Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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© Maya Claußen

Die Autorin nimmt sich die lebenslang verschwiegene Geschichte ihres Vaters im Nachkriegsdeutschland Ende der 1960er Jahre vor (Jahrgang 1935, promovierter Chemiker). In Hinterlassenschaften auf dem Dachboden, in Archiven, Zeitungen und Interviews mit Zeitzeugen findet sie Tatsachen, die seine Vergangenheit, Naziideologie, Antisemitismus und Leugnung der Naziverbrechen verknüpfen. Völkisches Gedankengut hängt an der nationalen Zugehörigkeit Südtirols, die sich die Ewiggestrigen auch in Deutschland auf die Fahne geschrieben hatten. Verhandlungen zwischen Österreich, Deutschland und Italien komplizierten die Ermittlungen. Eindeutig hat sich der Vater vor seiner Heirat an Sprengstoffanschlägen gegen Einrichtungen in Südtirol beteiligt, bei denen meist nur Sachschaden entstand, aber eben auch einige Menschen starben. Er war der Bombenbauer. Ihr Vater und sein Bruder waren Mitbegründer einer rechten Studentenvereinigung, die vom Verfassungsschutz misstrauisch beobachtet wurde.

Damals lösten Hakenkreuzschmierereien in Köln noch Demonstrationen von Kriegsveteranen in England und USA aus. Adenauer ordnet sie als Flegeleien ohne politische Grundlage ein, die mit einer Tracht Prügel aus der Welt zu schaffen sind. Die Attentäter betrachtet man als irregeleitete Einzeltäter. Von vernetzten Organisationen, die die Szene tragen, wollen die Behörden nichts wissen. Weil das Eingeständnis ihres Vorhandenseins die Behauptung der DDR stützen würde, dass im Westen faschistisches Gedankengut und ihre Träger ungeschoren bleiben. Manche meinen, gegen diese Täter einen Prozess anzustrengen, wäre Wasser auf die Mühle der DDR. Besser wäre, sie gar nicht anzuklagen. Sogar der österreichische Ministerpräsident versucht Helmut Schmidt zu beeinflussen, den Prozess zu unterbinden. Gewaltenteilung ein Fremdwort. Die Justizministerin wird diffamiert als Marionette der DDR. Der Prozess zieht sich über Jahre hin und spricht die Brüder am Ende frei. Der Onkel betrieb, solange er hier mit Haftbefehl gesucht wurde, trotz rechter Einstellung eine Kiwi-Farm ausgerechnet in Südafrika und hielt die Apartheid für in Ordnung.

Bünger gewinnt Zugang zu teilweise vertraulichen Akten und stößt auf immer mehr Ungereimtheiten, die sie nur schwer mit dem Bild von ihrem Vater in Einklang bringen kann. Der Vater, den sie trotz aller Schrullen liebt, bleibt ihr ein Rätsel und unerträglich in seinen Meinungen. Wohlweislich wurde in der Familie nicht diskutiert, heikle Themen umschifft. Aussagen des Vaters waren Gesetz. Diese Diskrepanz macht der Autorin genauso zu schaffen, wie das Verhalten von Staat und Justiz gegenüber Rechtsradikalen, ein Muster, das sie bis in die Gegenwart findet. Heute hetzen solche Leute im Internet und sind nicht weniger gefährlich.

Ein wichtiges Buch, das die Frage unbeantwortet lässt, warum die einen Menschen mit ähnlichem Bildungsstand und familiärem Background, sich im rechten Spektrum radikalisieren und andere nicht.

 

Traudl Bünger konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, u.a. als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals »Wege durch das Land«. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Gemeinsam mit Roger Willemsen schrieb sie den Bestseller »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge«. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt von ihr der Roman »Lieblingskinder«. Für die Arbeit an »Eisernes Schweigen« wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Au- tor:innenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.

  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch
  • Erscheinungstermin: 11.04.2024
  • 384 Seiten
  • ISBN: 978-3-462-00490-8
  • Autorin: Traudl Bünger
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