Haus der Geschichte geht der Frage nach, was “Heimat” den Menschen bedeutet

Von Gisbert Kuhn

„Wer bin ich?“ ©seppspiegl

Es hat schon etwas von einem Kulturkampf, der gegenwärtig in Deutschland ausgefochten wird. Welche Wörter, Begriffe, Redensarten und Floskeln, die traditionell zu unserer Sprache gehören und diese nicht selten auch bunt und geschmeidig machen, dürfen jetzt und in Zukunft noch gebraucht werden? Damit sich bestimmte Minderheiten – Hautfarbe, Religion, unterschiedlich sexuell Selbstbestimmte, Herkunft usw. – nicht diskriminiert fühlen müssen? Politische Korrektheit sei das, heißt es. Ist, beispielsweise, die Berliner U-Bahn-Haltestelle Mohrenstraße für Schwarzafrikaner beleidigend. Gehört mithin “Schwarzarbeit” unbedingt auch in die sprachpolizeiliche Tonne gesteckt? Es ist derzeit, keine Frage, viel eifernder Unsinn unterwegs hierzulande – nicht zuletzt in den diversen Foren der sich selbst “sozial” nennenden Kommunikationsnetzen.

Viel ernster, damit – ohne Zweifel – seriöser und entsprechend natürlich auch tiefer gehend sind die Fragen, die sich um den Begriff “Heimat” ranken. Zumal es sich dabei keineswegs um eine modisch-modernistisch anmutende Diskussion wie etwa um das so genannte Gender-Sternchen handelt. Das Wort “Heimat” gibt es nur in der deutschen Sprache. Ist es deshalb kein Zufall, dass auch bloß hierzulande seit nzun nahezu mehr als 200 Jahren praktisch ohne Unterbrechung der Versuch unternommen wird, eine möglichst stimmige Antwort zu ergründen, was denn wohl den Wesenskern von “Heimat” ausmacht?

Es gibt nicht “die eine” Antwort

Schlüsselbund einer Flüchtlingsfamilie aus Schlesien ©seppspiegl

Die einfache (und richtige) Antwort könnte natürlich sein, dass es keine “einzige” Antwort darauf gibt. Was das 19. Jahrhundert in Bild, Schrift und Lied mit “Heimat” verband, hat wenig bis gar nichts mehr zu tun mit den Postkarten, welche die Soldaten aus dem Schützengräben des 1. Weltkriegs in die “Heimat” sandten. Und die nationalistische Überhöhung durch die Nazis ist ganz gewiss einer der Hauptgründe dafür, dass sich nicht erst die heutige Generation in Deutschland schwer damit tut, sich unbefangen des Begriffs zu bedienen.

So gesehen hat das Bonner “Haus der Geschichte der der Bundesrepublik Deutschland” das ebenso spannende, wie schwierige, aber auch verdienstvolle Experiment unternommen, in einer denkbar größtmöglichen Breite auszuloten, was Menschen unter “Heimat” verstehen, was sie vielleicht schon bei der bloßen Erwähnung verspüren, was möglicherweise ihre künstlerische Fantasie weckt, was Vertreibung oder Flucht körperlich und/oder seelisch bei ihnen ausgelöst hat, was Migranten oder deren Nachfolger bei der Erfahrung empfinden, weder in der neuen, noch in der alten Heimat auf- und angenommen zu sein. “Heimat” heißt entsprechend die (mit Corona bedingter Verspätung) soeben eröffnete umfangreiche, neue Wechselausstellung. Es ist zugleich die letzte Schau in der Regie von Prof. Walter Hütter, der 35 Jahre lang dem Haus in unterschiedlichen Funktionen angehörte und es seit 2007 leitete. Der Historiker verabschiedet sich am 31. Dezember in den Ruhestand.

“Heimat” hat Konjunktur

“Heimat” – der Begriff hat Konjunktur. Nicht erst in unseren Jahren. Aber mittlerweile im Wesentlichen positiv besetzt. Ganz anders als zu Zeiten der Studentenrevolte Ende der 70-er und in den 70-er Jahren, als die von den nach dem Krieg von den Flüchtlingen und Vertriebenen geäußerte Sehnsucht nach dem Verlorenen nicht selten als “Revanchismus” und “Ostlandreiterei” ausgelegt und verunglimpft wurde. Inzwischen hat die Politik, hat jedoch auch die Werbewirtschaft längst den Wertewandel bemerkt, den das Wort “Heimat” im Laufe der Jahre durchlief. Internationalisierung und Globalisierung lösten ganz offensichtlich in den Menschen Gegenbewegungen aus – das heimische Umfeld, Familie, Freunde, Landschaft, Gewohnheiten erhielten wieder hohe Bedeutungen.

„Wie riecht Heimat?“ ©seppspiegl

Die Ausstellung im Haus der Geschichte begnügt sich jedoch nicht mit traditionellen Umschreibungen von “Heimat'”. Sie gräbt tiefer und breiter. Natürlich zieht sich wie ein roter Faden die Frage nach dem “was ist Heimat”. Ist sie ein Gefühl, wie schaut sie aus, wie riecht sie, wie hört sie sich an? Aber Deutschland hat sich sehr verändert seit dem Neuanfang nach 1945. Millionen von Migranten (freiwillig gekommen als Arbeitskräfte oder geflohen vor Krieg, Gewalt und Hunger) gehören längst zu unserer Gesellschaft. Sie bereichern dass Leben und machen es auf vielfältige Weise bunter. Doch zugleich verbinden sich mit ihnen erhebliche Herausforderungen im Verhältnis zur “alten” Gesellschaft. Was empfinden etwa die in zweiter und dritter Generation Geborenen als Heimat? Wenn sie weder in ihrem Geburtsland, noch im Herkunftsland der Eltern integriert oder auch nur akzeptiert werden?

Dirndl aus afrikanischem Stoff

“Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben”. Um einen solchen Satz zu formulieren, muss ein Mensch über eine entsprechende Erfahrung verfügen. So wie der Schriftsteller, Philosoph und Überlebende des Holocausts, Jean Améry. Nicht zuletzt wegen solcher Erkenntnisse steht die Bonner Ausstellung unter dem Motto: “Heimat. Eine Suche”. Die Museumsleute stellen sich denn auch der Herausforderung, möglichst die ganze Breite der Diskussionsthemen abzudecken (oder wenigstens anzusprechen), die mit dem “Heimat”-Begriff verbunden sind: Von der romantischen Umkränzung des 19. Jahrhunderts über die Ideologie der “Volksgemeinschaft” des 3. Reichs sowie der anschließenden Rührseligkeit der Alpen- und Wildererfilme und Liedern wie “Heimat, deine Sterne” oder Freddy Quinns “Heimatlos sind Viele auf der Welt”. Von Migrationsbewegungen im Völkerwanderungs-Format bis zur politisch begründeten “Notwendigkeit”, im Rheinland oder in der Lausitz ganze Dörfer (und damit Lebensmittelpunkte) vom Braunkohle-Bagger abräumen zu lassen. Davon erzählen Hans Josef Dederichs aus Erkelenz und die Sorbin Edith Penk aus der Lausitz. Und davon künden zahlreiche Exponate wie zum Beispiel eine ehemalige Theaterkulisse aus einem verschwundenen sorbischen Gasthaus. Sie reden ihre eigene, überzeugende, Sprache.

Traditionelle Dirndl aus afrikanischen Stoffen. Zwei Schwestern aus Kamerun gruendeten ein Modelabel in Muenchen ©seppspiegl

Ein Dirndl als Beleg dafür, dass scheinbar unvereinbar Gegensätzliches doch zusammenpasst? Die Schwestern Marie Darouiche und Ramée Wetterich sind in Kamerun aufgewachsen. Heute fertigen sie in München traditionelle bayerische Dirndl – aus afrikanischen Stoffen. Und sehen dies als Hommage an ihre “beiden Heimaten”. 2017 erhielten die Schwestern den Münchener Volkskultur Preis. Noch einmal: Was ist “Heimat”? Ein Gefühl, sagen die einen. Man könne es schmecken und riechen, meinen andere. Es hänge mit einem bestimmten Ort zusammen, argumentieren die dritten. Die Ausstellung versucht, dies mit dem Beispiel der Stadt Köln zu dokumentieren – mit zahlreichen Nachweisen, dass Heimatbewusstsein vielfach mit Traditionen verwoben ist. Etwa mit dem kölschen Karneval. Am Eingang in diesen Themenraum sitzt ein trauriger Karnevals-Jeck. Traurig, weil die Corona-Seuche die Narren-Fröhlichkeit vernichtet hat. Verlust von geliebter Heimat?

Die KZ-Kleidung lebenslang aufbewahrt

Seine Häftlingskleidung aus dem KZ Auschwitz bewahrt Leo Sachs in einem Koffer auf. Er kehrt nach der Befreiung 1945 zurück nach Koeln. ©seppspiegl

Um sich diese Ausstellung wirklich ganz zu “erarbeiten”, bedarf es gewiss mehr als nur eines Besuchs. 600 Exponate erwarten die Besucher. Jeder Themenkomplex ermuntert zum Nachdenken, hält Überraschungen bereit. Die Geschichte des gebürtigen Kölners Leo Sachs gehört, ohne jeden Zweifel, dazu. Sachs war Jude, die Nazis führten ihn ihrer Vernichtungsmaschinerie zu; er verlor seine Frau und zwei Söhne. Er selbst überlebte, kehrte 1945 in die Geburtsstadt zurück und baute dort die jüdische Gemeinde wieder auf. Nach seinem Tod fand die Tochter auf dem Dachboden einen Koffer. In ihm hatte Sachs die ganzen Jahre über seine Sträflingskleidung aufgehoben, ohne je darüber zu sprechen. Welche Gefühle beschleichen hier den Besucher? Oder muss er nicht, geradezu zwangsläufig, nachdenklich werden, wenn zwei Gegenstände den Blick anziehen – eine Kippa und eine Baseball-Mütze. An sich nichts Besonderes. In diesem Fall aber erzählen sie von der Angst eines jungen Mannes, sich im deutschen Straßenbild noch mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung sehen zu lassen. Lieber bedeckt er die Kippa mit der Basecap. Deutschland im 20. Jahrhundert…

Fazit: Heimat bedeutet in Deutschland ganz sicher die Bewahrung von Brauchtum, von Landschaft, von Kultur und herrlichen Gebäuden. Heimat wird in Deutschland aber auch zerstört. Auf brutalste Weise. Durch Mordserien wie sie die Täter vom NSU oder der Attentäter von Hanau begingen. Heimat bedeutet vermutlich für jeden Mitbürger etwas speziell Eigenes. Die neue Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte kann bei der Suche danach mithelfen.

Heimat. Eine Suche.
11. 12. 2021 – 25. 09. 2022
Öffnungszeiten:
Di. – Fr. 9 – 19 h
Sa./So. und Feiertage 18 – 18 h
Eintritt frei
53113 Bonn, Willy-Brandt-Allee 14

 

Die Öffnungszeiten zum Jahreswechsel:

 Heiligabend, 24. 12. 2021 und Silvester, 31.12.2021 bleibt das Haus der Geschichte geschlossen.

 Vom 25. Dezember 2021 bis 2. Januar 2022 ist das Museum von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet, also auch am 2. Weihnachtsfeiertag und Neujahr.

 Montags, 27. Dezember 2021 und am 3. Januar 2022 ist das Museum regulär geschlossen.

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