Um die Aufrüstungsspirale zu stoppen, muss die G20 handeln.

China
Besonders rasant wuchsen die Militärausgaben in Asien und in einigen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens.

Die Bundeswehr rüstet auf und um. Geplant sind eine personelle Verstärkung, der Aufbau eines Cyber-Zentrums und die Beschaffung moderner Waffen- systeme. Um diese Pläne in die Tat umzusetzen, sind jährlich mindestens fünf Milliarden Euro zusätzlich erforderlich – mehr als der Bundeshaushalt hergibt. Dennoch nehmen sich die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen jüngst vorgegebenen Ziele im Vergleich zu den Aufrüstungsbemühungen in anderen Teilen der Welt eher bescheiden aus

Neuer Aufrüstungsschub

Die meisten Länder rüsten auf – in einigen Regionen deutlich mehr als in Europa. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI sind die Militärausgaben im Jahr 2015 wieder gestiegen: auf 1,7 Billionen US-Dollar. Zuvor hatten die Finanzkrise und sinkende Rohstoffpreise zu einer gewissen Stagnation des langfristigen Aufrüstungstrends geführt. Über die größten Militärhaushalte verfügen die USA, mit großem Abstand vor China, Saudi-Arabien, Russland, Großbritannien und Indien. Deutschland liegt auf Platz 9, hinter Frankreich und Japan. Besonders rasant wuchsen die Militärausgaben in Asien und in einigen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Werden die jüngsten Ankündigungen in die Tat umgesetzt, steigt auch in Russland der Militärhaushalt kräftig, trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten.

Auch der globale Waffenhandel floriert. Zu den größten Importeuren gehören vor allem Länder, die sich in Konfliktregionen befinden oder militärische Ambitionen verfolgen: Australien, China, Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate. Wer liefert die Waffen? Ungefähr ein Drittel aller Waffenlieferungen entfallen auf die USA, ein Viertel auf Russland, danach folgen China, Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Ein Drittel aller Waffenlieferungen entfallen auf die USA, ein Viertel auf Russland.

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung registrierte im Jahr 2015 43 große gewaltsame Konflikte, davon 19 voll entbrannte Kriege, und das International Institute for Strategic Studies in London stellt fest, dass die Kriege und Konflikte in den letzten Jahren immer zerstörerischer wurden; mehr Menschen sterben oder werden in die Flucht getrieben.

Die Gründe für den erneuten Aufrüstungstrend sind leicht auszumachen: Kriege, Konflikte, geopolitische Machtansprüche, alte und neue Rivalitäten. Das Klima zwischen Russland und der NATO hat sich seit der russischen Annektierung der Krim und der Ukraine-Krise nachhaltig verschlechtert. Chinas robuste Modernisierung der Streitkräfte und die territorialen Ansprüche in der Region lösen Ängste der Nachbarn aus, die dort ebenfalls zu militärischen Aufrüstungsschüben führen. Auch die indische Regierung beäugt die chinesischen Aktivitäten im Indischen Ozean mit großem Argwohn und hält mit dem Ausbau der eigenen Marine dagegen. Im Nahen und Mittleren Osten, oftmals als Pulverfass bezeichnet, toben eine ganze Reihe von Kriegen, teils historisch bedingt und ein Erbe willkürlicher kolonialer Grenzziehung, teils religiös instrumentalisiert und von Autokraten zwecks Machterhalt forciert: Irak, Jemen, Kurdistan, Palästina und Syrien. Ein Ende ist nicht abzusehen, und alle Bemühungen um Streitbeilegung sind bislang gescheitert. Trotz der Bekenntnisse zum Frieden gelang es bestenfalls, einen Waffenstillstand zu vereinbaren, oft aber nur vorübergehend.

Zurück zur Abschreckung?

Die neue Aufrüstungsrunde erinnert fatal an das Wettrüsten zwischen Ost und West und die gegenseitige Abschreckung während des Kalten Krieges. Wer sich bedroht fühlt, glaubt, durch erhöhte militärische Anstrengungen die eigene Sicherheit zu erhöhen. Externe Akteure mischen mit. Sie bilden Streitkräfte aus, liefern Waffen, unterstützen die Konfliktparteien mit Kampfflugzeugen, modernen Luft-Boden-Raketen, Bomben oder Drohnen. Man setzt auf militärische Mittel, auf „hard power“. Das erklärte Ziel der Bemühungen: Stabilität und Sicherheit. In Wirklichkeit führen diese Rüstungsanstrengungen, angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen und geopolitischen Ambitionen, zu mehr gegenseitigem Misstrauen und erhöhter Unsicherheit. Die Betonung der „hard power“ setzt eine Eskalationsspirale in Gang, wie wir sie aus dem Kalten Krieg kennen.

Immer ist es der Konfliktgegner, der die Spirale durch sein Handeln ausgelöst hat; man selbst reagiert nur.

Es ist immer dasselbe Muster: Aktion und Reaktion. Und immer ist die Begründung dafür, dass die eigene Sicherheit erhöht werden müsse. Immer ist es der Konfliktgegner, der die Spirale durch sein Handeln ausgelöst hat; man selbst reagiert nur. Die derzeitige Situation zwischen NATO und Russland im Baltikum mit Rüstungsanstrengungen auf beiden Seiten ist ein beredtes Beispiel hierfür. Die Ängste der Balten sind aufgrund historischer Erfahrungen nachvollziehbar. Aber auch die russische Regierung kann auf die Einrichtung der Raketenabwehr in Südosteuropa verweisen, auch wenn die NATO diese gebetsmühlenartig als rein defensiv bezeichnet. Beschaffung von modernem Kriegsgerät und personelle Verstärkungen der Streitkräfte führen zu gegenseitig bedingter Aufrüstung.

Die Vereinten Nationen richteten im Jahr 2000 den Friedenskonsolidierungsfonds (UN Peacebuilding Fund) ein, der sich um Konfliktprävention und die Durchführung von Projekten zur Konsolidierung des fragilen Friedens direkt nach der Beendigung von Kriegen und Konflikten kümmern soll. Dieser Fonds verfügt über ein Jahresbudget von unter 700 Millionen US-Dollar – weniger als ein halbes Promille der weltweiten Militärausgaben. Händeringend betteln die UN-Sonderorganisationen um finanzielle Mittel, beispielsweise um Kriegsflüchtlinge in den Lagern medizinisch zu versorgen und zu ernähren. Buchstäblich mit dem Hut in der Hand bittet der UN-Generalsekretär um Personal für die Friedenseinsätze, die Blutvergießen verhindern oder beenden sollen. Oft vergeblich, meist mit unzureichendem Erfolg, hehren Ankündigungen, selten mit konkreten Zusagen. Immer noch fallen reflexartig die wirklich finanzkräftigen Entscheidungen zugunsten der jeweiligen nationalen militärischen Kapazitäten, obwohl die Militäreinsätze in den letzten beiden Dekaden wohl kaum als erfolgreich bezeichnet werden können: Afghanistan, Irak, Libyen.

Ursachen bekämpfen, nicht kurzfristig Soldaten entsenden

Die Ursachen der Konflikte müssen in den Blick genommen werden, um deren gewaltsame Austragung zu verhindern. Der Versuch, in erster Linie mit militärischen Mitteln ad hoc auf Krisen und Katastrophen zu reagieren, um noch Schrecklicheres zu verhindern, kann nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Diese sogenannte Realpolitik ist oft weit entfernt von der Realität vor Ort.

Es ist an der Zeit, das national- oder bündnisorientierte Denken in militärischen Kategorien zu überwinden und stattdessen sicherheits- und friedenspolitisch zu handeln, so wie es die Charta der Vereinten Nationen vorsieht. Doch bei den Mitgliedsländern stoßen derartige Appelle meist auf taube Ohren. Könnten die G20 vielleicht eine Alternative sein? Alle Länder mit voluminösen Militärhaushalten und großen Waffenherstellern sind in dieser Gruppe vertreten. Mehr als 80 Prozent der weltweiten Militärausgaben und fast den gesamten Waffenexport verantworten die G20-Mitgliedsländer. Und auch die geopolitischen Interessen bündeln sich hier. Damit tragen sie die Hauptverantwortung für die aktuelle neue Aufrüstungsrunde.

Von den G20 Abrüstungsinitiativen zu fordern, sieht auf den ersten Blick aus, wie den Bock zum Gärtner zu machen.

Von den G20 Abrüstungsinitiativen zu fordern, sieht auf den ersten Blick aus, wie den Bock zum Gärtner zu machen. Die Analogie zum Klimaschutz mag als Perspektive hilfreich sein. Auch bei dem Ziel, die weltweiten Emissionen von Schadstoffen einzuschränken, zeigten sich einige der G20-Länder viele Jahre lang als sperrige Verhandlungspartner. Sie blockierten den dringend erforderlichen Klimaschutz. Man schob sich gegenseitig die Verantwortung zu. Beim Klimagipfel 2015 in Paris gelang es, zukunftsweisende Kompromisse zu finden. Es ist an der Zeit, die Abrüstung, die nach einem hoffnungsvollen Beginn am Ende des Kalten Krieges bald ins Stocken geriet und nun in ihr Gegenteil verkehrt wird, wieder in Gang zu bringen. Die G20-Länder wären das geeignete Gremium, um entsprechende Initiativen zu ergreifen.

Sollte ein Umdenken stattfinden, dann führen allerdings die beim Militär eingesparten Mittel nicht automatisch zu mehr Sicherheit und Frieden. Es bedarf zahlreicher Initiativen und kreativer Projekte, um an die Wurzeln der Konflikte heranzukommen. Investitionen in „soft power“ sind gefragt. Die nach 1990 erwartete Friedensdividende, von der schon Willy Brandt 1980 als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission sprach, fällt uns nicht einfach in den Schoß. Aber es gibt genügend Erfahrungen, gerade in der Zivilgesellschaft, meist lokal verortet, frei werdende Mittel sinnvoll zu nutzen, um die Chancen zu erhöhen, ohne den Einsatz von Streitkräften Konflikte zu entschärfen, Stabilität und Sicherheit zu befördern und möglicherweise gar nachhaltigen Frieden zu schaffen.

ipg-logo-Kopie1-150x92Wulf-01Prof. Dr. Herbert Wulf leitete das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) von 1994 bis 2001. Er ist weiterhin Senior Fellow am BICC und Adjunct Senior Researcher am Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg/Essen, wo er früher als Geschäftsführer und 2012/2013 als Senior Expert Fellow am Käte Hamburger Kolleg tätig war.

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