Wurst im Tempel (2.Teil)
Der große Bundesliga-Bratwurst-Test bei rantlos
Von Michael Stallkamp

Borussia Dortmund bezeichnet sein Spielfeld als Fußballtempel. Und der Stadionsprecher, ein verdienter ehemaliger Spieler, begrüßt die Zuschauer mit „Willkommen im schönsten Stadion Deutschlands“. So etwas weckt Erwartungen. Kann, zum Beispiel, die hier angebotene Bratwurst diesen Ansprüchen genügen?
An einigen Verkaufsständen wird mein Bargeld akzeptiert, und der umständliche Erwerb und das Aufladen einer Prepaid-Karte (hier Stadiondeckel genannt) entfällt. Für 2,80 Euro bekomme ich nach kurzer Wartezeit eine dicke, kurze, helle Bratwurst. Sie ist saftig und weich im Biss. Die Würzung ist sehr zurückhaltend, das Verweilen auf dem Grill hat kaum Röstaromen erzeugt, Fett scheint ein Hauptgeschmacksträger zu sein. Die Ganze wird in einem weißen, weichen Brötchen serviert. Insgesamt ein charakterloses Ensemble. Auch mit viel Senf oder Ketchup garniert, kann es kaum neben dem ausgeschenkten, würzigen Stadionbier bestehen. Welch ein Abstieg im Vergleich mit der Wurst in der Münchener Arena, meiner ersten Teststation. Dort wurde mir eine mitteldicke, sehr lange, hell genannte, aber doch etwas rötliche Bratwurst mit kräftiger Würzung nach Nürnberger Art geboten. Im Biss fest und dennoch saftig, mit vielen Röstaromen ausgestattet. Sie wird mir zügig in einer ebenfalls überlangen, knusprigen Semmel gereicht, die an ein kleines Baguette erinnert. Insgesamt, mit oder ohne Stadionbier, eine überaus überzeugende charaktervolle Zusammenstellung. Der Preis von 4,20 Euro erscheint mir durch die überdurchschnittliche Größe und Qualität angemessen.
Kann es wirklich sein, dass die Unterschiede so groß sind, oder haben äußere Einflüsse meine Empfindungen beeinflusst und meine Testergebnisse maßgeblich verfälscht? Viele kennen das Phänomen, dass der bevorzugte Urlaubswein, mit großen Erwartungen nach Hause mitgenommen, den lustvollen Erinnerungen in keiner Weise entspricht. Ich überprüfe meine Testergebnisse. Als von klein auf bekennender Fan des VfL Osnabrück (spielt in der dritten Bundesliga) schließe ich eine besondere emotionale Nähe zu den Spitzenvereinen aus München und Dortmund aus.
Die elegante Architektur der Münchener Arena mit ihrer spektakulären Außenhülle sowie meine intensiven Erlebnisse im französischen Fanblock (siehe Artikel „Im falschen Block“) haben mich – keine Frage – in eine besonders positive Stimmung versetzt. Doch auch der selbsternannte Dortmunder Fußballtempel hat mich auf seine Art äußerst beeindruckt. Er ist ein gigantisches Viereck aus Beton, Stahl und Stahlblech. Ein zwar in die Jahre gekommener Zweckbau, bei dem auch erneuerte Anstriche und sanierte Toiletten nicht verwischen können, dass hier kein Anspruch auf gestalterische Finesse erhoben wird. Aber er ist deutlich spürbar ein Tempel, die Kultstätte der schwarz gelben Glaubensgemeinschaft, die an „wahrer Liebe zum Verein“ und an „Fußballmaloche“ hängt. Spieler, die nicht mit größter Laufbereitschaft und vollstem Körpereinsatz zur Sache gehen, haben keine Chance auf Anerkennung. Fast immer 81.000 Zuschauer, davon allein 25.000 auf der berühmten Südtribüne, der größten Stehplatztribüne Europas, zelebrieren beeindruckende Choreographien. Die gemeinsam gesungene Hymne „You´ll never walk alone“ erzeugt Gänsehaut. Dazu passt, dass weit vor dem Anpfiff des Spiels, das bereits halb gefüllte Stadion einem treuen weiblichen Fan zum fünfundsiebzigsten Geburtstag ein Ständchen singt. Das Geburtstagskind reagiert mit hemmungslosem Weinen, und diese Tränen der Rührung sind auf den riesigen Videowänden für alle gut mitzuerleben. Das schafft eine sentimentale und solidarische Stimmung.
War es ein Fehler, die Dortmunder Stadionwurst schon weit vor Spielbeginn, vor diesen Erlebnissen zu testen? Das zähe Bundesligaspiel zwischen Dortmund und Frankfurt endet 3:1. Meine nach dem Schlusspfiff gegessene Wurst führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei höchst unterschiedlicher Umgebung, aber vergleichbarer Erlebnisdichte und unabhängig von der Fußballqualität auf dem Platz, es bleibt dabei – München bisher auf Platz 1 in der Bratwurstliga, ganz weit vor Dortmund.