Manuel Alexandre: Der Meister des Scherenstuhls aus Monchique
von Sepp Spiegl
Historisch gesehen ist der Scherenstuhl ein Nachfahre des viel älteren kurulischen Stuhls, der bei römischen Kaisern, europäischen Monarchen und sogar Napoleon Bonaparte beliebt war. Diese Stuhlstile lassen sich bis zu den alten Ägyptern zurückverfolgen, die sie nachweislich in Grabstätten platzierten, aber näher an Europa verbreiteten die Italiener ihre Verwendung auf dem gesamten Kontinent. Der Scherenstuhl, auch als X-Stuhl bekannt, ist ein Wahrzeichen von Monchique, seit die Römer ihn vor über 16 Jahrhunderten in dieser Gegend einführten.
Im Herzen der Algarve, eingebettet in die grünen Hügel von Monchique, findet man eine kleine, aber bemerkenswerte Werkstatt, die die Kunst des Handwerks lebendig hält. Diese Werkstatt gehört Manuel Alexandre, einem der letzten verbliebenen Meister des Scherenstuhls. Seine Arbeiten sind nicht nur Möbelstücke, sondern auch Zeugnisse einer langen Tradition und Kultur, die tief in der Geschichte Portugals verwurzelt ist.
Geschichte und Ursprung des Scherenstuhls
Der Scherenstuhl, auch bekannt als “Klappstuhl”, hat seine Ursprünge in der Antike. Seine ersten bekannten Exemplare stammen aus dem alten Ägypten, wo sie sowohl für praktische als auch zeremonielle Zwecke verwendet wurden. Diese frühen Scherenstühle waren meist aus Holz gefertigt und zeichneten sich durch ihre leichte Transportierbarkeit aus. Der Grundgedanke des klappbaren Stuhls war es, Sitzgelegenheiten leicht bewegen und verstauen zu können, was ihn zu einem beliebten Möbelstück für verschiedene Anwendungen machte.
Verbreitung im Römischen Reich
Die Römer übernahmen und perfektionierten die Idee des Scherenstuhls. Im Römischen Reich war der “sella curulis” ein Symbol der Macht und Autorität. Dieser klappbare Stuhl war oft mit Elfenbein verziert und wurde von hohen Beamten und Richtern genutzt. Der Name “curulis” leitet sich von “currus” ab, was Wagen bedeutet, da diese Stühle oft von Beamten während ihrer Reisen verwendet wurden. Die römische Variante des Scherenstuhls war ein Statussymbol und ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens.
Im Mittelalter und der Renaissance fand der Scherenstuhl weiterhin Verwendung, insbesondere in adligen und königlichen Haushalten. In dieser Zeit wurde der Stuhl häufig kunstvoll gestaltet und mit aufwendigen Schnitzereien und Polsterungen versehen. Der Scherenstuhl wurde zu einem Symbol des Wohlstands und der Raffinesse. Besonders in Italien und Spanien erlebte er eine Blütezeit, wobei er oft als “Savonarola-Stuhl” oder “Dante-Stuhl” bekannt war. Diese Stühle waren nicht nur funktional, sondern auch dekorative Kunstwerke, die die handwerkliche Fertigkeit und den Geschmack ihrer Besitzer widerspiegelten.
Einführung in Portugal
Der Scherenstuhl fand seinen Weg nach Portugal durch Handels- und Kulturaustausch mit anderen europäischen Ländern. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde der Stuhltyp in Portugal populär, insbesondere in den wohlhabenden Haushalten und bei der Kirche. Portugiesische Handwerker begannen, ihre eigenen Versionen des Scherenstuhls zu entwerfen und herzustellen, wobei sie lokale Materialien und Techniken verwendeten. Diese portugiesischen Varianten zeichneten sich oft durch ihre Robustheit und die Verwendung von heimischen Hölzern wie Eiche und Kastanie aus.
Im 19. und 20. Jahrhundert ging die Popularität des Scherenstuhls durch die Industrialisierung und die Einführung neuer Möbelstile zurück. Trotzdem blieb der Scherenstuhl in einigen ländlichen Gebieten Portugals, insbesondere in Monchique, ein fester Bestandteil der lokalen Kultur. Handwerker wie Manuel Alexandre setzten die Tradition fort und bewahrten das Wissen und die Techniken, die über Generationen weitergegeben wurden.
Heute erlebt der Scherenstuhl eine Renaissance als geschätztes Handwerksprodukt. In einer Welt, die von Massenproduktion und kurzlebigen Konsumgütern dominiert wird, schätzen viele Menschen die Qualität und das Erbe handgefertigter Möbel. Manuel Alexandre und andere Handwerker tragen dazu bei, dieses Erbe am Leben zu erhalten und den Scherenstuhl als Symbol für Handwerkskunst und kulturelle Identität zu bewahren. Die Geschichte des Scherenstuhls ist eine Reise durch verschiedene Kulturen und Epochen. Vom alten Ägypten über das Römische Reich und die Renaissance bis hin zu den traditionellen Werkstätten in Monchique hat dieser vielseitige Stuhl seinen Platz in der Geschichte der Möbelkunst behauptet. Der Scherenstuhl ist nicht nur ein praktisches Möbelstück, sondern auch ein Symbol für die Fähigkeit des Menschen, funktionale und ästhetische Lösungen zu schaffen, die die Zeit überdauern. Die Arbeit von Handwerkern wie Manuel Alexandre zeigt, dass Tradition und Handwerkskunst auch in der modernen Welt einen wichtigen Platz haben.
Monchique: Das Zentrum des Handwerks
Monchique, ein malerisches Städtchen in den Bergen der Algarve, ist seit Jahrhunderten ein Zentrum des traditionellen Handwerks. Die Region ist bekannt für ihre hochwertigen Holzarbeiten und ihre handwerkliche Expertise. Hier, in dieser ruhigen und idyllischen Umgebung, setzt Manuel Alexandre seine Fertigkeiten ein, um die Tradition des Scherenstuhls zu bewahren und weiterzuführen. Manuel Alexandre betreibt seine Werkstatt seit über 30 Jahren. Holzspäne, der Duft von frischem Holz und das rhythmische Klopfen der Werkzeuge waren seine ständigen Begleiter in seinen Lehrjahren. Diese Eindrücke prägten ihn und führten dazu, dass er das Handwerk perfektionierte. Seine Werkstatt ist ein Ort, an dem Tradition auf Innovation trifft. Auf den ersten Blick mag sie wie eine einfache Holzbearbeitungsstätte wirken, doch bei näherem Hinsehen erkennt man die Präzision und Liebe zum Detail, die in jedes Stück einfließen. Manuel verwendet überwiegend heimische Hölzer wie Erle und Ulme, die für ihre Langlebigkeit und Schönheit bekannt sind.
Der Herstellungsprozess
Der Herstellungsprozess eines Scherenstuhls beginnt mit der sorgfältigen Auswahl des Holzes. Manuel wählt nur die besten Stücke aus, die frei von Makeln sind und die nötige Festigkeit und Flexibilität bieten. Das Holz wird dann geschnitten und getrocknet, ein Prozess, der mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann, um die richtige Feuchtigkeit zu erreichen. Nach dem Trocknen beginnt der eigentliche Handwerksprozess. Manuel verwendet traditionelle Werkzeuge und Techniken. Jeder Schnitt, jede Bohrung und jede Verbindung wird mit größter Sorgfalt ausgeführt. Besonders die Gelenke und Verbindungen, die für die Stabilität und Langlebigkeit des Stuhls entscheidend sind, erfordern höchste Präzision. Nachdem die einzelnen Teile fertiggestellt sind, erfolgt die Montage. Hier zeigt sich die wahre Kunst des Scherenstuhls: Die Beine werden so zusammengefügt, dass sie sich kreuzen und den typischen Klappmechanismus ermöglichen. Dies erfordert nicht nur handwerkliches Geschick, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Materialeigenschaften des Holzes. Der letzte Schritt ist das Schleifen und Polieren. Manuel verwendet natürliche Öle und Wachse, um das Holz zu schützen und seine natürliche Schönheit hervorzuheben. Das Endergebnis ist ein Stuhl, der nicht nur funktional und bequem ist, sondern auch ein wahres Kunstwerk darstellt.
Für Manuel Alexandre ist das Handwerk mehr als nur ein Beruf. Es ist eine Lebensweise, eine Verbindung zur Vergangenheit und ein Beitrag zur Bewahrung einer kulturellen Tradition. In einer Zeit, in der Massenproduktion und billigere Materialien die Oberhand gewinnen, setzt Manuel bewusst auf Qualität und Handarbeit. Seine Stühle sind keine Wegwerfprodukte, sondern langlebige Begleiter, die Generationen überdauern können.
Herausforderungen und Zukunft
Die größten Herausforderungen für Manuel und andere Handwerker in Monchique sind der zunehmende Wettbewerb durch billige Massenprodukte und der Mangel an Nachwuchs, der bereit ist, das Handwerk zu erlernen. Trotz dieser Herausforderungen bleibt Manuel optimistisch. Er glaubt fest daran, dass Qualität und Handwerkskunst immer ihren Platz in der Gesellschaft haben werden. Sein Ziel ist es, sicherzustellen, dass das Erbe des Scherenstuhls auch in Zukunft weiterlebt.
Manuel Alexandre aus Monchique ist mehr als nur ein Hersteller von Scherenstühlen. Er ist ein Bewahrer einer jahrhundertealten Tradition, ein Künstler, der mit seinen Händen Geschichten erzählt, und ein Lehrer, der sein Wissen weitergibt. In einer Welt, die sich immer schneller verändert, bietet seine Werkstatt einen Ort der Ruhe und Beständigkeit, wo Handwerkskunst und Tradition in jedem Holzstück weiterleben.
Seine Arbeit erinnert uns daran, dass wahre Kunst und Qualität Zeit und Hingabe erfordern. Die Scherenstühle von Manuel Alexandre sind nicht nur Möbelstücke, sondern auch Symbole für die Schönheit und den Wert des Handwerks, das in Monchique und darüber hinaus geschätzt wird.
Casa Alexandre, Miradouro das Caldas de Monchique, Estr. Nationale 266, Monchique
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