich die oft genug dramatischen Szenen abspielten – die Küche, das Herzstück der Kulissenwohnung. Diese Küche ist jetzt tatsächlich für jedermann zugänglich. Nämlich im Bonner „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Prof. Hans Walter Hütter, der rührige Chef des Museums mit der weitaus höchsten Besucherzahl in Deutschland, und seine emsige Mannschaft hatten sich dieses zentrale Stück der Serie unmittelbar nach Bekanntgabe der Sende-Einstellung gesichert.

Und da steht nun das gute Stück Möblierung (Baujahr 2005) im kleinen Ausstellungsraum des Bonner Geschichtshauses. Und natürlich wiederum mittendrin, zur Eröffnung nämlich, Marie-Luise Marjan alias Mutter Beimer. In grün-türkis gehalten sind die Schränke, Kommoden und Verkleidungen von Herd und Spülmaschine. Tisch, Stühle und Fußboden in hellbraun-rötlichem Terracotta. Sogar die berühmte Eisenpfanne hat den Weg in die museale Ewigkeit nach Bonn gefunden, in der „Helga Beimer“  (Marjan: „Das ist für die Zuschauer über die Jahre zu einem Synonym für meinen zu spielenden Gemütszustand geworden“) sich jedes Mal ein Spiegelei briet, wenn die Laune wieder am Tiefpunkt angekommen war.

Ein Stück deutscher TV-Geschichte

Stiftungspräsident Hans Walter Huetter und Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan), in der Küche der Ausstellung ©seppspiegl

Die Präsentation der „Lindenstraße“-Requisiten (Titel: „Erfolg in Serie“) in Anwesenheit der Hauptprotagonistin entwickelt sich zu einem regelrechten Erzähl-Spaziergang durch ein nicht unbedeutendes Stück deutscher Fernseh-Geschichte. Das beginnt schon damit, dass diese „Seifenoper“ zwar in München spielte, aber in Köln gedreht und ausgestrahlt wurde. „Der bayerischen Produktionsfirma ´Bavaria´, berichtet Marie-Luise Marjan, „gefiel das von dem Erfolgsregisseur und -autor Hans W. Geißendörfer entwickelte Konzept nicht“. Das Unternehmen habe darin keine „Erfolgsnummer“ gesehen und es darum abgelehnt. „Zum Glück“ sei damals der WDR eingesprungen. Marjan: „Es war vor allem der seinerzeitige Intendant, Friedrich Nowottny, der uns unterstützte. Er glaubte einfach an uns“. Nowottny, auf diese Sätze angesprochen, bestätigt die Erinnerung von „Mutter Beimer“: „Das war so etwas absolut Neues und Interessantes im deutschen Fernsehen, dass man es einfach machen musste. Aber das war auch bei uns nicht einfach. Ich musste im Sender für die „Lindenstraße“ manche Schlacht schlagen“.

Tatsächlich entwickelte sich die Reihe zu einem fortgesetzten Erfolg. Dazu einige Zahlen: 1758 Folgen (Wiederholungen nicht mitgezählt) wurden in den 35 Jahren ausgestrahlt, 42 Autoren verfassten die Drehbücher, 37 Hochzeiten und 21 Geburten wurden gefeiert sowie 55 Todesfälle beklagt, 183 Rollen waren durchgehend besetzt und insgesamt 7022 Drehtage nötig. Länge der (Kulissen-)“Lindenstraße“: 150 Meter. Gibt es ein Geheimnis, vielleicht auch nur eine einfach Erklärung, für diese einzigartige Erfolgsstory? Für Marie-Luise Marjan liegt die Antwort auf der Hand: „Unser Ehrgeiz lag darin, stets aktuell zu sein. Wir griffen Themen auf, über die gerade gestritten wurde. Die Zuschauer sollten sehen, dass wir uns in ihrer, und nicht in einer Scheinwelt, bewegen“. Das galt für gesellschaftliche Themen genau wie für politische Probleme.

Von AIDS bis zum rechten Terror

Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan), zeigt auf das Restaurantschild Akropolis in der Ausstellung ©seppspiegl

Ein „Gradmesser der gesellschaftlichen Befindlichkeit in Deutschland“ habe die „Lindenstraße“ sein wollen. Und so wurde sie von der breiten Öffentlichkeit anscheinend auch empfunden. Als zum Beispiel hierzulande das AIDS-Virus grassierte und teilweise Panik auslöste, griff auch die „Lindenstraße“ die Ängste auf und wandte sich den damit verbundenen speziellen Problemen von Randgruppen, etwa Homosexuellen, zu. Veganismus, Sterbehilfe, politische Vorgänge wie die Wiedervereinigung, Rechtsradikalismus und die NSU-Terrormorde – nichts blieb in der „Seifenoper“ unbeachtet. Ein spezielles Recherche-Team, berichtet die Schauspielerin, sei allein damit beschäftigt gewesen, „immer aktuell am Themenball zu sein“ und die neuesten gesellschaftlichen Entwicklungen, bis hin zu den neuesten Wahlergebnissen, zu melden. Im Klartext: Die „Hauptgeschichte“ wurde bis zu drei Monate vor der Ausstrahlung produziert. Am Ende, hingegen, sei es nicht selten „richtig hektisch“ zugegangen. „Wir haben“, erzählt die Ex-Mutter-Beimer, „bis zu 13 verschiedene Versionen gedreht, weil sich auch in der Realität draußen so viel bewegte“.

Die Küche von Mutter Beimer in der Ausstellung ©seppspiegl

Und was geschieht mit der „Küche der Nation“ und den anderen einstigen Ausstattungsstücken der „Lindenstraße“? Nach dem Ende der Ausstellung werden Sie im Depot des Hauses der Geschichte gelagert – bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine spezielle Dokumentation die passende Präsentation erfordert. Die einstige „Mutter Beimer“ kann, noch einmal am Tisch „ihrer“ Küche sitzend, Stolz und Rührung nicht verbergen. Sie will es auch gar nicht: „Schließlich haben wir mit unserer Arbeit ein wichtiges Stück deutscher Fernsehgeschichte geschrieben. Zudem zeigen mir selbst heute noch Reaktionen aus der Bevölkerung, dass es uns offensichtlich gelungen ist, den Menschen nahe zu kommen.“

Ausstellung

„Erfolg in Serie – Die Lindenstraße“

Haus der Geschichte präsentiert Objekte aus der Kultserie

Zeitraum: 17. 09. 2020 bis 31. 01. 2021

„Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“

53113 Willy-Brandt-Allee 14

Tel.: 0228 9165109   

 

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