Die Amerikanerin

von Dr. Thomas Greven

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Hillary Clinton

Die Kandidatur Donald Trumps implodiert. Kann sich Hillary Clinton nun zurücklehnen, weiter Geld einsammeln und am 8. November den demographischen Vorteil der Demokraten auskosten? Sie wird nun auch um als sicher als Republikanisch deklarierte Staaten wie Georgia und Arizona kämpfen. Braucht sie die Unterstützung ihres vormals so hartnäckigen Rivalen Bernie Sanders und dessen Anhängern überhaupt noch (über 13 Millionen Wählerinnen und Wähler bei den Vorwahlen, mithin 43 Prozent der Stimmen)? Was wird aus Bernies „politischer Revolution“?

Klar ist, dass sich Sanders und seine Anhänger im Demokratischen Wahlprogramm bei einigen wesentlichen Punkten durchgesetzt haben; Hillary Clinton ist bei bestimmten Fragen weiter nach links gerückt als von ihren Ratgebern für die Hauptwahl als ratsam erachtet. Für die tatsächliche Politik des Weißen Hauses hat das Wahlprogramm nur eine orientierende Bedeutung. Aber es ist trotzdem erhellend, zu sehen, wo Sanders punkten konnte und wo nicht: 15 Dollar Mindestlohn, an die Inflation gekoppelt; steuerfinanzierte Erstausbildung an staatlichen Colleges; 50 Prozent erneuerbare Energien binnen zehn Jahren; umfassende Reform der Einwanderungsgesetzgebung mit Wegen zur Staatsbürgerschaft; umfassende Justizreform. Doch zur Zerschlagung der Großbanken wird es selbstverständlich nicht kommen; vielleicht immerhin zur erneuten Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken (unter Bill Clinton aufgehoben). Auch in der Außenpolitik bleiben erhebliche Leerstellen. So kritisieren zum Beispiel viele Sanders-Anhänger die Demokratischen Positionen zum Israel-Palästina-Konflikt als unzureichend. Vor allem aber versucht die Regierung von Barack Obama, durch eine Abstimmung nach dem Wahltermin im November, aber vor Amtsantritt des neugewählten Kongresses, die umstrittene Transpazifische Partnerschaft (TPP) doch noch durchzubekommen. Ein „lame duck Congress“ könnte so einer Präsidentin Hillary Clinton erlauben, ihr Gesicht zu wahren, das heißt ihr (fragwürdiges) Bekenntnis zu einer Ablehnung von TPP nicht durch tatsächliches Handeln untermauern zu müssen. Dies würde dann zwar ihre Kritiker in den Reihen der Demokraten und unter den Sanders-Anhängern bestätigen – und ihren Rückhalt bei den von Trump (und Sanders) umworbenen Wählern ohne College-Abschluss weiter reduzieren –, aber den Interessen der Geschäftswelt wäre genüge getan.

„Self-sorting“  und „gerrymandering“ wird fast sicher dazu führen, dass die Republikanische Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus behält.

Diese Interessen begrenzen aller Voraussicht nach auch in einer anderen Weise jeglichen progressiven Gestaltungswillen im Demokratischen Programm und in der Politik einer Präsidentin Clinton. Die Kombination aus „self-sorting“ (also der Konzentration vieler Demokratischer Wähler in Ballungsgebieten, wodurch im relativen Mehrheitswahlsystem viele Stimmen „verschwendet“ werden), „gerrymandering“ (der politisierte Zuschnitt von Wahlkreisen, um sie für eine Partei zu optimieren) und Unterdrückung der Wahlbeteiligung von jungen Menschen und Minderheiten wird fast sicher dazu führen, dass die Republikanische Partei die Mehrheit im Repräsentantenhaus behält. In den Worten des Republikanischen Strategen Grover Norquist reicht dies zum Regieren völlig aus, denn so kann jegliche politische Kursänderung blockiert werden, insbesondere die Erhöhung von Einkommens- und Unternehmenssteuern oder die Verabschiedung von Regulierungen. Gegebenenfalls kann diese Konstellation einer Präsidentin Clinton als bequeme Entschuldigung für Stillstand dienen.

Sanders hat nach seiner Niederlage gegen Clinton die ihm angetragene Kandidatur der Green Party abgelehnt und seinen Anhängern klar und deutlich signalisiert, dass es nun in erster Linie darum geht, Trump zu verhindern. Das strategische Wählen des „lesser of two evils“ – also des kleineren von zwei Übeln –   ist den Amerikanern sehr vertraut, hat aber zur weit verbreiteten Politik- und Parteienverdrossenheit beigetragen. Begeisterung für fundamentalen Wandel kann so jedenfalls nicht entstehen, zumal Skepsis angebracht ist, was den Veränderungswillen Clintons betrifft (man beachte ihre Personalpolitik: neokonservative außenpolitische Berater, einen Pro-TPP-Vizepräsidenten). Was können, was wollen Bernie Sanders und seine Anhänger noch tun, um die angestrebte „politische Revolution“ voranzutreiben, also die Beschränkung des Einflusses der Wirtschaftsinteressen zugunsten der breiten Bevölkerung? Sicherlich wird Sanders nicht nur für Hillary Clinton Wahlkampf machen, sondern vor allem für progressive Kandidaten überall im Land (etwa für den Herausforderer der ehemaligen Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Debbie Wasserman Schultz, die wegen unangemessener Einflussnahme zugunsten Hillary Clintons im Vorwahlkampf zurückgetreten ist). Auch hat er die Gründung einer Organisation bekanntgegeben, Our Revolution, welche die Gewählten auch im Amt scharf beobachten wird und auf die Durchsetzung progressiver Versprechen drängen wird. Wie Obamas Empower America steht Sanders‘ Organisation außerhalb der Demokratischen Partei, wird diese also ebenfalls nicht organisatorisch erneuern, aber während es bei Obama am Ende schlicht um seine Wiederwahl ging, soll die neue Organisation dem ganzen Land dienen. Doch geht das überhaupt, zumal die neue Organisation gleich in erste Kontroversen verwickelt ist? Wichtige Mitarbeiter kündigen, weil ihr designierter Chef, Sanders‘ Wahlkampfmanager Jeff Weaver, aus ihrer Sicht für eine verfehlte Strategie steht (unter anderem zu viel Gewicht auf Fernsehwerbung) und weil die Organisation steuerlich so registriert ist, dass sie nun genau die Großspenden einsammeln kann, die Sanders doch so entschieden abgelehnt hatte.

Die amerikanische Gesellschaft sieht für Trump wie eine typische High School aus.

Die USA sind tief gespalten. Viele Menschen sind trotz „guter Zahlen“ unzufrieden. Eine Stimmung der Angst ist weit verbreitet. In dieser Situation tritt mit Donald Trump ein Kandidat an, der nicht nur für die hässliche nativistische Seite der Republikanischen Partei steht, sondern der auch eine tribalistische Vision von Amerika hat. Die amerikanische Gesellschaft sieht für Trump wie eine typische High School aus, wo es nicht nur klare Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Gruppen gibt, sondern vor allem auch eine klare Hierarchie. Kein Wunder also, dass er den erfolgreichen, selbstsicheren „Bully“ gibt, denn aus seiner Sicht (und auch nach der schulischen Erfahrung der Amerikaner) gehört ein solcher ganz nach oben in die Nahrungskette. Allerdings sind nicht nur die Schulhöfe Amerikas gewissermaßen tribal geprägt, also von „Stämmen“, sondern vor allem auch die Gefängnishöfe. In vielen populären Fernsehserien, von „Sons of Anarchy“ bis „Orange is the New Black“, ist zu besichtigen, wie die Grenzen zwischen den Gruppen gezogen werden: mit Verachtung und Gewalt.

Hillary Clinton ist dagegen – wie Barack Obama vor ihr – die genuin „amerikanische“ Kandidatin. Sie verkörpert den amerikanischen Anspruch der „Einheit in Vielfalt“, den klassenlosen Amerikanismus, ein Amerika, das keine Ideologie hat, sondern selbst eine ist. „Dies ist nicht Dänemark, dies sind die USA,“ rief sie Bernie Sanders zu. Um im populärkulturellen Bild zu bleiben, Hillary Clinton ist gewissermaßen die Verkörperung der idealistischen Vision des legendären Films „Breakfast Club“ von 1985, wo am Ende die Nachsitzer aus den verschiedenen Gruppen („jock“, „nerd“, „princess“, „freak“, „outcast“) ihre Gegensätze überwinden und zu gegenseitigem Respekt finden. Michelle Obamas Rede auf dem Parteitag der Demokraten war das Drehbuch für diese „amerikanische Kandidatur“ von Hillary Clinton: „Lasst Euch von niemandem einreden, dass Amerika nicht großartig ist!“

Auch die Demokratische Partei selbst ist nicht viel mehr als ein Sammelsurium von Sonderinteressen.

Sicher, bis November kann noch viel passieren: Anschläge, Polizistenmorde, Clinton-Skandale. Aber es wird wohl für einen deutlichen Sieg Clintons reichen, auch weil Donald Trumps Tiraden und Ausfälle, seine fragwürdigen Äußerungen zu Russland und dem Nukleararsenal, inzwischen auch seine Kernanhängerschaft durcheinanderbringen – von seiner Partei, deren Experten und der Geschäftswelt ganz zu schweigen. Einigkeit im Land wird Clinton so aber nicht herstellen können, zu zerrissen ist die amerikanische Gesellschaft, zu viel Unverständnis, Sprachlosigkeit und auch Hass herrscht zwischen den Gruppen und zu wenig Kompromissbereitschaft. Auch die Demokratische Partei selbst ist nicht viel mehr als ein Sammelsurium von Sonderinteressen, eine vor allem durch die Gegner- und Machtorientierung zusammengehaltene Koalition von durch Identitätspolitik geprägten Gruppen, dominiert von neoliberalen Zirkeln der Geschäfts- und Politikwelt. Dies ist das Ergebnis des Rechtsrucks der 1980er Jahre und des postmodernen Abgesangs auf den letzten Rest von sozialdemokratisch geprägter Politik in den 1990er Jahren. Sanders wurde im Vorwahlkampf gar „economic reductionism“ vorgeworfen, weil er die ökonomische Ungleichheit in den USA allgemein ansprach und nicht gruppenspezifisch. Für die von Trump umworbenen weißen Männer ohne College-Abschluss, aber auch für Facharbeiter im herstellenden Gewerbe, die sorgenvoll auf Globalisierung (und Immigration) schauen, hat sich die Demokratische Partei schon länger kaum noch interessiert.

Im Gegenteil: die die Partei dominierenden Wirtschafts- und Geisteseliten und auch Amtsträger haben sie oft genug mit deutlicher Herablassung behandelt, nach dem Motto: Selbst schuld, wenn Ihr in der Schule nicht besser aufgepasst habt. Bildung beziehungsweise Umschulungen sollten die Lösung sein. In den Umfragen hat es lange so ausgesehen als würde Donald Trump diese Wählergruppen breit mobilisieren. Doch dies beruhte schlicht auf einer Verzerrung: Gezählt wurden nämlich nur die Wähler, die sich wahrscheinlich an den Republikanischen Vorwahlen beteiligen wollten. Inzwischen ist klar, dass insbesondere die Ungelernten mehrheitlich überhaupt nicht wählen werden, wie sonst auch immer. Vielleicht spüren sie hinter Trumps migranten- und freihandelsfeindlicher Rhetorik seine ausgesprochen sozialdarwinistische Prägung: Wer es nicht schafft, ist selbst schuld.

Weil weder der liberale Amerikanismus Hillary Clintons noch der nativistische Tribalismus Donald Trumps die zerrissene amerikanische Bevölkerung werden einen können, bleibt Bernie Sanders „politische Revolution“ auch in der bald anlaufenden heißen Phase des Wahlkampfs so wichtig. Gerade weil seine Konzeption eines „demokratischen Sozialismus“ nicht auf simpler Klassen- und Klassenkampfmechanik beruht, ist seine Orientierung auf die gemeinsamen Interessen der breiten Bevölkerung geeignet, die Demokratische Wählerkoalition stärker zu binden und zu vergrößern. Sollten Sanders, seine Anhänger und die Organisation Our Revolution erkennbar zu einem Wahlsieg Hillary Clintons beitragen, wäre eine Regierung Clinton ohnehin gezwungen, die Belange dieser Wählerklientel stärker zu berücksichtigen. Ob daraus tatsächlich signifikante politische Maßnahmen entstehen, welche die amerikanische Bevölkerung mittelfristig stärker einen könnten, hängt vom Widerstand insbesondere der Wirtschaftslobby ab, aber auch davon, ob die Republikanische Partei ihren Erneuerungsprozess entschlossen wiederaufnimmt. Nach der Niederlage John McCains gegen Barack Obama – und angesichts der demographischen Entwicklungen – gab es eine interne Debatte über ein stärker gemeinwohlorientiertes Programm zur Erschließung neuer Wählergruppen, die vom Erfolg der Tea Party und Donald Trumps jäh unterbrochen wurde. Diese Debatte beginnt nun von neuem.

ipg-logo-Kopie1-150x92csm_portrait_greven_458a288b6eDr. Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft an der FU Berlin und unterrichtet dort am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien. 1995 bis 1996 war er Congressional Fellow der American Political Science Association im Büro von Bernie Sanders, damals unabhängiger Abgeordneter für Vermont im US-Repräsentantenhaus.

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