All The Beauty And The Bloodshed

Im Oktober 2020 wurde einer der größten Pharma-Produzenten der USA zu Milliardenstrafen verurteilt. Die Pharmadynastie der Sackler-Familie reicht dabei an die 70 Jahre in der Geschichte zurück und fand mit der Zerschlagung deren Firma Purdue Pharma ein überraschendes Ende. Dokumentarisch aufbereitet, rollt Regisseurin Laura Poitras die Geschichte des Oxycodon-Produzenten auf und widmet sich im Konkreten dem Fall der Künstlerin Nan Goldin, die jahrelang gegen die Sackler-Familie und die Opioidkrise in den Vereinigten Staaten protestierte.

Die Fotografin Nan Goldin, weltberühmt für ihre beißend intimen Studien über Sex und die Erforschung von LGBTQ+-Subkulturen, erklärt sich selbst zu einer engen Überlebenden der amerikanischen Opioid-Epidemie. Nach einer Operation an einer verletzten Hand im Jahr 2014 wurde ihr OxyContin verschrieben, und sie wurde drei Jahre lang süchtig. Nachdem ihr das Geld ausgegangen war, nahm sie eine Überdosis des synthetischen Opiats Fentanyl und wäre fast gestorben.
Aus diesem Grund ist Laura Poitras’ Dokumentarfilm über Goldin, der Venedig-Preisträger All the Beauty and the Bloodshed, in der Lage, Kunst und Aktivismus so kraftvoll miteinander zu verflechten. Das Rückgrat des Films ist Goldins Kampf gegen die Familie Sackler, eine Dynastie, die Millionen an Kunst- und akademische Einrichtungen auf der ganzen Welt gespendet hat, deren Unternehmen Purdue Pharma jedoch noch bis 2019 OxyContin vermarktete und verkaufte und die mit 3.000 Klagen wegen der verheerenden Folgen der Epidemie für amerikanische Familien konfrontiert wurde.
In der Eröffnungsszene des Films inszeniert Goldin einen “Die-in”-Protest im Sackler-Flügel des Metropolitan Museums – eine von Dutzenden von Institutionen, die unter Druck geraten würden, die Schenkungen der Familie abzulehnen und ihren Namen von den Galerien zu entfernen. (Viele, darunter die Tate, das Guggenheim, das V&A und das British Museum, haben dies bereits getan.) Im Jahr 2018 war dies die erste Aktion von Goldins neu gegründeter Interessengruppe Prescription Addiction Intervention Now (P.A.I.N.), bei der Hunderte von Pillenflaschen, die mit Sackler beschriftet waren, in das Reflexionsbecken im Hauptraum des Flügels geworfen wurden.

Inmitten dieser Saga schweift Poitras zwischen einigen von Goldins bedeutenden beruflichen Errungenschaften hin und her, zu denen vor allem ihre Diashow The Ballad of Sexual Dependency von 1985 gehört – ein teilweise autobiografisches Projekt, das Fotografien von vielen von Goldins engen Freunden im New Yorker Stadtteil Bowery in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren zeigt.
Auf dem Cover der Buchversion ist Nan im Bett liegend zu sehen, während ihr damaliger Geliebter Brian nackt rauchend dasitzt; derselbe Brian schlug sie 1984 auf einer Reise nach Berlin so heftig, dass sich ihr Auge fast aus der Augenhöhle löste. Die Entscheidung, ein Foto ihres geschundenen Gesichts nach diesem Angriff zu zeigen, hat sie nach eigener Aussage davon abgehalten, zu ihm zurückzukehren.
Es gibt noch weitere Themen in diesem bemerkenswerten Porträt, die ganze Filme hätten tragen können, darunter der vertuschte Selbstmord von Goldins älterer Schwester Barbara im Alter von 18 Jahren und ihre Dokumentation von HIV-positiven Freunden, die in der Reagan-Ära dahinsiechten.
Alles hat Gewicht und spricht für eine Agenda, die darauf abzielt, Kunst zu schaffen, die von Bedeutung ist und Reflexion und Veränderung erzwingt. Die Gesichter der Sacklers, die den trauernden Familien und Goldin selbst bei einem Videotelefonat zuhören, werden Sie bis ins Mark erschüttern. Unabhängig davon, wie vertraut man mit dieser erschütternden Chronistin des Lebens am Rande der Gesellschaft ist, der Film ist fesselnd und unverzichtbar.