Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Josef Brainin  –  Der Staubleser

Josef Brainin © Ruth Ehrmann

Dem Autor gelingt ein Gesellschaftsporträt der Wiener Honoratiorenschicht, in deren Umfeld der jüdische Antiquitätenhändler Alfred sein Geschäft betreibt. In sehr eloquentem Stil beschreibt Brainin die Eigenheiten Alfreds, der bei Haushaltsauflösungen seine Pretiosen zusammenklaubt. Aus der Dicke und Verteilung der Staubschichten in den Wohnungen zieht er treffende Rückschlüsse auf die letzte Lebensphase der Eigentümer. Ganz beiläufig erfahren wir von den unterschiedlichen Geschäftsmethoden der Branche, die sich gern gegenseitig ausbootet im Preis. Ausstellungskataloge und Auktionen verraten einiges über Herkunft und Verbleib der Gegenstände, zu denen Alfred eine engere Beziehung entwickelt.

Der Leser vermutet schnell, dass die Geschichte auf Provenienzfragen und dramatische Rückblicke auf Enteignungen hinausläuft, doch sie nimmt zunächst eine ganz andere Wendung, denn ganz nebenbei beglückt Alfred durch kurze Affären die eine und andere verheiratete Kundin oder trauernde Witwe. Diskret vermeidet er aber jede Dauerhaftigkeit.

Er wird von der verheirateten Christiane verführt und wenig später verliebt er sich in deren Tochter Isabella. Als die Mutter dahinterkommt, zieht sie nun alle Hebel, um dem Geschäft Alfreds zu schaden, wo es nur geht. Abgesehen von ihrer Eifersucht verhindert doch auch seine Herkunft, dass er als Heiratskandidat in Frage kommen könnte. Sein Charm und exzellente Umgangsformen reichen nicht, um das Stigma der Ausgrenzung zu überwinden. Eine Jude gehört nicht in die österreichische Community, diese Gewissheit haben alle im Blut und spielen die Karte nun aus.

Geschäftspartner lassen sich verleugnen, andere entziehen ihm die Freundschaft, Investoren springen ab.

Da kommt eine alte Dame aus Amerika wie gerufen, die ihn bittet, für sie den Verbleib eines Gemäldes herauszufinden, das vor der Flucht in ihrem Wiener Stadthaus hing. Als die Nazis die Wohnung beschlagnahmten, konnte ihre Familie das Bild bei befreundeten Nachbarn zurücklassen. Das Ende des Romans wirkt etwas und holterdiepolter herbeigezwungen.

Josef Brainin lebt in Wien. Nach vielen Jahren in der Informationstechnologie im Bereich Corporate Communication wechselte er die Branche, setzt aber das präzise Beschreiben von Zuständen und Prozessen fort – etwa in seinen Romanen Der Staubleser (2013) und Die Bestsellerin (2018). Nun erscheint sein dritter Roman Aus dem Schatten gemalt (2024). Dazwischen immer wieder verschiedene Texte, Übersetzungen und Entwicklung von Drehbüchern.

Braumüller Verlag

ISBN-13: 978-3-99200-081-4

Auflage: 2

erschienen: 01.03.2013

Seiten: 296

Format: 11,50×18,40

Ausgabe/Einband: Buch / gebunden