Rezension: Zwischen Weiß und Rot
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Edwin Erich Dwinger: Zwischen Weiß und Rot (Leopold Stocker Verlag)
Was für ein Drama hat dieser (Fast-)Nobelpreisträger 1930 beschrieben! Warum eineEdwin Erich Dwinger Neuauflage zu diesem Thema? Im Geschichtsunterricht wird es bestenfalls nur kurz gestreift. Mir kam der autobiografische Roman durch die Familienforschung in die Hände. Ein Bruder meines Großvaters geriet in den Strudel des russischen Bürgerkriegs 1917 bis 1920 und wurde mit dem letzten amerikanischen Schiff aus Wladiwostok evakuiert.
Dwinger beschreibt sehr anschaulich den Konflikt zwischen den Bürgerkriegs-parteien: den Weißen, die die zaristischen Verhältnisse wiederherstellen wollten, und den Roten, die den Kommunismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Lenin hatte Trotzki zum Chef der roten Armee ernannt, die St. Petersburg, Moskau und Zentralrussland bis zur Wolgamündung beherrschte. Im Westen rückten die Polen und Tschechen vor, im Norden die Finnen und Balten, im Süden landeten Engländer und Franzosen und von Osten drängten Amerikaner und Japaner vor. Letztere strebten an, alle gegeneinander aufzuhetzen, um ein entvölkertes Gebiet ausbeuten zu können. Dazwischen tummelten sich tschechische Legionen, die das Chaos für ihre Zwecke nutzten. Das jahrelange Kriegsrecht führte zur Militarisierung der sowjetischen Gesellschaft.
Der Autor spekuliert, warum das menschliche Elend von Hundertausenden um Jahre verlängert wurde. Die Kriegsgefangenen wurden zerrieben zwischen den Lagern des verlorenen Ersten Weltkrieges, die jede Partei, wenn möglich, in ihre eigenen Reihen zwangsrekrutierte. Zu Fuß durchqueren die Soldaten hungernd, frierend und krank halb Sibirien. Überall treffen sie auf Brutalität: abgemetzelte Bauern, vergewaltigte Frauen, hingerichtete Offiziere, zusammengebrochene Pferde und Wagen, erfrorene Menschen jeder Art, denen man Kleidung und Nahrungsmittel geraubt hat. Die Gräuel gehen auf das Konto aller, auch der eigenen Seite. Der junge Autor, der als Freiwilliger in den Untergang zog, beobachtet, wie allmählich in seinem Umfeld die letzten Reste von Menschlichkeit zerbröckeln.
Die Alliierten gingen über Leichen, nur interessiert an Konzessionen zum Abbau der Bodenschätze Russlands, statt effektiv zu helfen. Die europäischen Demokratien schufen sich selbst das Monster, vor dem sie sich von nun an fürchteten. Manch Überlebender litt noch Jahrzehnte unter Albträumen. Posttraumatische Belastungsstörungen, damals als solche nicht erkannt, hatten nur Weicheier, deshalb wurde nicht gesprochen. Zudem standen Spätheimkehrer unter Generalverdacht, vom Bolschewismus beeinflusst zu sein.
Die Hoffnung Dwingers, dass seine Darstellung der Welt die Augen öffne, um eine Wiederholung des gleichen Grauens zu verhindern, hat sich nicht erfüllt. Das willfährige Militär ließ sich wieder instrumentalisieren, zog erneut mit Begeisterung ins Feld, obwohl darunter auch Teilnehmer des Ersten Weltkriegs gewesen sein müssten.
Auslieferung durch Ares Verlag
ISBN 978-3-7020-0929-8
Edwin Erich Dwinger
ZWISCHEN WEISS UND ROT
407 Seiten, 1 Karte, Ln., geb.
€ 19,90