Schlachtfeld der Zukunft
Der Ukraine-Krieg zeigt, wie unbemannte Systeme die Kriegsführung revolutionieren und neue Strategien erfordern – mit weitreichenden Konsequenzen.

Der Krieg in der Ukraine hat zu unermesslichem Leid, Zerstörung und Vertreibung geführt. Er tobt zu Land, auf dem Wasser und in der Luft. Zunehmend ist der Krieg auch ein Kräftemessen der industriellen Basis der beiden Länder (und ihrer Partner), ihrer Innovationsfähigkeit sowie der Resilienz (und Leidensfähigkeit) der jeweiligen Gesellschaften geworden.
Beobachter weltweit ziehen bereits erste Lehren aus dem Ukraine-Krieg. Zentrale Fragen betreffen die Wirksamkeit von Strategien und Taktiken, die Verfügbarkeit und Eignung verschiedener Waffensysteme angesichts der Intensität neuartiger Kampfhandlungen sowie die Anpassung aktueller Beschaffungspläne an die veränderten Realitäten. Westliche Militärs, Entscheidungsträger und die Rüstungsindustrie stehen vor der Herausforderung, ihre Ansätze zu überprüfen und gegebenenfalls grundlegend zu überdenken.
Der Ukraine-Krieg offenbart auf eindringliche Weise die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Militärtechnologien: Einerseits erinnern viele Momente an traditionelle zwischenstaatliche Kriege mit dem massiven Einsatz von Artilleriegeschossen. Andererseits bietet der Konflikt einen Einblick in die Kriegsführung der Zukunft, geprägt von digitalen Technologien, hochentwickelten Sensoren und unbemannten Systemen. Besonders bemerkenswert ist der bislang beispiellose Einsatz einer Vielzahl verschiedener Drohnentypen in großer Stückzahl durch beide Seiten – in der Form ein Novum in der Geschichte der Kriegsführung.
Im Bereich der UAVs (unmanned aerial vehicles) und UCAVs (unmanned combat aerial vehicles) steht insbesondere der Einsatz von First Person View-Drohnen (FPV) mit montierten Gefechtsgranaten im Fokus. Diese Drohnen werden sowohl gegen Infanterie als auch gegen gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt. Ursprünglich aus der Not eines Artilleriemangels auf ukrainischer Seite geboren, haben sich diese präzisen und leicht bedienbaren Waffensysteme als unverzichtbar im Konflikt erwiesen – auch wenn ihnen zunehmend durch elektronische Kampfführung (und kinetische Einwirkung) begegnet wird.
FPV-Drohnen haben das Potenzial, die traditionellen Ökonomien und Industrien der Kriegsführung zu verändern: Für lediglich 400 bis 500 US-Dollar kann eine Drohne gebaut werden, die in der Lage ist, einen Panzer im Wert von mehreren Millionen Dollar außer Gefecht zu setzen. Ukrainische Drohnenboote oder USVs (unmanned surface vehicles) wie Magura bekämpfen Schiffe der russischen Marine, aber auch Hochwertziele wie die Krim-Brücke.
Kostengünstige unbemannte Systeme können einen signifikanten Schaden beim Gegner anrichten.
Im Bereich des Seekrieges scheint sich zu bestätigen, was auch an Land beobachtet werden kann: Kostengünstige unbemannte Systeme können einen signifikanten Schaden beim Gegner anrichten. So wurde eine der modernsten russischen Korvetten, die „Sergej Kotow“, deren Baukosten von der Ukraine auf über 60 Millionen US-Dollar geschätzt werden, von mehreren (mit Sprengsätzen beladenen) Magura-Kamikaze-Drohnenbooten, die selbst jeweils rund 250 000 US-Dollar kosten, im März 2024 zerstört.
An Land ist der Einsatz unbemannter Fahrzeuge oder UGVs (unmanned ground vehicles) vergleichsweise selten. Ein Beispiel ist das kompakte russische Kettenfahrzeug „Kurier“, das mit einem AGS-17-Granatwerfer ausgestattet ist und die Infanterie unterstützen soll. Bemerkenswert ist, dass in einem Video, das den Einsatz des UGV „Kurier“ dokumentiert, das Fahrzeug von einer ukrainischen FPV-Drohne bekämpft wird. Weitere Aufnahmen zeigen den zunehmenden Einsatz von fliegenden Drohnen, die gegeneinander verwendet werden – mal sind es russische UAVs, die ukrainische Drohnen bekämpfen, mal umgekehrt.
Angesichts der zunehmenden Allgegenwart unbemannter Systeme in aktuellen Konflikten – etwa in der Ukraine, in Gaza oder am Roten Meer – drängt sich das in den 1990er Jahren intensiv diskutierte militärtheoretische Konzept der Revolution in Military Affairs auf. Diese Idee geht davon aus, dass technologische Entwicklungen, wie die Verbreitung unbemannter Systeme in verschiedenen Konfigurationen und großer Stückzahl, die Kriegsführung revolutionieren können. Sie schaffen die Grundlage für neue Taktiken und Strategien, die zuvor undenkbar waren.
Solche Systeme können beispielsweise für erweiterte ISR-Kapazitäten (intelligence, surveillance, reconnaissance) sorgen und das Schlachtfeld „transparent“ machen, also größere Truppenkonzentrationen schnell sichtbar und bekämpfbar werden lassen. Sie transformieren die Art und Weise, wie Kriege geführt werden und haben militärpolitische Implikationen. Daraus folgt auch, dass sich sowohl das Militär als auch die Militärindustrie auf diese Veränderungen neu einstellen und etablierte Vorstellungen über Kriegsführung und Technologien hinterfragen müssen.
Von letzterer Idee sind viele Militär-Start-ups in den USA überzeugt. Seit einigen Jahren kommen in diesem Sektor neue Player auf die Bühne, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen die Kriegsführung revolutionieren wollen. Eine der prominentesten Stimmen in diesem Kontext ist Elon Musk. Vor kurzem hat dieser die Sinnhaftigkeit des Mehrzweck-Kampfflugzeugs F-35 von Lockheed Martin, das in seiner Entwicklung und Anschaffung Hunderte Milliarden US-Dollar gekostet hat, angezweifelt.
Sie transformieren die Art und Weise, wie Kriege geführt werden.
Angesichts der rapiden Entwicklung unbemannter Systeme kann er auf einen wichtigen Punkt verweisen. Zwar werden Plattformen wie die F-35 wohl nicht so schnell obsolet, aber es ließe sich zumindest darüber nachdenken, inwiefern kosteneffizientere Drohnen Aufgaben von F-35 und anderer Luftüberlegenheitsjäger übernehmen können oder inwieweit eine Integration von UAVs/UCAVs und Flugzeugen, so wie es beispielsweise das Loyal Wingman–Konzept vorsieht, bei dem Kampfflugzeuge im Verbund mit UCAVs operieren, stärker forciert werden müssen.
Die Technologieunternehmen Palantir, spezialisiert auf Datenauswertung, und Anduril, bekannt für die Entwicklung unbemannter Systeme wie UAVs, UCAVs, AAVs (autonomous air vehicles), neuer Typen von Marschflugkörpern der Barracuda-M-Familie und modularer Unterwasserdrohnen, die über ihre firmeneigene Software Lattice gesteuert werden, haben die Gründung eines Konsortiums angekündigt. Dieses soll weitere Tech-Firmen und Militär-Start-ups einbinden. Ziel des Zusammenschlusses ist es, gemeinsam um lukrative Regierungsaufträge zu konkurrieren, besseren Zugang zum enormen US-Militärbudget von rund 850 Milliarden Dollar zu erhalten und etablierte Rüstungsriesen wie Lockheed Martin, RTX Technologies (ehemals Raytheon) oder Northrop Grumman zu verdrängen.
Neben ökonomischen Gründen treibt diese New Economy-Militärfirmen auch die Überzeugung an, dass derzeit tatsächlich eine Revolution der Kriegsführung stattfinde und die alteingesessenen Old Economy-Firmen zu träge sowie zu teuer seien. Sie verfügen nicht über die nötige Innovationskraft, um angemessen auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Es bedürfe folglich agilerer Anbieter von Dienstleistungen und Produkten, damit die USA im Sicherheits- und Verteidigungsbereich weiterhin einen Spitzenplatz einnehmen könnten und auf Konflikte und Kriege der Zukunft vorbereitet seien – hier rückt vor allem die mögliche Auseinandersetzung mit China ins Blickfeld.
Aus Sicht dieser aufstrebenden Tech-Firmen ist es höchste Zeit, dass die USA ihre Überlegenheit im Bereich von Drohnentechnologie, Robotik, Sensoren, Software und Künstlicher Intelligenz strategisch nutzen, um das US-Militär (aber auch Verbündete) mit überlegenen Waffen- und Verteidigungssystemen auszustatten.
Auch in der EU zeichnet sich eine Transformation im Verteidigungssektor ab.
Auch in der EU zeichnet sich eine Transformation im Verteidigungssektor ab. Der Ukraine-Krieg hat die bestehenden Schwächen offengelegt, bedeutende Investitionen etablierter Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall angestoßen und zugleich neue Start-ups – insbesondere im Baltikum – auf den Plan gerufen. Ein Beispiel dafür ist der UAV-Hersteller Origin Robotics aus Riga.
Die in Zusammenarbeit zwischen Lettland und Großbritannien gegründete Drone Coalition verfolgt das Ziel, die Ukraine zuverlässig mit Drohnentechnologie zu versorgen. Zu diesem Zweck soll in Europa eine Industrie mit robusten Lieferketten entstehen, die die Bereitstellung entscheidender Komponenten sicherstellen. Viele der Unternehmen, die im Rahmen der Drone Coalition zur Versorgung der Ukraine beitragen, existierten vor wenigen Jahren noch nicht.
Wie kürzlich der Vier-Sterne-General Christian Badia, stellvertretender Kommandeur des Allied Command Transformation der NATO, betonte, erfordere die strategische Transformation des Bündnisses angesichts neuer Herausforderungen nicht nur moderne Drohnentechnologie, sondern auch „eine belastbare Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, also Infrastruktur und Personal, und damit Industriekapazitäten“. Obwohl Fortschritte erzielt wurden, besteht weiterhin Handlungsbedarf. Ein entsprechendes Ökosystem für neue Technologien im Verteidigungssektor soll durch Förderprogramme wie DIANA von der NATO oder durch die EU-Kommission unterstützt werden.
Der zunehmende Einsatz von unbemannten Systemen bei aktuellen bewaffneten Konflikten einerseits und andererseits die Entstehung neuer Militärunternehmen, die die Entwicklung unbemannter Systeme mit viel Nachdruck forcieren und das Potenzial haben, etablierte Rüstungsfirmen zu „disruptieren“, sind zwei wichtige Trends, die Hinweise darauf geben, wie Kriege und Kriegsführung der Zukunft aussehen könnten.
Viele der Aufgaben, die früher einzelne Truppengattungen übernehmen mussten, lassen sich heute von Drohnen erledigen. Dazu zählen die Überwachung von Veränderungen auf dem Schlachtfeld, präzise deep strikes (wenn auch noch nicht mit der „Wucht“ ballistischer Raketen) gegen kritische Infrastruktur und Entscheidungszentren des Gegners, Patrouillieren auf dem Meer oder in Küstennähe, elektronische Kampfführung und vieles mehr.
Vor diesem Hintergrund müssen Militärtheoretiker, Industrievertreter, politische Entscheidungsträger und Militärs reflektieren, welche Systeme angesichts der technologischen Innovation auf den Schlachtfeldern der Zukunft tatsächlich von Nutzen sein könnten. Dabei ist es wichtig, Pfadabhängigkeiten im bisherigen Beschaffungswesen zu hinterfragen und kosteneffiziente und leicht skalierbare Lösungen in den Blick zu nehmen. Gerade im hochregulierten Verteidigungssektor sind es oft große Firmen, die über Jahrzehnte von staatlichen Aufträgen profitiert haben. In diesem Umfeld finden kleinere Firmen nur schwerlich ihre Nischen oder gelangen an nötiges Kapital. Letztlich wird sich jedoch die Technologie durchsetzen, die sich als effizient und einsatzfähig erweist.
Die notwendigen Debatten rund um die Regulierung von Drohnen und die Einhegung neuer (vor allem autonomer) Militärtechnologien wirken zunehmend wie aus der Zeit gefallen. Angesichts der Dringlichkeit aktueller Konflikte und der Entwicklung hin zu zukünftigen Kriegsformen bleibt kaum Raum für eine fundierte politische und gesellschaftliche Technikfolgenabschätzung im Bereich unbemannter Systeme. Bei aller Aufrüstungseile darf jedoch eine sorgfältige Prüfung der vielfältigen negativen Konsequenzen dieser Technologien nicht fehlen.
Johann Ivanov ist Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung für den Bereich Frieden und Sicherheit. Zuvor war er Büroleiter der FES in Ghana und stellvertretender Leiter der FES in Indien.
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