11 Freundinnen mit Wut im Bauch

Frankreich, Spanien oder Kanada: Frauen-Nationalteams protestieren gegen strukturelle Benachteiligungen. In Deutschland bleibt es still – noch.

© Christoffer Borg Mattisson auf Pixabay

15 Spielerinnen des spanischen Nationalteams erklären, nicht mehr unter Coach Jorge Vilda auflaufen zu wollen. 10. Februar 2023: Kanadas Frauenteam veröffentlicht einen Brief mit schweren Vorwürfen gegen den Verband. 24. Februar 2023: Wendie Renard tritt aus dem französischen Frauen-Nationalteam zurück und sagt, sie könne das System nicht mehr unterstützen. Das sind nur drei Fälle in einer Welle von Vorwürfen und Konflikten, die aktuell den internationalen Frauenfußball erschüttern. Auch in Chile, Nigeria und Argentinien protestierten die Spielerinnen gegen ungleiche Behandlung und unfaire Bezahlung, gegen Sexismus und rückschrittliche Verbände. Die Namen und Details sind bei jedem dieser Fälle verschieden, die Strukturen dahinter gleich. Die Vorwürfe in Frankreich oder Spanien als Ausrutscher darzustellen, oder nur die Trainerinnen und Trainern in die Pflicht zu nehmen, greift daher zu kurz. Wenn immer wieder die gleichen Muster und Probleme auftauchen, kann es sich nicht um Einzelfälle handeln, dann liegt der Fehler im System.

Der Frauenfußball hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Grenzen des Denkbaren verschoben: Schien es 2015 noch utopisch, dass regelmäßig Zehntausende zu den Spielen der Champions League kommen würden, sind solche Zahlen nun Realität. Think Big, das scheint das aktuelle Motto des Frauenfußballs – nur die Verbände hinken weiterhin hinterher. Das hängt eng mit der Geschichte des Sports zusammen: Viele Verbände, darunter der DFB, verboten Frauen jahrzehntelang, organisierten Fußball in Vereinen zu spielen. Das erste offizielle Spiel der DFB-Elf fand erst am 10. November 1982 statt, gegen die Schweiz – der gleiche Gegner wie beim ersten Spiel der Männer, aber 74 Jahre später. Für die ersten Nationalspielerinnen war es ein lange unvorstellbares Privileg, mit dem DFB-Trikot aufzulaufen. Von der ersten Minute an schienen die Spielerinnen in der Schuld der Verbände zu stehen, die sie großzügigerweise spielen ließen. Bezahlung, Mitbestimmung, Anerkennung? Kein Thema, daran änderten auch die zahlreichen Titel des DFB-Teams nicht.

Die Kräfteverhältnisse im Frauenfußball haben sich radikal verschoben.

Inzwischen haben sich die Kräfteverhältnisse im Frauenfußball radikal verschoben. Die besten Vereine haben längst ihre Trainingsbedingungen professionalisiert und vermarkten ihr Frauenteam geschickt. Ein Kalkül, das oft aufgeht: In der Saison 2021/22 etwa nahmen die Frauen des FC Barcelona7,7 Millionen Euro ein und brachen zweimal den weltweiten Zuschauerrekord für ein Frauenspiel. Anderthalb Wochen nach einem rauschhaften 5:2-Sieg im legendären Camp Nou gegen Real Madrid vor 91 553 Fans spielte das deutsche Nationalteam gegen Portugal. In Bielefeld. Vor 7 364 Zuschauern. Um 16.10 Uhr, nachmittags. Es ist nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, dass die Verbände die Zeitenwende im Frauenfußball verschlafen haben. Trotz aller Rekorde werden Frauenteams oft in ein abgelegenes Stadion verfrachtet und die Spiele kaum beworben. Jüngstes Beispiel: das Freundschaftsturnier Tournoi de France, vom französischen Verband organisiert. Einige der weltbesten Teams und Spielerinnen trafen dort aufeinander. Bloß: Davon bekam kaum jemand etwas mit. Im Radio, in der Zeitung, auf der Straße war das Turnier kein Gesprächsthema. Wie denn auch, wenn die Hälfte der Spiele nicht in Paris oder Marseille, sondern in einem 50 000-Einwohner-Städtchen namens Laval ausgetragen wird?

So entsteht ein Teufelskreis: Das niedrige Interesse führt dazu, dass die Verbände den Frauenfußball als unfruchtbaren Boden ansehen und sich nicht um bessere Bedingungen und Marketing bemühen, was wiederum zu niedrigem Interesse führt. Die Vereine sind mit massiven Investitionen daraus ausgebrochen und haben die Standards gehoben, viele Verbände bleiben in der alten Logik gefangen.

Die jüngsten Rücktritte und Proteste sind daher ein Zeichen für die Emanzipation der Spielerinnen und eine logische, ja, unabdingbare Revolution gegen rückwärtsgerichtete Verbände.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt die englische FA: Seit einigen Jahren verfolgt der Verband eine ambitionierte Wachstumsstrategie, investierte in Liga und Nationalteam. Die Früchte davon ließen nicht lange auf sich warten: Die EM 2022 war ein Erfolg auf allen Ebenen: Zuschauerrekorde wurden pulverisiert, ein bis heute anhaltender Hype kreiert und die Lionesses feierten den Titel. Einige Verbände haben daraus weiterhin keine Lehren gezogen, und so ist es kein Wunder, dass sich Protest regt. Die Spielerinnen sind Besseres gewohnt, von ihren Vereinen und von anderen Verbänden, und sie fordern es ein. Ein Beispiel: Im französischen Nationalteam sind im technischen Staff nur drei Personen beschäftigt, beim Spitzenklub Olympique Lyonnais sind es acht Trainerinnen und Trainer.

Die jüngsten Rücktritte und Proteste sind daher ein Zeichen für die Emanzipation der Spielerinnen und eine logische, ja, unabdingbare Revolution gegen rückwärtsgerichtete Verbände. Warum also gibt es in Frankreich und Spanien nun Proteste, nicht aber in Deutschland? Ist der DFB – neulich kritisiert worden wegen einer rein männlichen Taskforce – wirklich so viel fortschrittlicher als andere Verbände? Nein, die Antwort liegt vielmehr in folgenden drei Aspekten.

Ist der DFB wirklich so viel fortschrittlicher als andere Verbände?

Erstens gab es in Spanien und Frankreich einen direkten Auslöser für die Rücktritte der Leistungsträgerinnen: In beiden Ländern ist eine umstrittene Persönlichkeit auf der Chefposition. Jorge Vilda und Corinne Diacre sollen beide ihr Team obsessiv kontrollieren, schlechte Trainingseinheiten vorbereiten und kaum Rücksicht auf Verletzungen ihrer Spielerinnen nehmen. Schwere Vorwürfe also, und dennoch ist es falsch, die beiden Trainer als Alleinschuldige in dieser Situation darzustellen. Würden die Verbände die Spielerinnen ausreichend schützen und ihre Bedenken ernst nehmen, wäre es gar nicht erst zu den Rücktritten gekommen. Dass die Spielerinnen den öffentlichkeitswirksamen Protest als letzte Option wählten, lässt auf tiefgreifende strukturelle Probleme schließen. Ohne die kontroversen Trainerfiguren wären diese wohl nicht ans Licht gekommen. Beim DFB ist mit Martina Voss-Tecklenburg, soweit ein Urteil von außen möglich ist, dagegen eine kompetente Trainerin im Amt, die Wert auf den Umgang mit den Spielerinnen legt.

Zweitens muss man dem DFB zugutehalten, dass der Verband nach der EM 2022 eine 180-Grad-Wende hingelegt hat. Seit dem zweiten Platz im Sommer und der darauffolgenden Euphorie bemüht sich der Verband sichtlich um bessere Anstoßzeiten und mehr Sichtbarkeit. Keine Frage, dieser Sinneswechsel kommt Jahre zu spät und es wirkt schon fast peinlich, einen Verband im Jahr 2023 dafür zu loben, dass er sein Frauenteam wertschätzt. Aber die Fälle aus Frankreich, oder auch Nigeria, wo Siegesprämien nicht ausgezahlt wurden, zeigen, dass dies immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Die bittere Wahrheit ist, dass wohl jedes Frauenteam der Welt mit diesen Problemen zu kämpfen hat, auch da, wo man es nicht vermutet. Die USA etwa sind absolute Vorreiterinnen im Frauenfußball, haben bei jeder WM in der Geschichte eine Medaille geholt und ihre Spielerinnen sind Stars. Trotzdem war die Equal-Pay-Einigung ein harter Kampf, der sogar vor Gericht ging.

Equal Pay ist in Deutschland ein Begriff wie eine heiße Kartoffel: Werden Spielerinnen in Interviews danach gefragt, weisen sie hastig darauf hin, dass die Einnahmen nicht gleich hoch seien, und sie ein Equal Pay daher nicht fordern. Kapitänin Alexandra Popp sagte etwa: „Wir reden hier nicht von Equal Pay, da sind wir jetzt erst mal noch echt weit von entfernt.“ Deutlich weniger drastische Töne als in den USA also. Statt Equal Pay ist die Rede von, drittens: „Equal Play“. Die ersten Schritte sind laut den Spielerinnen gute Bedingungen in der Liga, denn auch die sind nicht selbstverständlich. Viele Plätze in der ersten Frauen-Bundesliga gleichen bei Regen einem Acker, ein großer Teil der Spielerinnen hat neben Fußball einen anderen Job. Spitzenklubs wie Wolfsburg haben in den letzten Jahren ihre Infrastruktur für das Frauenteam enorm ausgebaut, aber selbst dort ist man von gleichen Trainingsbedingungen noch weit entfernt. Die Probleme mögen in Deutschland also anderswo liegen als in Frankreich oder Spanien und weniger gravierend sein, aber die Wurzel bleibt gleich. Die Verbände müssen endlich im Jahr 2023 ankommen und aufhören, ihre Spielerinnen wie Athletinnen zweiter Klasse zu behandeln. Die Emanzipierung des Frauenfußballs können sie zwar bremsen, aber nicht aufhalten.

Helene Altgelt ist freie Journalistin im Bereich Sport. Ihre Themengebiete sind der internationale Fußball und die deutsche Frauen-Bundesliga.

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