Steinbeißermeier

Wie Frank-Walter Steinmeier deutsche Außenpolitik geprägt hat und was davon bleibt. Sieben Einschätzungen.

Michael Brzoska, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH)

"Gelsenkirchener Konferenz " der NRWSPD | "Gelsenkirchen Conference " of NRWSPD |
Frank-Walter STEINMEIER, Bundesaussenminister ©seppspiegl

Frank-Walter Steinmeier begann seine zweite Amtszeit mit dem festen Willen, deutsche Außenpolitik bedeutender und berechenbarer zu machen. „Verantwortung“ sollte dabei eine zentrale Rolle spielen, nicht zuletzt in Abgrenzung vom Vorgänger Westerwelle. Dessen Prinzip der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ wurde als Wegducken kritisiert. Minister Steinmeier war sehr erfolgreich damit, Deutschlands Gewicht in der internationalen Politik zu vergrößern. An erster Stelle gilt dies für die Ukraine-Krise. Andere Beispiele betreffen die OSZE, den Konflikt über das Atomprogramm im Iran und das Verhältnis zu Russland. Er erwies sich als zäh, flexibel und anpassungsfähig. Was ihm aber beim Krisenmanagement in den Hintergrund geriet, war die Entwicklung von belastbaren neuen Prinzipien deutscher Außenpolitik. Mehr Verantwortung allein erwies sich dafür als nicht hinreichend, weil zu offen und leicht zu unbedachtem Handeln führend. Die „reflective foreign policy“, die der Minister dann in diesem Jahr zu einer Art deutschem Markenzeichen machen wollte, zielt auf das Verfahren der Entscheidungsfindung, nicht auf Inhalte. Dasselbe lässt die Reform des Auswärtigen Amtes vermuten. Andererseits: Obwohl der Minister den Leitbegriff Westerwelles vermied, ist die Zahl der deutschen Soldaten in Auslandseinsätzen auf fast die Hälfte gesunken, von etwa 6000 Ende 2013 auf etwa 3500 Ende 2016. Zusammengefasst: Nicht ein offensives Konzept von Verantwortung, sondern defensives Abwehren größerer Gefahren prägte Deutschlands Außenpolitik. Herr Steinmeier erwies sich dabei als kluger Macher der Diplomatie auf bewährten Grundlagen deutscher Außenpolitik.

Markus Kaim, Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Aus den beiden Amtszeiten von Frank-Walter Steinmeier wird, losgelöst von vielen Einzelentscheidungen und -akzenten, vor allem eine dauerhaft veränderte Grundhaltung in Erinnerung bleiben, die sich im Sinne einer Art Steinmeier-Doktrin als „Gestalten statt Verwalten“ beschreiben lässt. Sie steht für einen größeren Willen der deutschen Außenpolitik, sowohl die europäische Nachbarschaft als auch das internationale System als Ganzes zu gestalten. Damit sind niemals nationale Alleingänge gemeint gewesen, im Gegenteil. Das Auswärtige Amt unter Außenminister Steinmeier hat sich immer von der Annahme leiten lassen, dass eine größere deutsche Rolle nur im Verbund mit den europäischen Partnern und im Sinne dieser möglich ist. Dieses Anliegen einer größeren deutschen Verantwortung darf zudem nicht mit Kraftmeierei verwechselt werden. In klarer Sicht auf Historie, strategische Kultur und Ressourcen deutscher Außenpolitik hat Frank-Walter Steinmeier immer wieder auf die Begrenzungen Deutschlands verwiesen, sich hinter diesen aber nicht verschanzt. Stattdessen hat er den Willen unterstrichen, Deutschlands Engagement und Einfluss auch angesichts widriger Umstände einzusetzen, um Sicherheit in einem wieder unfriedlichen Europa zu gewährleisten. Deutschlands Rolle bei der Einhegung des Konflikts um die Ukraine und die Übernahme des OSZE-Vorsitzes im Jahr 2016 sind nur zwei Beispiele dieser Grundhaltung. Auch der scheidende Außenminister wird freimütig einräumen, dass die deutsche Außenpolitik unter seiner Führung nicht alles erreicht hat, was sie avisiert hat, aber zumindest hat sie sich mit ihren Möglichkeiten ernsthaft darum bemüht. Dies ist aller Ehren wert.

Anna Maria Kellner, Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

Als bekannt wurde, dass Frank-Walter Steinmeier nach insgesamt fast acht Jahren als Außenminister im Februar 2017 wohl ins Schloss Bellevue einziehen wird, bemerkte der „Spiegel“, dass er als Bundespräsident sein Amt sicher nicht im Frust und Ärger eines Augenblicks fortwerfen werde. „Diplomatie eilt nicht von Sieg zu Sieg, sie ist Sisyphos-Arbeit“ hat Frank-Walter Steinmeier 2016 auf der Tiergartenkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung gesagt. Der Atom-Deal mit dem Iran, die mühsamen (und am Ende erfolglosen) Syrien-Gespräche in Genf und das Ringen um eine Lösung für die Ukraine und mit Russland – in allen diesen und vielen der Öffentlichkeit weit weniger bekannten Situationen hat er als Außenminister eine wirklich beeindruckende Ausdauer an den Tag gelegt.

Wo sich bei manchem irgendwann der Frust über die russische Hartleibigkeit in einem „Säbelrasseln“ entlud, blieb Steinmeier unerschütterlich in seinem Glauben an eine Politik der ausgestreckten Hand. Wo einige lauthals nach einem symbolträchtigen Abbruch von Gesprächen riefen, bestand er auf die Fortsetzung des Dialogs. Wer dies als Starrköpfigkeit auslegt, irrt. Die Realität ist eben nicht „ich mach‘ mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt“. Oder um es mit seinen eigenen Worten auszudrücken: „Wenn ich nur mit denen rede, die alle unsere Vorstellungen teilen, dann habe ich viel Zeit, die guten Beziehungen zur Schweiz zu pflegen und kann mittags nach Hause gehen.“

Frank-Walter Steinmeier hat das Wort von der „Welt aus den Fugen“ geprägt. Dass in einer solchen Welt manchmal auch ein gewisses Säbelrasseln notwendig sein kann, hat er nie verleugnet. Es gehörte nur schlicht nicht zu seinem Amtsverständnis, im Gegenteil: Er sieht und sah es als seine vornehmste Aufgabe an, im Dialog zu bleiben. Immer und überall und gerade dann, wenn es schwierig wird. Es sind diese Standfestigkeit und seine Beharrlichkeit, die den politisch von einer breiten Mehrheit getragenen und gesellschaftlich akzeptierten Quantensprung von der „Kultur der Zurückhaltung“ zu „Deutschlands neuer Verantwortung“ möglich gemacht haben. Das ist sein Vermächtnis als Außenminister und das wird seine Amtszeit überdauern.

Stefan Kornelius, Leiter des außenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung

Frank-Walter Steinmeier war kein programmatischer Außenminister, sondern führte das Amt solide, manchmal gar ein wenig langweilig. Das muss kein abschätziges Urteil sein, denn das Fehlerrisiko ist im außenpolitischen Geschäft höher als die Chance, große und visionäre Linien durchzusetzen. Stabilität war in den Steinmeier-Jahren allemal ein wichtiges Gut, und zu dieser außenpolitischen Stabilität hat Steinmeier beigetragen. Lediglich beigetragen muss man sagen, weil es das Bundeskanzleramt und die Kanzlerin sind, die die Leitplanken setzen, in deren Grenzen der Außenminister arbeitet. Da Angela Merkel die großen Themen besetzt und die Gestaltungsmacht allemal von den Regierungschefs reklamiert wird, bleiben dem Außenminister die Brosamen. Steinmeiers weichgespülte Rhetorik und sein appellativer Ton mögen fürs Präsidentenamt taugen, im Außenamt wäre ein bisschen mehr Klarheit erfrischend und lehrreich fürs hungrige Publikum gewesen.


Hans Kundnani, Senior Transatlantic Fellow im Europa-Programm des German Marshall Funds in Berlin.

Als er 2012 zum zweiten Mal Außenminister wurde, erkannte Frank-Walter Steinmeier, dass die deutsche Außenpolitik sich ändern müsste. „Deutschland ist ein bisschen zu groß und wirtschaftlich zu stark, als dass wir die Weltpolitik nur von der Seitenlinie kommentieren könnten“, erklärte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang 2014. Er kündigte eine Überprüfung („Review“) an, um einen „frischen Blick“ auf die deutsche Außenpolitik zu werfen. Kurz danach marschierte Russland auf der Krim ein und annektierte sie.

Neben der Bundeskanzlerin versuchte Steinmeier mit Russland zu verhandeln um eine „politische Lösung“ der Ukraine-Krise zu finden – allerdings mit wenig Erfolg. Ähnlich konnte Steinmeier im Syrien-Konflikt, in dem inzwischen fast eine halbe Million Menschen umgekommen sind, wenig erreichen.

Steinmeiers „Review“-Prozess war ebenfalls eine Enttäuschung: der Schlussbericht, der im März 2015 veröffentlicht wurde, zeigte nicht wirklich Ansätze dazu, die deutsche Außenpolitik in umfassenderem Maße neu zu konzipieren. Im Nachhinein ist klar, dass die SPD einen Fehler gemacht hat, 2012 das Auswärtige Amt zu besetzen, statt auf den Posten des Finanzministers zu bestehen, um damit mehr Einfluss auf die Wirtschaftspolitik und insbesondere auf die katastrophale deutsche Eurozonen-Politik ausüben zu können. Diese Fehler werden erst jetzt nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten richtig klar. Seine Wahl verändert die Rahmenbedingungen der deutschen Außenpolitik radikal und macht ein handlungsfähiges, vor allem sicherheitspolitisch unabhängiges Europa notwendig.


Almut Möller, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations

Ein Schlüssel zum Selbstverständnis des Außenministers Frank-Walter Steinmeier liegt in seinem Nachdenken über „Versagen und Nutzen der Diplomatie“ in den fünf schicksalhaften Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Ein Europa, das zu diesem Zeitpunkt in beispielloser Weise wirtschaftlich wie kulturell miteinander verwoben war, versank innerhalb kürzester Zeit in Krieg und Zerstörung. Die damalige Außenpolitik verfügte, so Steinmeier in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Januar 2014 anlässlich der Erinnerung an den Ausbruch des „Großen Krieges“, weder über den Willen noch über die Werkzeuge zu Vertrauensbildung und friedlichem Ausgleich der Interessen. Eine Kette von Fehleinschätzungen, mangelndes Vertrauen und ein Versagen der Eliten, auch der Diplomatie, führten Europa in die Abgründe des 20. Jahrhunderts. Der Frieden auf dem europäischen Kontinent, garantiert durch die Stärke des Rechts anstelle des Rechts des Stärkeren, und gemeinsame Institutionen des Ausgleichs, so der Außenminister, sei heute ein kostbares und zu schützendes Gut.

Nur wenige Wochen nach Verfassen des Beitrags annektierte Russland die Krim. Steinmeiers Handeln im Umgang mit Moskau spiegelt seine Überzeugung wider, dass es Aufgabe von Diplomatie ist, unermüdlich Kompromisslinien auszuloten und frühe Festlegungen zu vermeiden. Den Vorwurf des „Russlandverstehers“ hat er stets glaubhaft zurückgewiesen, auch weil er die notwendige kritische Distanz zu seinem Gegenüber wahrt. Natürlich ist es seine Aufgabe, die Perspektive des Anderen nachzuvollziehen. Dies aber ist nicht gleichbedeutend mit Akzeptanz.

Für die Charakterisierung Deutschlands als „reflective power“ in der Zeitschrift Foreign Affairs ist Steinmeiner in der außenpolitischen Community belächelt worden. Das klang vielen zu zögerlich, zu wenig nach „Ärmel hoch“, zu intellektualisierend und zu sehr nach deutschem Drückebergertum, das das Land nun doch endlich abstreifen müsste. Das aber ist ein Missverständnis. Der Außenminister Steinmeier scheut das Handeln nicht. Aber er macht es sich nie leicht.


Sylke Tempel, Chefredakteurin „Internationale Politik“

Gäbe es eine Steinmeier-Doktrin, sie müsste heißen: Unendliche Geduld für Gespräche unter schwierigsten Bedingungen und ein schier unerschöpflicher Glaube an die Kraft des Dialogs. Richtigerweise müsste man also eher über einen modus operandi sprechen, denn von einer Doktrin, die sich ja ein erreichbares strategisches Ziel zu setze hätte.

Vor 2014 hätte es eine solche Doktrin mit der „Modernisierungspartnerschaft“ ja vielleicht geben können. Mit dem Versuch also, wirtschaftliche, vor allem aber politische Hilfe beim Übergang zu einer demokratischen politischen Ordnung zu leisten. Russland hat diese Partnerschaft einseitig aufgekündigt. Was blieb, ist eine Außenpolitik, wie sie Harold Macmillan einst beschrieb, geprägt von „events, dear boy, events“. Unter derlei krisenhaften Umständen eine Doktrin zu formulieren, wäre vielleicht ohnehin zu vermessen gewesen. Angemessener ist es wohl, von einer Politik des Managements zu sprechen.

Quelle:  

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