Politik: Riviera der Ruinen

Israels neue Offensive in Gaza führt zu einer Hungerkatastrophe und der Vertreibung der Bevölkerung. Deutschland darf nicht länger tatenlos zusehen.

Seit 18. Mai läuft die aktuelle israelische Offensive im Gazastreifen. Mit „Gideons Streitwagen“ soll die Armee die Hamas endlich besiegen, die Geiseln befreien und dafür sorgen, dass vom Gazastreifen keine Gefahr

Kein Stein bleibt auf dem anderen bei der Offensive der Israelis

mehr für Israel ausgeht. Dazu möchte Premier Benjamin Netanjahu das Küstengebiet langfristig wieder besetzen und unter die Sicherheitskontrolle Israels stellen, die Hamas entwaffnen, ihre Führung verbannen und den Plan von US-Präsident Donald Trump umsetzen: die zwangsweise Umsiedlung der Palästinenser. Die einheimische Bevölkerung soll zunächst im Süden des Küstengebiets in einer „sterilen Zone“ auf rund zehn Prozent der Fläche zusammengepfercht werden – letztendlich mit dem Ziel einer „freiwilligen“ Emigration. Von Freiwilligkeit kann angesichts der Zerstörung der Lebensgrundlagen allerdings nicht die Rede sein.

Trump hatte das Kriegsverbrechen der Vertreibung salonfähig gemacht, als er Anfang Februar 2025 seine Vision für den Gazastreifen präsentierte. Das Küstengebiet solle zu einer „Riviera des Nahen Ostens“ entwickelt werden, die lokale Bevölkerung permanent in Länder wie Ägypten und Jordanien umgesiedelt werden – zwischenzeitlich waren auch Sudan, Somaliland, Somalia und Libyen im Gespräch. Damit unterminierte er die weitere Umsetzung des Abkommens über eine Waffenruhe sowie einen Austausch von Geiseln und Gefangenen, für das er selbst noch vor Amtsantritt sein politisches Kapital in die Waagschale geworfen hatte. Dieses hätte den Einstieg in einen dauerhaften Waffenstillstand und die Rückkehr zur Diplomatie bieten können. Selbst wenn Trumps Vorschlag lediglich dazu dienen sollte, die arabischen Staaten unter Druck zu setzen und mehr Verantwortung zu übernehmen: Er legitimierte den Nullsummenansatz der israelischen Regierung und belebte alte Positionen der zionistischen Rechten, nun neu verpackt als vermeintlich unkonventionelles Denken.

Ohnehin hatten seit den Massakern vom 7. Oktober 2023 die Forderungen nach einer neuen Nakba (gemeint ist die Flucht und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Staatsgebiet Israels 1948) und nach einer israelischen Wiederbesiedlung des Küstengebiets im nationalreligiösen Spektrum des Landes Auftrieb erhalten. Trumps Vorstoß verstärkte die Unnachgiebigkeit Netanjahus, der aus innenpolitischen Gründen kein Interesse an einem Einstieg in Phase 2 des Waffenstillstandsabkommens hatte und Trumps Vision fortan als die „einzig gangbare Option“ bezeichnete. Ende März wurde im israelischen Verteidigungsministerium eine Migrationsabteilung eingerichtet, welche die „freiwillige“ Auswanderung der palästinensischen Bevölkerung des Gazastreifens organisieren soll.

Auch das Aushungern der Zivilbevölkerung ist ein Kriegsverbrechen.

Schon Anfang März verhängte Israel eine vollständige Abriegelung über den kriegszerstörten Gazastreifen und ließ keine Hilfs-, Wasser- oder Stromlieferungen mehr zu, um die Hamas unter Druck zu setzen. Seitdem hat sich dort die humanitäre Situation dramatisch zugespitzt. Die während des Waffenstillstands erzielten Fortschritte bei der Versorgung der Bevölkerung wurden zunichtegemacht. Die Bevölkerung leidet unter massiver Unterversorgung. Es droht eine Hungerkatastrophe. Auch das Aushungern der Zivilbevölkerung ist ein Kriegsverbrechen.

In den kommenden Tagen will Israel das System der humanitären Hilfe im Gazastreifen neu umbauen. Die Regierung begründet den Schritt mit dem Vorwurf, die Hamas habe bisher Hilfslieferungen abgefangen und sich daraus finanziert – stichhaltige Belege dafür wurden bislang nicht vorgelegt. Auch die Vereinten Nationen und andere Hilfsorganisationen bestätigen diese Darstellung nicht. Künftig sollen Lebensmittel und unentbehrliche Versorgungsgüter an wenigen Ausgabestellen – vorerst sind vier Zentren geplant – im Süden Gazas direkt an die Bevölkerung verteilt werden. Die Ausgabe soll durch spezialisierte NGOs erfolgen, von privaten Sicherheitsdienstleistern begleitet. Für den Schutz der Zonen ist die israelische Armee zuständig.

Die Töpfe bleiben leer, es kommen so gut wie keine Lebensmittel nach Gaza

Die Menge der Hilfsgüter bleibt jedoch auf das absolute Minimum zum Überleben beschränkt, die vorgesehene Kalorienzahl pro Person liegt dabei deutlich unter dem humanitären Mindeststandard. Die Bevölkerung im Norden hätte keine Möglichkeit, die Ausgabestellen zu erreichen. Und auch im Süden wären Hilfsempfänger großen Gefahren ausgesetzt, um zu den Verteilzentren zu gelangen. Zudem würde künftig nicht nur, wie bislang, die Einfuhr der Hilfslieferungen nach Gaza, sondern auch der Zugang der Bevölkerung zur humanitären Hilfe durch die israelische Armee kontrolliert.

Weder die Finanzierung des Vorhabens noch zentrale logistische Fragen sind bislang geklärt – etwa, wie ein Familienoberhaupt Essensrationen für zwei Wochen von einer Ausgabestelle in die eigene Unterkunft transportieren soll. Wer versorgt zudem Kriegswaisen, Alte und Verwundete? Nicht zuletzt verfügt die für diesen Zweck gegründete Gaza Humanitarian Foundation (GHF) im Gegensatz zu den UN-Organisationen und versierten NGOs weder über Erfahrung vor Ort noch über Beziehungen zur lokalen Bevölkerung. Eine adäquate und bedarfsgerechte Versorgung wird unter diesen Bedingungen kaum möglich sein.

Stattdessen droht humanitäre Hilfe zum Instrument israelischer Kriegsziele zu werden.

Stattdessen droht humanitäre Hilfe zum Instrument israelischer Kriegsziele zu werden. Damit steht der neue Ansatz im Widerspruch zu den humanitären Grundprinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Die Vereinten Nationen und die bisher beteiligten Hilfsorganisationen lehnen ihn daher entschieden ab. Die GHF scheint bereits vor dem Scheitern zu stehen.

Die Bundesregierung sollte sich jetzt dringend und mit Nachdruck für einen bedingungslosen humanitären Zugang zum Gazastreifen einsetzen – um das Blutvergießen zu beenden, weitere Zerstörung von Lebensgrundlagen zu verhindern und eine Vertreibung der Bevölkerung zu unterbinden. Dazu gehört, Israel unmissverständlich klarzumachen, dass Deutschland die von Premierminister Netanjahu formulierten Kriegsziele – eine langfristige Wiederbesetzung und die Vertreibung der Bevölkerung – ebenso ablehnt wie die angewandten Methoden der Kriegsführung, insbesondere das Aushungern und unterschiedslose Angriffe auf Zivilisten.

Ein sofortiger Lieferstopp von Waffen, die im Gazastreifen oder im Westjordanland eingesetzt werden können, sowie die Unterstützung einer Überprüfung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens würden ein klares politisches Signal senden. Gemeinsam mit europäischen und nahöstlichen Partnern sollte sich die Bundesregierung zudem aktiv für eine dauerhafte Konfliktregelung im Einklang mit dem Völkerrecht im Nahen Osten einsetzen. Die von Frankreich und Saudi-Arabien für Juni geplante Konferenz zur Unterstützung einer Zweistaatenlösung bietet die Chance, einen konkreten Fahrplan aus der Gewaltspirale zu entwickeln. Dabei wird es auch darauf ankommen, den arabischen Wiederaufbauplan für Gaza nicht nur rhetorisch zu unterstützen, sondern konkret auszuarbeiten, wie seine politische Umsetzung gelingen kann. Nicht zuletzt deshalb sollte Deutschland sich dort konstruktiv einbringen.

Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

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