Deutsche Redewendung: „Ein Brett vor dem Kopf haben“
von Sepp Spiegl
Die deutsche Redewendung „Ein Brett vor dem Kopf haben“ ist eine weit verbreitete Metapher, die sich auf eine Person bezieht, die etwas Offensichtliches nicht erkennt oder in ihrer Denkweise blockiert ist. Doch woher stammt dieser Ausdruck, und wie wird er heute verwendet? In diesem Artikel beleuchten wir die Herkunft, Bedeutung und Anwendung dieser Redewendung – sowohl im Alltag als auch in der Politik – und betrachten mögliche Entsprechungen in anderen Sprachen.
Herkunft der Redewendung
Die genaue Herkunft der Redewendung ist nicht eindeutig belegt, doch es gibt verschiedene Theorien. Eine weit verbreitete Erklärung führt die Redewendung auf die Arbeitsweise von Zugtieren zurück. Um die Konzentration von Pferden oder Ochsen zu lenken und sie nicht durch äußere Einflüsse abzulenken, wurden diesen oft Scheuklappen oder sogar ein Brett vor die Augen gesetzt. Dies könnte die Bedeutung der Redewendung geprägt haben: Eine eingeschränkte Sichtweise oder das Unvermögen, die ganze Situation zu erfassen. Eine andere Interpretation kommt aus der Tischler- und Zimmermannszunft. Dort könnte die Wendung entstanden sein, wenn ein Handwerker so intensiv an einem Stück Holz arbeitet, dass er vor lauter Fokus auf das Material das große Ganze nicht mehr erkennt. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass die Redewendung bereits im Mittelalter verwendet wurde. In damaligen Zeiten wurden Strafen und Demütigungen oft öffentlich vollzogen, um abschreckend zu wirken. Es gibt Berichte über bestimmte Bestrafungsmethoden, bei denen Verurteilte eine Holzplatte vor das Gesicht gehalten bekamen, um ihre Sicht einzuschränken und sie zusätzlich bloßzustellen. Zudem war das Mittelalter eine Epoche, in der das Zunftwesen stark ausgeprägt war. Lehrlinge und Gesellen in handwerklichen Berufen mussten oftmals bestimmte Prüfungen bestehen, um in den nächsten Rang aufzusteigen. War ein Schüler nicht in der Lage, eine gestellte Aufgabe zu lösen, wurde dies manchmal damit kommentiert, dass er „ein Brett vor dem Kopf“ habe – also nicht fähig sei, über den Tellerrand hinauszublicken oder sein Wissen anzuwenden.
„Ein Brett vor dem Kopf haben“ wird im Deutschen meist als Vorwurf oder scherzhafte Kritik verwendet. Die Redewendung beschreibt eine Person, die etwas Offensichtliches nicht begreift oder in ihrer Denkweise blockiert ist. Sie kann sowohl auf eine kurzfristige Denkblockade als auch auf eine grundsätzliche Unfähigkeit zur Erkenntnis hinweisen.
Beispiele für den Gebrauch im Alltag:
- In der Schule: „Ich habe gestern so lange Mathe gelernt, aber heute in der Prüfung hatte ich einfach ein Brett vor dem Kopf.“
- Im Berufsleben: „Der Kunde will einfach nicht verstehen, dass sein Wunsch technisch nicht umsetzbar ist. Der hat echt ein Brett vor dem Kopf!“
- Im Straßenverkehr: „Warum fährt der so langsam auf der linken Spur? Hat der ein Brett vor dem Kopf?“
Auch im Alltag von Jugendlichen wird die Redewendung oft verwendet, besonders wenn es um Schule, Beziehungen oder soziale Medien geht:
- In der Schule: „Ich habe ihm die Matheformel dreimal erklärt, aber er hat einfach ein Brett vor dem Kopf!“
- Bei Videospielen: „Er läuft schon wieder in die Falle! Der hat echt ein Brett vor dem Kopf!“
- In sozialen Netzwerken: „Warum postet sie immer wieder Fake News? Die hat echt ein Brett vor dem Kopf!“
- Beim Dating: „Er merkt einfach nicht, dass sie auf ihn steht. Der hat echt ein Brett vor dem Kopf!“
Verwendung in der Politik und Wirtschaft
Auch in der politischen Debatte wird diese Redewendung oft genutzt, um mangelnde Einsicht oder kognitive Blockaden bei Politikern oder ganzen Parteien zu kritisieren. So könnten Gegner etwa behaupten: „Die Regierung hat ein Brett vor dem Kopf, wenn es um dringend notwendige Reformen geht.“ Ein Beispiel dafür war die langjährige Weigerung einiger Regierungen, den Klimawandel als ernsthaftes Problem anzuerkennen. Kritiker warfen Entscheidungsträgern vor, „ein Brett vor dem Kopf“ zu haben, da sie trotz überwältigender wissenschaftlicher Beweise keine wirksamen Maßnahmen ergriffen. Ebenso wurde in der Finanzkrise 2008 vielen Bankern und Politikern vorgeworfen, die drohenden Risiken zu lange ignoriert zu haben. Auch in wirtschaftlichen Debatten findet die Redewendung häufig Anwendung. Beispielsweise, wenn Unternehmen zu spät auf technologische Trends reagieren. Der ehemalige Handy-Gigant Nokia wurde oft als Beispiel genannt, weil das Unternehmen die Bedeutung von Smartphones unterschätzte – Kritiker meinten, die Manager hätten „ein Brett vor dem Kopf“ gehabt und seien blind für die Marktentwicklung gewesen. Ein weiteres Beispiel ist die Automobilindustrie, die lange Zeit an Verbrennungsmotoren festhielt, obwohl sich der Trend zur Elektromobilität bereits abzeichnete. Politiker selbst benutzen die Redewendung seltener, da sie als beleidigend aufgefasst werden kann. In politischen Diskussionen oder Talkshows greifen aber Journalisten oder Kommentatoren gerne darauf zurück, wenn sie darauf hinweisen möchten, dass eine Partei oder eine Person sich einer bestimmten Wahrheit verschließt.
Entsprechungen in anderen Sprachen
Viele Sprachen haben eigene Versionen für diese Metapher:
- Englisch: „To have a blind spot“ (Einen blinden Fleck zu haben) oder „To be thickheaded“ (Dickköpfig sein)
- Französisch: „Avoir un œillères“ (wörtlich: Scheuklappen haben)
- Italienisch: „Essere ottuso“ (wörtlich: Stumpfsinnig sein)
- Spanisch: „Tener una venda en los ojos“ (wörtlich: Ein Band über den Augen haben)
Die Redewendung „Ein Brett vor dem Kopf haben“ ist ein fester Bestandteil der deutschen Sprache und wird oft verwendet, um eine Denkblockade oder Unverständnis zu beschreiben. Ihre Herkunft liegt vermutlich in der Tierhaltung oder im Handwerk, und sie wird sowohl im Alltag als auch in politischen Diskussionen gebraucht. Entsprechungen gibt es auch in anderen Sprachen, wobei sie oft leicht abgewandelt sind. Ob in der Schule, im Berufsleben oder in der Politik – das Bild eines Brettes, das die Sicht versperrt, bleibt eine anschauliche Metapher für begrenztes Denken oder mangelnde Erkenntnis.
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