Zurück in die Mitte

von Dieter Weirich
Die SPD ist vor ihrem Bundesparteitag am Wochenende in Berlin mal wieder von einer Sinnkrise erfasst. Eine „pazifistische Kriegserklärung an die Parteispitze“ nennt der Kolumnist Harald Martenstein das „Friedensmanifest“ prominenter Genossen, die einen anderen Umgang mit Russland und mehr Diplomatie statt Aufrüstung fordern. Der spaltende Elefant im Raum heißt Wladimir Putin, das Thema ist die Ukraine.
Parteichef Lars Klingbeil, der das Papier als „Debattenbeitrag“ herunterzustufen versucht, steht bei dem Delegiertentreffen vor der ersten schweren Bewährungsprobe. Er muss den Zukunftskurs unmissverständlich klar machen, die Zeitenwende konkret mit Leben erfüllen, sich vor deutlichen Positionsbestimmungen nicht scheuen, dabei auch ein ehrliches Ergebnis bei seiner Wahl als Parteichef möglicherweise in Kauf nehmen. Nur die Linie „Zurück“ in die Mitte“ verheißt Erfolg.
Folgt man dem neuen SPD-Generalsekretärs Tim Klüssendorf, bleibt künftig „kein Stein auf dem anderen“. Mit 16,4 Prozent bei der letzten Bundestagswahl hat die SPD einen neuen Tiefstand erreicht, weshalb die Genossen eine schonungslose Wahlanalyse fordern.
Die Liste der Vorwürfe an die Parteiführung ist ellenlang: Sie habe die Kanzlerkandidatur vergeigt, weil sie Boris Pistorius nicht rechtzeitig mit Olaf Scholz getauscht habe, ein katastrophales Bild in der Ampel abgegeben, der marktliberalen FDP zu viele Zugeständnisse gemacht und so schwere Vetrauensverluste zu verantworten.
Klingbeil, der nach der Wahlklatsche machttaktisch klug sofort nach dem Fraktionsvorsitz griff und inzwischen die „Freunde von Lars“ an allen entscheidenden Positionen etabliert hat, wird Ämterhäufung vorgeworfen.Er gibt sich selbstkritisch. Die SPD habe die Industriepolitik vernachlässigt, dürfe nicht noch weiter nach links rücken, sondern die fleißigen Menschen und ihre Anliegen in den Blick nehmen. Eine Analyse des Generalsekretärs führt den langfristigen Vertrauensverlust auf „mangelnde strategische Klarheit“ zurück, ein neues Grundsatzprogramm soll nun den Zukunftskurs markieren.
Hoffnungen setzt die SPD vor allem auf die Esken-Nachfolgerin Bärbel Bas. Die neue Arbeitsministerin will die „Dinge wieder für den Malocher runterbrechen“
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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