Politik: Botschaft aus dem Pop-Himmel
Taylor Swift mischt den Wahlkampf in den USA auf. Doch wie viel Einfluss haben Prominente wirklich auf den Urnengang?
Dieser Sommer machte uns zu Zeugen eines der beeindruckendsten Aufstiege in der US-Politik. Nach dem Debakel von Joe Biden bei der TV-Debatte wurde seine Vizepräsidentin Kamala Harris zur Kandidatin der US-Demokraten nominiert. In kürzester Zeit schaffte sie es, die Partei aus einem Umfragetief zu holen, Donald Trump in den Umfragen zu überholen und den Menschen, die das Schlimmste befürchtet hatten, neue Hoffnung zu geben. Gleichzeitig erlebten die USA und die ganze Welt den brat summer, der vielleicht eine nicht unerhebliche Rolle bei Harris’ Aufstieg spielte. Folgt nun auf den brat-Sommer der Swift-Herbst?
Lange war sie still, doch nun hat sich auch Pop-Göttin und selbsternannte kinderlose Katzenlady Taylor Swift in den US-amerikanischen Wahlkampf eingeschaltet. Aus den höchsten Sphären des Pop-Himmels kommend, erschien ihr Instagram-Post fast wie eine Prophezeiung. Unmittelbar nach dem TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump kündigte Swift an, bei der Präsidentschaftswahl im November für Vizepräsidentin Kamala Harris zu stimmen, und forderte ihre Anhänger dazu auf, sich für die Wahlen registrieren zu lassen. Die Musikerin bricht mit ihrer Musik und ihren Tourneen gerade einen Rekord nach dem anderen; die Welt liegt ihr zu Füßen. Jedes Wort von ihr wird von Millionen Fans inbrünstig wahrgenommen, was auch diese Aktion gezeigt hat. Laut CNN meldeten sich nämlich innerhalb von zwei Tagen 52 222 Personen über den von Swift geteilten Link zur Wahl an. 144 243 Menschen hätten zudem ihren Registrierungsstatus bestätigt. Auch in den umkämpften Swing States, die sowohl Donald Trump als auch Vizepräsidentin Harris für sich gewinnen wollen, sollen offenbar Tausende Menschen dem Aufruf gefolgt sein. Auf den ersten Blick scheint es so auszusehen, als ob Swifts Popularität ein großer Gamechanger sei – gerade rechtzeitig, wo doch Trump laut Umfragen langsam am Aufholen ist und der brat summer an Aufschwung verliert. Kann der Swift-Boost Kamala Harris zur Präsidentschaft bringen?
Dass Swift demokratisch wählt und sich in der Vergangenheit unter anderem auch für Joe Biden ausgesprochen hat, ist allbekannt.
Mit der Erklärung Swifts tauchten sofort, wie das in den zunehmend polarisierten USA oft der Fall ist, die ersten Gegenstimmen in den sozialen Medien auf. Videos von ehemaligen Fans wurden geteilt, die aus Frust über Swifts Post ihre Schallplatten und Fanartikel verbrennen. Donald Trump bezeichnete die Sängerin als eine „sehr liberale Person“ und sagte, dass sie den Preis dafür auf dem Markt zahlen werde. Später schrieb er sogar auf seiner Plattform Truth Social in Großbuchstaben: „Ich hasse Taylor Swift“. Interessant im Fall Taylor Swift scheint der Moment zu sein, in dem sie entschieden hat, sich für die Demokraten auszusprechen. Dass Swift demokratisch wählt und sich in der Vergangenheit unter anderem auch für Joe Biden ausgesprochen hat, ist nämlich allbekannt. Einige Zeit erschien es etwas seltsam, warum sie sich bis dahin noch nicht für Harris ausgesprochen hatte. War es ein taktischer Schachzug, den Demokraten genau dann einen Pop-Schub zu geben, wo doch der brat summer auf ähnliche Weise die Vizepräsidentin durch die Nominierung gebracht hatte?
Zur Erinnerung: Die 32-jährige britische Sängerin Charli XCX lieferte mit ihrem Album „brat“ den Soundtrack für diesen Sommer und traf mit ihren Songs den Zeitgeist der Generation Z. Viele davon stolzierten als brats herum – freche, chaotische „Gören“, die sich ihrer eigenen Unvollkommenheit bewusst sind, und diese feiern. Brat wurde zu einem neuen Konzept der Frauenpower – weg von der Ästhetik des sauberen Mädchens, das immer perfekt und gepflegt ist. Die brat-Welle rollte unaufhaltsam durch die sozialen Netzwerke und überschwemmte alles, bis schließlich auch die Demokraten nicht anders konnten, als auf der Welle mitzureiten. Der Katalysator war ein Beitrag auf X von niemand Geringerem als der Mutter der Bewegung selbst. „kamala IS brat“, schrieb Charli XCX und kürte somit die US-amerikanische Vizepräsidentin zur Mitstreiterin der Bewegung. Das Social-Media-Team der Demokraten nutzte diesen Moment geschickt und änderte kurz darauf den Hintergrund der X-Seite der offiziellen Harris-Kampagne in ein neonfarbenes brat-Grün. TikToks der Harris-Kampagne, unterlegt mit Musik von Charlis neuem Album, verbreiteten sich explosionsartig im Netz. Der feministische Ansatz des brat girls verband sich perfekt mit der Präsidentschaftskandidatin, die gelegentlich zu laut lacht, aber auch mit ihrer Rolle als Staatsanwältin, die Trump zur Rechenschaft ziehen wird. Harris’ Präsidentschaftskampagne gelang so der Schnellstart, der sie in kürzester Zeit in den Umfragen an Trump vorbeischnellen ließ.
Dieses Jahr sind es 41 Millionen Mitglieder der Generation Z, die wahlberechtigt sein werden.
Obwohl viele politische TikTok-Kampagnen scheitern oder unnatürlich wirken, hatte Harris’ Vorgehen sich in diesem Fall als Erfolg erwiesen. Im Gegensatz zu manch anderen Politikern in Europa, gelang es Harris, junge Menschen humorvoll und auf originelle Art und Weise anzusprechen. Doch während die Kampagne in den sozialen Medien zieht, stellt sich die Frage, ob sie damit auch eine breitere Wählerschicht erreichen kann. Dass junge Wählerinnen und Wähler wichtig für den Wahlsieg sein können, hat Bidens Wahl vor vier Jahren bewiesen. 65 Prozent der 18- bis 24-Jährigen stimmten für ihn. Dieses Jahr sind es 41 Millionen US-Amerikanerinnen und Amerikaner, die der Generation Z angehören und die wahlberechtigt sind. Laut aktuellen Umfragen will etwa die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen Harris wählen, nur ein Drittel Donald Trump. Ein deutliches Plus, aber nicht das Niveau von 2020, als Biden gewählt wurde. Außerdem müssen solche Umfragen immer mit Vorsicht genossen werden. Die Europawahlen in Deutschland oder auch die Wahlen im Osten zeigen, dass junge Menschen, trotz oft gegenteiliger Annahme, anfällig für rechte Parteien sind. Dass einige junge Wählerinnen und Wähler am Ende doch eher dem maskulinen Macho-Wahlkampf Trumps verfallen als der demokratischen „Gören-Kampagne“, ist nicht auszuschließen. Zudem ist es fraglich, ob die Generation Z auf der Seite der Demokraten für einen Wahlsieg ausreichen wird. Mit dem Ende des Sommers verliert auch die brat-Kampagne an Schwung – die Präsidentschaftswahlen rücken aber immer näher.
Die US-Bürger, die das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird, und die einen Abscheu vor den Eliten haben, können wahrscheinlich mit „brats“ nur wenig anfangen.
Zu denken, dass der Wahlkampf alleine durch die jüngsten Erfolge der Demokraten bereits gewonnen sei, wäre eine Täuschung. Das Gesamtbild bleibt weitaus komplexer. Die frustrierten Wählerinnen und Wähler, die Wütenden und Enttäuschten wie beispielsweise im industriegeprägten Rust Belt oder in den Swing States, wird Harris mit der bisherigen Kampagne wahrscheinlich nicht erreicht haben. Die US-Bürger, die das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht gehört wird, und die einen Abscheu vor den Eliten haben, können wahrscheinlich mit brats nur wenig anfangen. J.D. Vance, der im Rust Belt aufgewachsen ist und sich als Teil der weißen Arbeiterklasse der USA präsentiert, punktet dort mit seiner Aufstiegsgeschichte mehr.
Eine Analyse der New York Times wirft zudem Licht auf eine andere Tatsache: Die Wörter, die Donald Trump in seinen Reden bisher am häufigsten verwendet hat, sind: „Jobs“, „Steuern“, „Wirtschaft“ und „Inflation“. Bei Harris waren es bisher: „Mutter“, „Freiheit“, „Liebe“ und „Familie“. Der Fokus beider Kandidaten lag in verschiedenen Bereichen. Wenn die Demokraten die Stimmen der enttäuschten weißen Mittelschicht gewinnen wollen, müssen sie deren Sorgen, die eher bei den Themen Wirtschaft und Arbeitsplätze liegen, ernst nehmen – etwas, das Harris im brat-Sommer nur spärlich getan hat. Was Taylor Swift betrifft, wäre es klug, sich vorerst nicht allzu sehr auf einen Swift-Herbst zu verlassen. Denn wenn Wählerinnen und Wähler ohnehin eine bestimmte politische Tendenz haben und deren Lieblingskünstler diese teilt, kann das ihre Überzeugungen zwar verstärken. Dass die politische Haltung eines Künstlers jedoch ausreicht, um die Meinung eines Menschen komplett zu ändern, wurde bisher nicht belegt und erscheint auch etwas unrealistisch. Man sollte auch nicht vergessen, dass bereits 2016 Hillary Clinton zahlreiche prominente Unterstützerinnen wie Katy Perry, Miley Cyrus, Beyoncé, Ariana Grande und viele weitere an ihrer Seite hatte – mit bekanntem Ausgang. Egal wie gut Harris bisher die Generation Z und andere in den sozialen Medien erreicht hat, popkultureller Rückenwind alleine scheint nicht genug zu sein. Vielleicht sollte der Fokus der Demokraten in der verbleibenden Zeit auf den Sorgen der Wählerinnen und Wähler abseits des Mainstreams liegen. Egal wie fun die „Göre“ Harris bisher auch war und wie populär Taylor Swift ist – am Ende entscheiden die klassischen Themen den Wahlausgang.
Konstantin Hadži-Vuković ist im Referat Globale und Europäische Politik der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig. Er hat Politikwissenschaften und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert.
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