Deutschland: Kürzere Lebenserwartung in benachteiligten Regionen
Weniger Bildung, Beschäftigung, Einkommen: Menschen, die in sozioökonomisch benachteiligten Landkreisen und Städten Deutschlands wohnen, haben eine geringere Lebenserwartung als jene aus wohlhabenden Gegenden. Das zeigt eine Studie, die im Fachblatt „The Lancet Public Health“ erschienen ist. Zuletzt vergrößerte die COVID-19-Pandemie die bestehenden Ungleichheiten. Die Politik ist gefragt.
Es ist nicht lange her, da hat der Europarat eine „wachsende Ungleichheit“ in Deutschland beklagt. Armut und soziale Ausgrenzung stünden in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, hieß es. Kinderarmut, Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Obdachlosigkeit: Es geht dabei nicht nur um materielle Dinge – es geht um Menschenleben.
Das verdeutlicht nun auch eine Studie, für die sich ein Forschungsteam unter Federführung des Robert Koch-Instituts (RKI) die 400 Gebietskörperschaften auf Kreisebene der Bundesrepublik mit Blick auf den sozioökonomischen Status angeschaut hat. Die Lebenserwartung bei Geburt liegt in Deutschland bei 78,1 Jahren für Männer bzw. bei 82,8 Jahren für Frauen (2022) – doch es gibt immer größer werdende Unterschiede:
- Laut der Untersuchung hatten Frauen in den privilegiertesten Regionen 2003 1,1 Jahre mehr an Lebenserwartung als jene in besonders benachteiligten Gebieten. Bis 2019 wuchs diese Lücke auf 1,8 Jahre an.
- Bei Männern betrug der Unterschied 2003 schon drei Jahre. 2019 waren es dann 3,1 Jahre.
„Zwischen 2020 und 2021, also den ersten beiden Jahren der COVID-19-Krise, nahm die Lebenserwartung sowohl in privilegierteren als auch in weniger wohlhabenden Gegenden ab“, schreiben die Studienautor:innen. Tatsächlich haben alle Bundesländer bislang nicht wieder das Vorpandemie-Niveau erreicht (s. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung). Doch bestimmte Gesellschaftsgruppen traf es stärker als andere. Die Folge: Die Ungleichheit wuchs weiter. 2021 lag der Unterschied bei der Lebenserwartung je nach sozioökonomischen Status bei 2,2 Jahren (Frauen) bzw. 3,5 Jahren (Männer).
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, COVID-19
Die Krankheiten, die von 2003 bis 2021 am meisten die Ungleichheit beeinflussten, waren Herz-Kreislauf-Leiden und Krebs. Die Krebssterblichkeit sei in den vergangenen Jahren insgesamt zwar zurückgegangen, „in den benachteiligten Regionen war dieser Rückgang jedoch nicht zu beobachten oder fiel geringer aus als in den wohlhabenderen“, erklärt das RKI dazu. „In der Pandemie kam hinzu, dass die COVID-19-Sterblichkeit in sozioökonomisch benachteiligten Regionen besonders hoch lag.“
Nach Ansicht der Forscher:innen braucht es daher vor allem „effektive Maßnahmen“, um „vorzeitige Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs in sozioökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu verhindern“. Ein Fokus solle dabei auf der Prävention und Bekämpfung von bösartigen Tumoren liegen. „Die Studienergebnisse machen deutlich, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ein wichtiges Handlungsfeld ist, um die gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland zu verbessern“, fasst das RKI zusammen.
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