Deutsche Redewendung: „Kalte Füße bekommen“
von Sepp Spiegl
Warum bekommen wir „kalte Füße“?
Die Redewendung „kalte Füße bekommen“ bedeutet, dass jemand plötzlich Angst oder Zweifel bekommt und ein geplantes Vorhaben kurzfristig aufgibt oder sich davon zurückzieht. Zum Beispiel, wenn
man sich in jemanden verguckt hat und sich fest vornimmt, die oder denjenigen anzusprechen. Aber sobald man Augenkontakt hat ‒ schwups ‒ bekommt man kalte Füße und macht auf der Stelle kehrt. Dabei hat man ja in dem Fall keine kalten Füße, sondern höchstens Herzklopfen und Schweißausbrüche. Der Ursprung der Wendung liegt vermutlich im Glücksspiel, wo Spieler in kalten Kellerräumen, die oft als Spielorte dienten, die Kälte als Ausrede nutzten, um aus dem Spiel auszusteigen, besonders wenn sie schlechte Karten hatten. Doch was steckt hinter dieser Redewendung, die in Deutschland fest zum Sprachgebrauch gehört?
Herkunft der Redewendung: Zwischen Glücksspiel, Krieg und medizinischem Volksglauben
Die genaue Herkunft der Redewendung „kalte Füße bekommen“ ist nicht eindeutig belegt, aber es gibt mehrere gut belegte und sprachgeschichtlich nachvollziehbare Theorien, die alle interessante Einblicke in die Lebenswelt vergangener Jahrhunderte geben. Der Ausdruck könnte aus England stammen, aus der Welt der „Zocker“. Weil Poker und andere Glücksspiele verboten waren, zog man sich oft in ungemütliche Kellerräume zurück. Die Redewendung „kalte Füße bekommen“ kommt auch aus der Welt des Sports. Was macht ein Sportler kurz vor dem Wettkampf? Richtig, er wärmt sich auf. Mit kalten, klammen Füßen ist man nämlich nicht beweglich, kann nicht siegen und hat Angst, weil man nicht wegrennen kann.
1. Ursprung im Glücksspielmilieu
Eine der populärsten Theorien führt die Redewendung auf das Glücksspiel des 19. Jahrhunderts zurück – genauer gesagt auf Pokerrunden, wie sie in Salons und Hinterzimmern der damaligen Zeit stattfanden. Wer pleite war und nicht mehr weiterspielen konnte, wurde irgendwann durch auffällige körperliche Signale entlarvt – etwa durch mangelnde Kleidung oder zittrige Hände. Kalte Füße galten als Zeichen dafür, dass jemand sich das Spiel buchstäblich „nicht mehr leisten konnte“. Da man sich keine Schuhe oder warme Kleidung leisten konnte, fror man – und „kalte Füße“ wurden zum Sinnbild für die Flucht aus einer Situation, in der einem sprichwörtlich die Mittel ausgingen. Der körperliche Zustand wurde damit zum Bild für einen seelischen Rückzug oder eine Flucht aus Überforderung.
2. Soldaten und Schlachtfelder: Kalte Füße im Krieg
Eine andere Theorie geht deutlich weiter zurück – ins mittelalterliche oder frühneuzeitliche Militärleben. In der Zeit, als Soldaten noch tagelang marschierten, schlecht ausgerüstet waren und im Winter oft barfuß oder mit durchweichten Stiefeln unterwegs sein mussten, galten kalte Füße als Schwächesymptom. Wer sich beklagte, nicht mehr marschieren oder kämpfen zu können, berief sich mitunter auf „kalte Füße“ – ob als Ausrede oder reale Einschränkung. Im übertragenen Sinne wurde daraus: Wer Angst vor der Konfrontation oder vor der Schlacht hatte, „bekam kalte Füße“ und zog sich aus dem Geschehen zurück. So wurde der Ausdruck mit Feigheit, Flucht oder taktischem Rückzug verbunden – ein Image, das er bis heute teilweise behalten hat.
3. Medizinischer Volksglaube und Symbolik der Kälte
Auch im medizinischen Volksglauben des Mittelalters spielt die Kälte eine zentrale Rolle. Kälte wurde häufig mit Krankheit, Schwäche und Tod assoziiert. Warme Füße galten als Zeichen von Gesundheit und Lebensenergie – kalte Füße hingegen als Vorzeichen von Schwäche, Angst oder gar einem bevorstehenden Tod. In der volkstümlichen Vorstellung wurden emotionale Zustände häufig körperlich gedeutet. Wer Angst hatte, dem „lief ein Schauer über den Rücken“, und wer einen plötzlichen Rückzieher machte, dem „wurden die Füße kalt“. In dieser Tradition könnte die Redewendung ebenfalls verwurzelt sein.
4. Erste schriftliche Belege
Sprachhistorisch tritt die Redewendung im Deutschen etwa im späten 19. Jahrhundert in literarischen Texten und Alltagsberichten auf. Sie wird dort zumeist bildlich verwendet – als Zeichen plötzlichen Rückzugs aus einer belastenden oder beängstigenden Situation. Der Ausdruck ist also relativ jung im deutschen Sprachgebrauch, hat sich aber durch seine bildhafte Stärke und Alltagstauglichkeit schnell durchgesetzt.
Alltagsgebrauch: Zwischen Humor und Ernst
Im Alltag ist der Ausdruck heute allgegenwärtig – meist mit einem Augenzwinkern. Wenn jemand eine geplante Operation verschiebt, ein Vorstellungsgespräch absagt oder kalte Füße vor der Hochzeit bekommt, wird die Wendung verwendet. Sie suggeriert einen Rückzieher im letzten Moment, verbunden mit Unsicherheit oder plötzlicher Furcht.
Beispiele:
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„Lisa wollte eigentlich ein Auslandsjahr machen, aber jetzt bekommt sie kalte Füße.“
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„Kurz vor dem Sprung aus dem Flugzeug beim Fallschirmsprung bekam er kalte Füße – und blieb sitzen.“
In der Politik: Kalte Füße unter Druck
Auch in der politischen Sprache hat sich die Redewendung etabliert. Parteien oder Politiker, die unter öffentlichem Druck einen Kurswechsel vollziehen, werden oft als jemand beschrieben, der „kalte Füße bekommen hat“.
Beispiel:
Als die Bundesregierung im letzten Moment den Gesetzesentwurf zur Rentenreform stoppte, kommentierten Kritiker: „Offenbar hat man in Berlin kalte Füße bekommen.“ Der Ausdruck dient hier oft als Vorwurf von Inkonsequenz oder mangelnder Standfestigkeit.
Wirtschaftlich betrachtet: Wenn Investoren zögern
In der Finanzwelt wird die Redewendung zunehmend genutzt, um das Verhalten von Investoren oder Unternehmen zu beschreiben, die sich plötzlich aus Projekten zurückziehen. Die Angst vor Risiken – etwa bei unsicheren Startups, volatilen Märkten oder geopolitischen Krisen – lässt viele „kalte Füße bekommen“.
Beispiel aus den Medien:
„Nach den Warnungen vor einer Immobilienblase haben zahlreiche Investoren kalte Füße bekommen und ihre Beteiligungen zurückgezogen.“
Blick ins Ausland: Gibt es „kalte Füße“ auch anderswo?
Auch in anderen Ländern gibt es vergleichbare Ausdrücke:
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Englisch: to get cold feet – exakt dieselbe Wendung, besonders gebräuchlich bei geplatzten Hochzeiten oder Geschäftszusagen.
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Französisch: avoir la frousse (wörtlich: Angst haben), oder weniger direkt: reculer au dernier moment (im letzten Moment zurückweichen).
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Italienisch: avere paura (Angst haben) – hier fehlt das bildhafte Element, dennoch trifft die Bedeutung zu.
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Spanisch: echarse atrás – „sich zurückziehen“, sinnbildlich ebenfalls ähnlich.
Die deutsche Redewendung hat also durchaus internationale Verwandte – doch das Bild der „kalten Füße“ ist besonders plastisch und einprägsam.
Positive und negative Konnotationen
Negativ wirkt die Redewendung oft dann, wenn sie mit Feigheit, Unentschlossenheit oder Wortbruch verbunden wird. Wer „kalte Füße bekommt“, lässt andere im Stich oder bricht Versprechen.
Doch positiv kann sie auch als Zeichen von Selbstreflexion verstanden werden. Manchmal ist ein Rückzug sinnvoll und zeugt von der Fähigkeit, Risiken richtig einzuschätzen oder falsche Entscheidungen zu revidieren.
Kalte Füße – ein menschliches Phänomen
Ob im Mittelalter beim Kartenspiel oder im modernen Großraumbüro – das Phänomen der kalten Füße begleitet uns durch alle Zeiten und Lebensbereiche. Die Redewendung hat sich fest im deutschen Sprachgebrauch etabliert und bietet eine anschauliche Metapher für das uralte menschliche Gefühl der Unsicherheit. Und manchmal, da sind kalte Füße einfach ein Zeichen von kluger Vorsicht – und nicht von Feigheit.
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