Deutsche Redewendung“ Fersengeld geben“
von Sepp Spiegl
Die deutsche Redewendung „Fersengeld geben“ ist eine bildhafte und zugleich humorvolle Umschreibung für schnelles, oft panikartiges Weglaufen. Sie wird verwendet, wenn jemand aus Angst, Scham oder strategischem Rückzug das Weite sucht. Ursprünglich militärisch geprägt, hat sich der Ausdruck fest im alltäglichen, politischen und sogar wirtschaftlichen Sprachgebrauch etabliert.
Herkunft: Von Soldaten, Wegzöllen und Fluchten
Wer kann ihm das verdenken? – Dem armen Schlucker, der im Wirtshaus sitzt, die Zeche nicht zahlen kann und durch das Toilettenfenster das Weite sucht. Der mit seiner Ferse zahlt, statt mit der Hand. – Dem Soldaten, dem links und rechts die Kugeln um die Ohren sausen. Wer kann es ihm verdenken, dass er nicht nur an Flucht denkt, sondern auch eilends flieht. Dass er Fersengeld gibt. – Doch in solchen Fällen kann der Flüchtige nicht auf Verständnis hoffen. Weder beim geprellten Wirt, noch bei seinen Kameraden, die gegen die Übermacht die Stellung halten. Und Konsequenzen hat es, dieses auf eine schimpfliche Weise Fliehen. „Fersengeld geben“ ist seit dem 13. Jahrhundert bekannt, die Herkunft ungeklärt. Das führt dazu, dass die Spekulationen ins Kraut schießen. – Danach könnte die Redewendung auf den alemannischen Rechtsbrauch des Strafgeldes für Flüchtlinge aus der Schlacht zurückgehen, von denen man nur noch die Fersen zu sehen bekam. Nach dem alemannischen Recht musste der, welcher seine Mitkämpfer in Gefahr verließ und dadurch in Lebensgefahr brachte, 160 Solidus (Schillinge) als Strafe zahlen. Schließlich hatte er den Feinden seine Ferse gezeigt.
Weiterhin finden wir die Redewendung in dem aus dem 12. Jahrhundert stammenden „Sachsenspiegel“, dem ältesten Rechtsbuch für Landrecht und Lehnrecht des deutschen Mittelalters. Danach konnte bei den Wenden (Westslaven) die Ehefrau jederzeit ihren Mann verlassen, musste das allerdings mit dem „versnegelt“ (drei Schillinge) abgelten. („Lazen se ouch (iren man), alse wendisch recht iz, so muzen se irme herren de versnegelt geben, daz sint dri schillinge unde etswa me nach des landes wonheit.“) Diese Verpflichtung wurde meistens mit Naturalien erfüllt, mit einer „Färse“, einem geschlechtsreifen weiblichen Hausrind, das besser als Kuh bekannt ist. – Dagegen gilt in der Neuzeit: „Das Fersengeld des säumigen Schuldners ist oftmals das einzige Geld, das der Gläubiger zu sehen bekommt.“
Wirtschaftlich-rechtlicher Ursprung: Im 16. Jahrhundert bedeutete „Fersengeld“ auch eine Zahlung zur Befreiung aus einer gefährlichen Lage. Wer beispielsweise einen Wegzoll oder Lösegeld zahlte, um zu entkommen, „gab Fersengeld“ – also buchstäblich Geld, um die Fersen in Bewegung setzen zu können.
Bedeutung und alltäglicher Gebrauch
Wörtlich bedeutet „Fersengeld geben“: Jemand zeigt nur noch die Fersen – also die Rückseite der Füße beim Weglaufen – und verschwindet eilig vom Ort des Geschehens. Die Redewendung wird heute genutzt, um eine überstürzte Flucht oder einen plötzlichen Rückzug zu beschreiben.
Beispiele aus dem Alltag:
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„Als der Hund auf ihn zulief, hat er Fersengeld gegeben.“
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„Kaum kam die Polizei, gaben die Jugendlichen Fersengeld.“
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„Nach der peinlichen Frage in der Runde hat er sich schnell verabschiedet – Fersengeld!“
Je nach Tonfall kann die Redewendung spöttisch, dramatisch oder ironisch eingesetzt werden.
Gebrauch in Politik, Wirtschaft und Kriminalistik
Politik:
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„Nach dem Korruptionsskandal gab der Abgeordnete schnell Fersengeld.“
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„Die Regierung gab Fersengeld, als der öffentliche Druck zu groß wurde.“
Wirtschaft:
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„Als die Zahlen einbrachen, gaben die Investoren Fersengeld.“
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„Der Vorstandsvorsitzende gab nach dem Shitstorm Fersengeld und trat zurück.“
Kriminalistik:
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„Die Täter gaben nach dem Alarm Fersengeld.“
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„Zeugen berichten, dass der Verdächtige sofort Fersengeld gab, als die Polizei auftauchte.“
Der Ausdruck eignet sich hervorragend, um abrupte Rückzüge – ob strategisch, panisch oder feige – bildhaft darzustellen.
Auslegung in Kultur und Gesellschaft
„Fersengeld geben“ ist nicht nur eine Beschreibung körperlicher Flucht, sondern oft eine metaphorische Umschreibung für Konfliktvermeidung, Schuldflucht oder situatives Aufgeben. In Theaterstücken, Literatur oder Film wird die Redewendung sinnbildlich für verlorene Haltung oder Rückzieher verwendet.
In der Kunst des Kabaretts oder der Satire ist „Fersengeld geben“ ein beliebter Ausdruck, um Rückzüge der Mächtigen ironisch zu kommentieren.
Beispiele im Berufsleben
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Chef verlässt überraschend das Unternehmen:
„Nach den massiven Beschwerden über die Führungsstruktur gab der Geschäftsführer kurzerhand Fersengeld.“ -
Mitarbeiter kündigt unangekündigt:
„Er hat nicht einmal seinen Schreibtisch aufgeräumt – einfach Fersengeld gegeben!“ -
Projektleiter gibt auf:
„Nach dem dritten gescheiterten Versuch hat sie schließlich Fersengeld gegeben und das Projekt abgegeben.“
Internationale Entsprechungen
Auch in anderen Sprachen gibt es vergleichbare Redewendungen, wenn jemand flüchtet oder sich verdrückt:
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Englisch:
„To take to one’s heels“ (sich auf die Fersen machen),
„To run for it“ (davonlaufen),
„To make a run for it“ -
Französisch:
„Prendre la poudre d’escampette“ (wörtlich: das Fluchtpulver nehmen) -
Italienisch:
„Darsela a gambe“ (sich mit den Beinen davonmachen) -
Spanisch:
„Poner pies en polvorosa“ (wörtlich: Füße in den Staub setzen)
Alle drücken eine überstürzte Flucht oder ein rasches Entweichen aus, manchmal mit spöttischem oder ironischem Unterton – ähnlich wie im Deutschen.
Die Redewendung „Fersengeld geben“ ist ein sprachlich lebendiges Beispiel dafür, wie sich historische Situationen in bildhafte Ausdrücke verwandeln, die bis heute Aktualität besitzen. Ob im Alltag, der Politik, der Wirtschaft oder der Kultur – sie bringt auf prägnante Weise zum Ausdruck, was es heißt, das Weite zu suchen, wenn es brenzlig wird. Zwischen Flucht, Feigheit und strategischem Rückzug bleibt „Fersengeld geben“ eine farbenreiche Wendung mit augenzwinkerndem Potenzial.
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