Nach dem Spiel ist vor der Politik

Schauen Sie besser genau, wer bei der Fußball-WM übers Feld läuft: Aus zahlreichen Fußballern sind später Politiker geworden.

Ein Foto, das die deutsche Fussballwelt in Aufruhr brachte: Ilkay Gundogan und Mesut Ozil mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan

In Ihrem Kinderzimmer zierten keine Poster von Gerd Müller oder Lothar Matthäus die Wände? Die Idole Ihrer Jugend hießen Willy Brandt oder Michail Gorbatschow? Für Sie ist die Fußball-Weltmeisterschaft die schlimmste Zeit des Jahres und Sie sind schon am überlegen, an welchen entlegenen Ort Sie für vier Wochen auswandern, um dem Fußball-Wahnsinn zu entgehen? Das müssen Sie nicht. Wir verraten Ihnen, warum die Fußball-WM auch für Sie interessant sein könnte.

Dass Ballakrobaten keine Wortakrobaten sind, sind gängige Clichés.

Fußball ist Fußball und Politik ist Politik. Dass dieser Satz nicht immer zutrifft, zeigte zuletzt die Debatte um das gemeinsame Foto der deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. So holt die Politik den Fußball immer wieder ein. 60 EU-Parlamentarier fordern in einem offenen Brief den Boykott der WM in Russland und die Debatte um Putins Politik wird die kommenden vier Wochen stets begleiten. Von Seiten der Nationalmannschaft hört man erwartbare Sätze hierzu. Der Bundestrainer Joachim Löw erklärt, dass an einer WM teilzunehmen nicht bedeute, sich „mit einem System, Regime oder Machthaber gemein  zu machen“, denn egal wo die deutsche Fußballnationalmannschaft spiele, stehe sie immer für ihre Werte ein: „Vielfalt, Offenheit, Toleranz“. Und der Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff, betonte sogar, dass seine Spieler mündig seien und politisch sein dürften.

Dass Ballakrobaten keine Wortakrobaten sind, sind gängige Clichés, die im Zusammenhang mit Fußballern gerne bemüht werden. Bisher galt es hierzulande, sich bereits in jungen Jahren zu entscheiden: Ruhm, gesellschaftliche Anerkennung, Millionen auf dem Konto und die Figur halten – oder in die Politik gehen. Die Beispiele des Abwehrschranks von Rhenania Würselen 09, Martin Schulz, (immerhin B-Jugend Vizemeister 1972) sowie des Sturmtanks Gerhard „Der Acker“ Schröder zeigen, dass hoffnungsvolle Talente dem Fußball verwehrt blieben, weil sie sich für die Politik entschieden.

In Afrika ist ein einstiger Weltfußballer Staatschef und in Brasilien begibt sich das Idol einer ganzen Generation auch politisch nach Rechtsaußen.

Daher lässt der nächste deutsche Spitzenpolitiker mit Länderspiel-Erfahrung wohl noch auf sich warten. Andere Länder sind da schon weiter. In Afrika ist ein einstiger Weltfußballer Staatschef und in Brasilien begibt sich das Idol einer ganzen Generation auch politisch nach Rechtsaußen. Wir präsentieren als Einstimmung auf die kommende Weltmeisterschaft in Russland vier Fußballer, die sich nach ihrer aktiven Karriere in der Politik versucht haben.

Fangen wir mit dem vielleicht prominentesten Beispiel an: George Weah. Fußballfans in Paris und Mailand feierten ihn für seine Tore und die FIFA würdigte ihn 1995 als ersten und bis jetzt einzigen afrikanischen Weltfußballer des Jahres. Gefeiert wurde Weah auch 2017, diesmal von Anhägern in seinem Heimatstaat Liberia. Er gewann die Präsidentschaftswahlen und sorgte für den ersten friedlichen Machtwechsel seit 1944.

Die Politikkarriere von Hakan Sükür könnte man dagegen unter der Überschrift „Vom Fußballhelden zum Staatsfeind“ zusammenfassen. Als Mitglied der goldenen türkischen Generation, die 2002 überraschend den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea belegte, gehört er zu den bekanntesten und beliebtesten türkischen Fußballspielern. Diese Popularität nutze er bei den Präsidentschaftswahlen 2014, als er für die AKP ins türkische Parlament einzog. Allerdings erklärte er 2016 seinen Austritt aus der Erdogan-Partei, da er ihr feindliche Schritte gegen die Gülen-Bewegung vorwarf. Es folgte eine Anklage wegen Präsidentenbeleidigung nach einem angeblichen Tweet über Präsident Erdogan und eine Fahndung wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“. Seit 2015 lebt Sükür in den USA und musste aus der Ferne zusehen, wie ihm seine Vereinsmitgliedschaft bei Galatasaray Istanbul, dem Verein, mit dem er acht türkische Meisterschaften und sogar den UEFA-Cup holte, entzogen wurde.

Sogar zweimal zum Fußballer des Jahres wurde Ronaldinho gekürt. Kaum einem Fußballer hat man beim Dribbeln so gern zugesehen wie dem berühmten Brasilianer mit dem Pferdeschwanz. Geschockt war daher nicht nur die Fußballwelt, als dieses Jahre Schlagzeilen zu lesen waren wie „Der Weltfußballer und der Faschist“. Der Hintergrund war die Ankündigung Ronaldinhos, für Jair Bolsonaro Politik machen zu wollen – einen offenen Rassisten, der bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 ein ernstzunehmender Kandidat ist.

Aber es gibt auch andere Beispiele aus Brasilien. Romario etwa, ebenfalls Weltfußballer, ebenfalls Weltmeister, ist Mitglied des brasilianischen Kongresses als Senator für Rio de Janeiro und kämpft dort gegen Korruption und für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

Auch für die größten Fußballmuffel und Politiknerds hat die WM also etwas zu bieten. Denn wer weiß, welch zukünftiger Staatschef da auf dem Spielfeld bereits zu beobachten ist. Alle anderen, die bei der WM einfach mal Politik Politik sein lassen wollen, mögen uns diese Zeilen verzeihen. Allen wünscht die IPG-Redaktion eine spannende Fußballweltmeisterschaft!

Oliver Philipp hat in Mainz, Dijon und Oppeln/Polen Europa- und Politikwissenschaften studiert. Seit Anfang 2017 arbeitet er für das Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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