Rezension: Lukas Hartmann, Martha und die Ihren
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Lukas Hartmann, Martha und die Ihren
Der Schweizer Autor Hartmann (Jg.1944) greift mit diesem Roman die Geschichte seiner Familie auf. Ausgangspunkt ist die karge Kindheit seiner Großmutter am Ende des 19. Jahrhunderts. Deren Vater starb früh, die Familie verlor ihren Ernährer. Mutter und sechs Kinder wurden von der Gemeinde, die für die Ortsarmen zuständig war, in alle Winde verstreut und verloren – mangels Transport- und Kommunikationsmitteln den ohnehin losen Kontakt. Martha, die Großmutter, musste bei fremden Bauern als sogenanntes „Verdingekind“ leben, d.h. für Unterkunft und Essen auf dem Hof arbeiten. Der Zusammenhalt war immer schon geprägt von Wortfaulheit, Gefühlsarmut, Strenge gegen sich selbst, da gibt es lebenslang keine überschüssige Kraft für Emotionen. Kein Wunder, dass Marthas einzige Antriebsfeder das materielle Entkommen aus der Armut ist. Es wird aus sachlichen Gründen und, wie es auch in gebildeteren Kreisen üblich war, unaufgeklärt geheiratet. Was Martha an Zuwendung fehlte, kann sie auch an zwei Söhne, die in die tägliche Pflicht integriert werden, nicht weitergeben. Sie verwitwet mehrmals, arbeitet sich jeweils in die Tätigkeiten ihrer Männer ein und erreicht einen gewissen Lebensstandard, aber genießen hat sie nicht gelernt, bleibt schroff und auch mitleidlos gegenüber ihren Angehörigen. Das spiegelt sich bis in die Einrichtung ihrer Wohnung.
Der Krieg verschont zwar die Schweizer Berge, die Unfähigkeit zur Empathie und die Erinnerungen an harte Zeiten sind zeitlos und wirken von Generation zu Generation weiter. Erst die Enkel versuchen einen eigenen Weg.
Bei Hartmann stehen Dialoge hinter Beschreibungen zurück, vermutlich weil er nur auf wenige Gespräche mit der Großmutter zurückgreifen konnte und ihm die Szenerien fehlten und er vor fiktiven Ergänzungen zurückscheute. Bevor er als junger Mann als erster in der Familie Fragen stellte, war Marthas Leben zwar Fakt aber auch mit ihren Kindern kein Gegenstand ausführlicher Gespräche gewesen. Zugänglich wurde sie erst, als sie bereits im Altenheim wohnte. Die Biografie einer Familie gehört in eine Reihe ähnlicher Bestandsaufnahmen, wie z.B. Lena Christ, Erinnerungen einer Überflüssigen (1881-1920) oder der Bäuerin Anna Wimschneider, Herbstmilch, (1919 -1993). Ihr gemeinsames Kennzeichen ist ein dem beschriebenen Milieu und der Zeit angepasster einfacher Sprachstil.
Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und für Kinder. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Schweiz und steht mit seinen Romanen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Diogenes Verlag AG
Hardcover Leinen
304 Seiten
erschienen am 24. April 2024
978-3-257-07273-0
€ (D) 25.00 / sFr 34.00* / € (A) 25.70
* unverb. Preisempfehlung
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