Das zweite Pflegestärkungsgesetz
Umfassende Modernisierung des Pflegesystems
Zwanzig Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung soll das deutsche Pflegesystem umfassend modernisiert werden. Hierzu hat das Bundeskabinett im August 2015 den Entwurf des zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) verabschiedet. Am 1. Januar 2016 ist dieses Gesetz in Kraft getreten. Zentraler Mittelpunkt des Pflegestärkungsgesetzes ist die gesetzlich verbindliche Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1. Januar 2017, der Patienten mit kognitiven Einschränkungen (z.B. Demenz) die gleichen Pflegeleistungen garantiert wie Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen. Daraus folgend wird es anstatt der bisherigen drei Pflegestufen eine Gliederung in fünf Pflegegerade geben.
Erfahren Sie hier, was sich für Pflegebedürftige und deren Angehörige ändert. Wir erklären Ihnen, welche Neuregelungen Ihnen Entlastung bringen können.
Das neue Begutachtungsschema
Ab 2017 wird die Einstufung pflegebedürftiger Personen durch das Neue Begutachtungsassessment (NBA) geregelt. Hierbei werden sowohl körperliche, geistige wie auch psychische Einschränkungen gleichermaßen erfasst.
Der Pflegegrad der pflegebedürftigen Person wird also erstmals in seiner Gesamtheit betrachtet. Das entscheidende Kriterium soll dabei die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen in Bezug auf ihre körperliche und geistige Verfassung sein. Bislang wurde überwiegend der körperliche Aspekt berücksichtigt. Der neue Fokus kommt daher besonders Menschen mit Demenz oder geistiger Behinderung zugute, die bisher benachteiligt wurden.
Maßgeblich bei der neuen Definition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sind die Pflegebedürftigkeit (an sich) und die Beeinträchtigung der Selbständigkeit.
Folgende sechs Bereiche (mit entsprechender Gewichtung) sind hierbei ausschlaggebend:
- Mobilität (10%)
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (15%)
(oder) - Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (15%)
- Selbstversorgung (40%)
- Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20%)
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15%)
Bei diesem Begutachtungsschema spielt es keine Rolle mehr, wie viel Zeit die einzelne Pflegetätigkeit, wie bspw. das Anziehen, in Anspruch nimmt. Es geht vielmehr um die Frage, ob die erforderliche Fähigkeit noch vorhanden ist und ob die damit verbundenen Tätigkeiten eigenständig ausgeübt werden können. Unterschieden wird hierbei zwischen: selbständig, teilweise selbständig oder unselbständig.
Die neuen Pflegegrade
Über die Leistungshöhe entscheidet also künftig, was jemand noch selbst kann und wo er Unterstützung braucht. Alle Pflegebedürftigen erhalten dadurch gleichberechtigten Zugang zu Pflegeleistungen, unabhängig davon, ob sie an körperlichen oder psychischen Einschränkungen, wie z.B. einer Demenz, leiden.
Durch den Pflegegrad 1 kann die Unterstützung pflegebedürftiger Personen früher als bisher beginnen. Bereits bei geringer Beeinträchtigung der Selbständigkeit können Leistungen bewilligt werden. So sollen mittelfristig 500.000 Menschen zusätzlich Anspruch auf Pflegeleistungen haben. Der Pflegegrad 1 trifft zum Beispiel auf Menschen zu, die noch keinen erheblichen Unterstützungsbedarf haben, aber womöglich eine Pflegeberatung, eine Anpassung des Wohnumfeldes oder Leistungen der allgemeinen Betreuung benötigen.
Allgemein werden die neuen Pflegegrade wie folgt definiert:
Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
Für pflegebedürftige Kinder gilt: Der Pflegegrad wird durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeitsstörungen mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt.
Pflegebedürftige, die bereits nach geltender Fassung einer Pflegestufe zugeordnet sind, oder eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz aufweisen, werden dabei ohne erneute Begutachtung zum 01. Januar 2017 automatisch in einen der neuen Pflegegrade übergeleitet. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen werden automatisch von ihrer Pflegestufe in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet. Menschen, bei denen eine dauerhafte erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt wurde, werden in den übernächsten Pflegegrad überführt.
Pflegende Angehörige besser abgesichert
Auch pflegende Angehörige werden durch das zweite Pflegestärkungsgesetz besser abgesichert. Ab dem 01.01.2017 zahlt die Pflegeversicherung die Rentenbeiträge aller Pflegepersonen, die einen Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5 mehr als 10 Stunden die Woche, verteilt auf mindestens 2 Tage, zu Hause pflegen. Dies gilt auch für Angehörige, die einen Pflegebedürftigen mit ausschließlich kognitiven Einschränkungen betreuen. Dabei steigen die Rentenbeiträge mit zunehmender Pflegebedürftigkeit. Wer Patienten mit Pflegegrad 5 betreut, erhält künftig um 25 Prozent höhere Rentenbeiträge als bisher.
Weitere Neuerung: Die Pflegenden sollen beim Einstieg in die Pflege unterstützt werden. Künftig müssen alle Pflegeversicherer kostenlose Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen anbieten. Für Familienmitglieder, die aus dem Beruf aussteigen, um Angehörige zu pflegen, übernimmt die Pflegeversicherung in Zukunft für die gesamte Dauer der Pflegetätigkeit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Daher haben die Pflegepersonen direkten Anspruch auf Arbeitslosengeld und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, sollte ein sofortiger Berufseinstieg nach dem Ende der Pflegetätigkeit nicht sofort gelingen. Gleiches gilt für Personen, die für die Pflege der Angehörigen den Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung unterbrechen.
Fazit:
Das zweite Pflegestärkungsgesetz bringt für Pflegebedürftige wie auch ihre Angehörigen wichtige Entlastungen und Mehrleistungen. Eine der wichtigsten Neuerungen ist sicherlich die Gleichbehandlung der kognitiv eingeschränkten Patienten mit den Betroffenen, bei denen eine Pflegebedürftigkeit aufgrund körperlicher Einschränkungen besteht. Aber auch Personen mit nur geringer beschränkter Alltagskompetenz können sich unter der neuen Gesetzesregelung Hoffnung auf Unterstützung machen.
Sepp Spiegl (Quelle: www.axa.de) Titelfoto: © AXA