von Dr. Bernd Kregel

Wiederentdeckung einer Vorzeige-Region

Am Rande der Vogesen und des Jura faszinieren die Besonderheiten des französischen Grenzgebiets.

Die Festung von Belfort (mit Löwen)

Es ist das größte Löwenrudel der Welt, größer noch als irgendwo in der afrikanischen Savanne. Mit spitzen steinernen Krallen und gefletschten Zähnen hat es sich im Schatten der Kathedrale von Belfort über die schmucken Häuserfassaden der Altstadt verteilt. Und dies gleich in mehr als hundertfacher Ausfertigung, teils listig verborgen im Mauerwerk oder aber mit offen zur Schau gestelltem Imponiergehabe. Jedes der Tiere dabei beseelt von der Absicht, jedem Eindringling umgehend Einhalt zu gebieten.

Und doch sind sie selbst in ihrer Gesamtheit leicht zu übersehen, lässt man den Blick hinauf schweifen zu dem „Löwen von Belfort“, der sie alle überragt. Am schroffen Felsabhang unterhalb der mächtigen Festung hat er in der widersprüchlichen Pose der trauernden Unbesiegbarkeit aufgestützt Stellung bezogen. Wohl um damit zum Ausdruck zu bringen, dass im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 der Verteidigungswille der Festung erst auf höhere politische Weisung aus Paris beendet wurde. Eine historische Besonderheit, die bei der als schmählich empfundenen militärischen Niederlage die Ehre der „Grande Nation“ zumindest durch diese bravouröse Ausnahme bis in die Gegenwart hinüber rettete.

Kulturelle Ausstrahlung
Dennoch stand die Franche-Comté von ihrem Bekanntheitsgrad lange Zeit nicht in der ersten Reihe der französische Regionen. Irgendwo gelegen zwischen Landesteilen mit wohlklingenderen Namen wie Elsass und Burgund wollte auf dem Weg der Reisenden in den sonnigen Süden eher die Funktion einer Übergangsregion zu ihr passen.

Völlig zu Unrecht, wie schon die alten Römer wussten, die auf der ständigen Suche nach heißen Quellen in dem Ort Luxeuil-les-Bains den Grundstein legten für eine der schönsten Thermalanlagen des Landes. Oder der Missionar Columban, der denselben Ort für würdig erachtete, dort eine berauschend schöne gotische Kathedrale zu errichten, deren kulturelle und spirituelle Ausstrahlung noch heute spürbar ist.

Studentenchor aus Shanghai beim Musikfestival

Musikalische Dichte
Kulturelle Akzente setzt auch die Festungsstadt Belfort mit ihren alljährlich stattfindenden Großveranstaltungen. So dem seit drei Jahrzehnten bewährten internationalen Musikfestival, bei dem 2500 Musiker aus allen Kontinenten hier zusammen strömen. Vier Tage lang bringen sie an allen verfügbaren Aufführungsstätten die Kabinettstücke ihres Repertoires zu Gehör. So mit Hingabe der Studentenchor der Universität Shanghai, der nicht ohne die Zugabe eines bezaubernden „Ave Maria“ vom Publikum entlassen wird.

Ganz anders die Jazzformation eines ukrainischen Lyceums. Ein Klangkörper, der am Rande der Altstadt unter einer riesigen Zeltkonstruktion mit vollem Saxophonsound auftritt. Erstaunlich, wie Schülerin Anna sich mit ihrer Bassgitarre in dieser Klangfülle zu behaupten weiß. Ebenso wie die charmante Alice, die mit ihrem stimmsicheren Sopranauftritt wahre Beifallsstürme hervorruft. Und schon warten auf anderen Bühnen die Gruppen aus Mali, Israel, Russland und Portugal. Jeweils zeitlich versetzt und doch in einer musikalischen Dichte, wie sie nur selten erlebt wird.

Städtisches Schmuckkästchen
Und doch ist nicht zu leugnen, dass Belfort eine ernst zu nehmende Konkurrentin fürchten muss. Es ist die Stadt Montbéliard, die von ihrem äußeren Erscheinungsbild einem Schmuckkästchen entnommen zu sein scheint. Mit ihren wunderbaren Stufengiebeln, einem ansehnlichen Marktplatz und üppigen Blumenanlagen. In der Farbigkeit ihrer Gesamterscheinung erinnert die Altstadt gar an die romantischen Städtchen zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb.

Dieser Eindruck täuscht nicht. Denn es gehört zu den historischen Eigenarten dieser Region, dass sich zur Renaissancezeit das Haus Württemberg hier einheiratete und vierhundert Jahre lang die Geschicke dieses Landstriches selbst gegen die Einflussnahme der Pariser Zentralgewalt bestimmte. Besonders die Übernahme der lutherischen Reformation durch das Haus Württemberg war manchem französischen Herrscher ein Dorn im Auge.

Käsesorten der Kooperative bei Montbéliard

Zentrum für Menschenrechte
Nicht hingegen den Abweichlern von der reinen katholischen Lehre, die als Wiedertäufer oder Mennoniten die Schweiz verlassen mussten. Hier fanden sie, vergleichbar den späteren Hugenotten in Preußen, einen sicheren Unterschlupf und verstanden es, sich mit einer effektiven Landwirtschaft unverzichtbar zu machen. So erklärt es André Alix, der Präsident der landwirtschaftlichen Kooperative in der gut bestückten Käserei. Die profitiert noch heute mit Käsesorten wie dem „Le Wurtemberg“ von den soliden agrarischen Kenntnissen und Techniken der „ketzerischen“ Vorfahrenhk.

Vielleicht war es diese Art protestantischer Toleranz, die auch an anderer Stelle das Augenmerk auf die Menschenrechte richtete. So in dem kleinen Ort Champagney, wo die Landwirte unter aufgeklärter Anleitung ein Schreiben an König Ludwig XVI. richteten, und ihn darin um die Abschaffung französischer Sklaverei in Übersee nachsuchten. Das Dokument kam zwar nie an, wie Museumsführerin Elodie im „Sklaverei- und Menschenrechtsmuseum“ mit leichtem Augenzwinkern betont. Und doch ist es ein Beweis dafür, wie ernst es um die Menschenrechte in dieser Region bestellt war.

Hochprozentiges mit Absinth-Zusatz

Kulinarischer Höhepunkt
Schließlich wollte man auch selbst ein wenig leben „wie Gott in Frankreich“. Am besten mit einem guten Tropfen vom Rebstock oder – noch konzentrierter – vom Obstbaum. Der Ort Fougerolles ist noch heute ein Zentrum des Hochprozentigen, der vor allem aus Kirschen in riesigen Destillieranlagen gewonnen wird. Unglaublich, so Brennereiexperte Hugues de Miscault, in welchen Mengen dieser Obstschnaps einst konsumiert wurde.

Seine Führung durch den „Garten der Grünen Fee“ verdeutlicht, welche Rolle das heute eher unbedeutende bis unbekannte Kraut des Absinth bei dem Produktionsprozess spielte. Zwischendurch verboten wegen toxischer Gefahren, hat man die Auswirkungen heute wieder voll im Griff. So gehört das Kraut erneut zu den kulinarischen Höhepunkten der heimischen Schnapsbrennerei.

Gott in Frankreich
Der Genuss eines guten Tropfens steht jedoch keinesfalls im Widerspruch zu einer höheren Spiritualität. Eines der weltweit angesehensten Bauwerke ist die Chapelle de Ronchamp, einer der großen Würfe modernen Kirchenbaus. Auf kleinstem Raum gestaltete Stararchitekt Le Corbusier in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Musterbeispiel moderner Architektur, das durch seine Schlichtheit besticht und zur Meditation einlädt.

Gleichsam eine innerliche Vorbereitung auf die körperliche Entspannung, die die „Cabanes des Grands Reflets“ in Joncherey für ihre Besucher bereit halten. Errichtet auf Stelzen in Ufernähe eines Sees oder eingearbeitet in die Baumwipfel eines angrenzenden Wäldchens lässt sich in ihnen die Zeit vergessen. Besonders in den mit angenehm temperiertem Wasser gefüllten Holzzubern, begleitet vom Gesang der Vögel in den Ästen ringsum. „Gott in Frankreich“? Der würde sich hier sicherlich ebenso wohl fühlen.

 

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Reiseinformationen “Franche-Comté”:

Anreise: Die Anreise erfolgt mit dem Flugzeug, der Bahn oder dem Auto über Basel. Weiter mit Mietauto oder öffentlichen Verkehrsmitteln.

Einreise: Die Franche-Comté liegt im Schengen-Bereich, daher ist ein Personalausweis ausreichend.

Reisezeit: Empfelenswert ist das Sommerhalbjahr wegen der besseren klimatischen Bedingungen.

Unterkunft: Joncherey: Cabanes des Grands Reflets, www.cabanesdesgrandsreflets.com; Luxeuils-les-Bains, Hotel Residence Les Sources, www.70lessources.fr; Belfort: Grand hotel Le tonneau d’or, www.tonneaudor.fr;

Attraktion: Das FIMU-Musikfestival in Belfort: “Festival International de Musique Universitaire” , www.fimu.com;

Auskunft: Bourgogne-Franche-Comté: www.bourgognefranchecomte.fr; Belfort Tourisme: www.belfort-tourisme.com; Pays de Montbéliard: www.paysdemontbelisrd-tourisme.com

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