Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Zora Neale Hurston: Barracoon

Das wissenschaftliche Debüt der später anerkannten afroamerikanischen Völkerkundlerin Hurston wurde 1931 fertiggestellt. Es ist auch ein forschungsgeschichtliches Dokument. Die Autorin recherchierte im Auftrag von Dr. Franz Boas, dem Vater der amerikanischen Anthropologie. Da sie sich der Problematik subjektiver Erinnerungen aus 67 Jahren Rückschau bewusst war, benutzte sie zur historischen Absicherung weitere Quellen, gab diese aber nicht ordnungsgemäß an. Das ist wohl einer der Gründe, weshalb der Text nie veröffentlicht wurde. Sie hätte ihre Karriere aufs Spiel gesetzt.

Die Autorin, die sich auf die Sammlung von afrikanischen Kulturrelikten auf amerikanischem Boden spezialisierte, hat weitgehend die authentische Redeweise des Yoruba Oluale Kossola wiedergegeben und den Bericht durch Situations- und Stimmungsbeschreibungen ergänzt. Die Rolle als objektive Beobachterin gelang ihr nur zum Teil. Im Unterschied zu anderen Sklavengeschichten, in denen es um das Leben als Sklave und die Befreiung geht, schildert „Barracoon“ die Erlebnisse eines noch in Afrika Geborenen, der zwar zum Christentum bekehrt wurde, aber deutlich im Glauben seiner Heimat ankert. Diese Menschen wurden von den in Amerika geborenen schwarzen Amerikanern als Wilde gemobbt. Ihre Sehnsucht blieb die Rückkehr in die Heimat. Niemand erzählte ihnen von der American Colonization Society, die sich um Rückführung bemühte, und ihr Einkommen nach der Befreiung war zu gering, um genug für die Überfahrt zu sparen. Deshalb wurden achtzehn von ihnen Gründerväter von Africatown, einer Ortschaft in Alabama ausdrücklich für Afrikaner, nicht schwarze Amerikaner.

Hurstons Biograph Robert E. Hemenway deckte auf, dass die Wissenschaftlerin von Kossolas Bericht geschockt war, da sie bis dato geglaubt hatte, die „Weißen“ hätten die ahnungslosen Afrikaner böswillig auf die Schiffe gelockt. Nun musste sie akzeptieren, dass „my people“ in Westafrika (hier der König von Dahomey) aus eigenem Antrieb Gräueltaten verübt und Nachbarvölker überfallen hatten, um sie aus Profitgier zu verkaufen. Als Kossola mit 110 anderen Menschen eingefangen wurde, war er 19 Jahre alt und Einfuhr von Sklaven offiziell seit 1808 vom US-Kongress verboten. Die Interviews mit dem letzten bekannten Augenzeugen und Opfer des transatlantischen Menschenhandels, das von der Kindheit in Afrika, dem Massaker in seiner Heimatstadt, den Umständen der Versklavung und der Überfahrt 1860 berichten konnte, bewegen zutiefst.

 

 

 

Zora Neale Hurston (1891-1960), ist eine der wichtigsten afroamerikanischen Autorinnen des vergangenen Jahrhunderts. Zu ihren bekanntesten Werken zählt der Roman “Their Eyes Were Watching God” (“Vor ihren Augen sahen sie Gott”), der 1937 erschien und 2005 von “Time Magazine” unter die 100 besten englischsprachigen Romane nach dem Ersten Weltkrieg gewählt wurde.

Verlagsgruppe Random House GmbH
Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring
Originaltitel: Barracoon. The Story of the Last “Black Cargo”
Originalverlag: Amistad / HarperCollins
Hardcover, Pappband, 224 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, 2 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-328-60130-2
Erschienen am  24. Februar 2020
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