Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker hatte während seiner politischen Laufbahn viele Posten inne: Im Bund war er Innen- sowie Finanzminister, für seine Partei Vorsitzender und Fraktionschef.

Bonn, 01.02.1989 Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Bundeskanzler Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, Chef des Bundeskanzleramtes im Bundeskabinett ©seppspiegl

Der ehemalige Bundestagspräsident und CDU-Chef Wolfgang Schäuble ist im Alter von 81 Jahren gestorben. Er sei im Kreise seiner Familie zu Hause am Dienstagabend friedlich eingeschlafen, teilte die Familie des Politikers mit. Wolfgang Schäuble war eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Politik, dessen Leben von bedeutenden Erfolgen, aber auch von einem einschneidenden Attentat und einer anschließenden Überwindung großer persönlicher Herausforderungen geprägt ist.

Frühes Leben und politischer Aufstieg

Wolfgang Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg im Breisgau geboren. Seine politische Karriere begann er früh, als er 1969 der CDU beitrat. Schnell machte er sich einen Namen als intelligenter und zielstrebiger Politiker. Von 1984 bis 1991 war er Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes unter Helmut Kohl. In dieser Zeit spielte Wolfgang Schäubles eine entscheidende Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands und trug dazu bei, die historische Teilung des Landes zu überwinden. Als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes unter Helmut Kohl spielte Schäuble eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen und Entwicklungen, die zur deutschen Wiedervereinigung führten.

Unterstützung der Zehn-Punkte-Agenda

Die “Zehn-Punkte-Agenda” von Bundeskanzler Helmut Kohl im November 1989 legte den Grundstein für die Wiedervereinigung. Schäuble unterstützte aktiv diese Agenda, die Schritte zur Einführung der Deutschen Mark in der DDR, zur Vorbereitung von freien Wahlen und zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialsystems umfasste.

Verhandlungen mit internationalen Partnern

Wolfgang Schäuble ©seppspiegl

Schäuble spielte eine bedeutende Rolle bei den Verhandlungen mit internationalen Partnern, insbesondere den Alliierten und der Sowjetunion. Die Zustimmung der Alliierten, vor allem der USA und der UdSSR, war entscheidend für den erfolgreichen Verlauf der Wiedervereinigung. Schäuble setzte sein diplomatisches Geschick ein, um sicherzustellen, dass die Interessen der beteiligten Länder berücksichtigt wurden.

Sicherung der NATO-Mitgliedschaft

Ein wichtiger Aspekt der Verhandlungen war die Sicherung der NATO-Mitgliedschaft für das wiedervereinigte Deutschland. Schäuble arbeitete intensiv daran, die Bedenken der Alliierten zu adressieren und eine Einigung zu erzielen, die die Sicherheit in Europa gewährleistete. Diese Bemühungen trugen dazu bei, dass auch das bedeutend größer gewordene (und auch von manchem westlichen Partner als bedrohlich empfundene) Deutschland weiterhin fest in der NATO integriert blieb, was für die Stabilität in Europa extrem wichtig war.

Schäubles politische Weitsicht und sein Geschick in den Verhandlungen trugen dazu bei, dass die Wiedervereinigung Deutschlands friedlich und erfolgreich verlief. Seine Bemühungen trugen nicht nur zur Überwindung der Teilung Deutschlands bei, sondern hatten auch weitreichende Auswirkungen auf die geopolitische Situation in Europa. Insgesamt war Wolfgang Schäuble eine Schlüsselfigur bei der Wiedervereinigung Deutschlands, und sein Beitrag zu diesem historischen Ereignis wird als ein bedeutendes Kapitel in der deutschen Geschichte betrachtet.

Das Attentat 1990

Karlsbad, 22.11.1990. Bundesinnenminister Schäuble im Reha-Zentrum-Langensteinbach ©seppspiegl

Das Attentat auf Wolfgang Schäuble am 12. Okrober 1990 war ein tragisches Ereignis, das das politische Leben des damaligen Bundesinnenministers dramatisch veränderte. Der Vorfall ereignete sich während eines Wahlkampfauftritts in Oppenau, einem kleinen Ort im Schwarzwald. Dieter Kaufmann, der Attentäter, war ein psychisch labiler Mann, der offenbar unter Wahnvorstellungen litt. Während Schäuble vor einer Menschenmenge sprach, näherte sich Kaufmann und feuerte drei Schüsse auf den Politiker ab. Zwei der Geschosse trafen Schäuble in den Rücken, verursachten schwere Verletzungen und führten zu einer Querschnittslähmung. Die Ärzte konnten sein Leben retten, aber die bleibenden körperlichen Einschränkungen zwangen Schäuble zu einer langwierigen Rehabilitation.

Das Attentat hatte nicht nur persönliche Konsequenzen für Schäuble, sondern es erschütterte auch die deutsche Öffentlichkeit. Die Sicherheitsmaßnahmen für Politiker wurden verstärkt, und es gab eine breite Diskussion über den Schutz von Amtsträgern vor möglichen Angriffen. Dieter Kaufmann wurde für schuldunfähig erklärt und aufgrund seiner psychischen Probleme in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Das Gerichtsurteil löste in der Öffentlichkeit Debatten über die Verantwortlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen für ihre Taten aus. Wolfgang Schäuble zeigte nach dem Attentat erstaunliche Willenskraft und Entschlossenheit. Trotz seiner körperlichen Einschränkungen kehrte er in die Politik zurück und setzte seine Karriere fort, was seinen persönlichen Triumph über die tragischen Umstände seines Attentats unterstreicht. Nach dem Attentat im Jahr 1990 und seiner Genesung begann Wolfgang Schäuble eine bemerkenswerte Phase seines politischen Werdegangs. Hier sind einige Stationen seines politischen Werdegangs nach dem Attentat:

Rückkehr ins politische Leben:

Bonn, 05.07.1989. Sitzung des Bundeskabinetts Foto: Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister ©seppspiegl

Bereits im Jahr 1991, nur wenige Monate nach dem Attentat, kehrte Wolfgang Schäuble in die Politik zurück. Helmut Kohl berief ihn als Bundesminister des Innern in sein Kabinett. Diese Rückkehr war nicht nur ein Zeichen von Schäubles persönlichem Durchhaltevermögen, sondern auch ein Vertrauensbeweis seitens der Regierung und der Öffentlichkeit. In dieser Funktion setzte sich Schäuble für verschiedene politische Belange ein. Er spielte eine Rolle in der Entwicklung der deutschen Innenpolitik und trug zur Modernisierung und Weiterentwicklung der Sicherheitsstrukturen bei.

Übernahme des Finanzministeriums

Von 1998 bis 2000 war Schäuble als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aktiv. 2005 übernahm er das Amt des Bundesministers der Finanzen im Kabinett von Angela Merkel. In dieser Position trug er dazu bei, die deutschen Finanzen in Zeiten der weltweiten Finanzkrise zu stabilisieren. Seine wirtschaftliche Expertise und seine Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen klare Entscheidungen zu treffen, machten ihn zu einem respektierten Finanzminister.  Wolfgang Schäuble entwickelte sich zu einem der einflussreichsten deutschen Politiker auf europäischer Ebene. Sein Engagement für die europäische Integration und seine Rolle in der Eurozone-Krise ab 2009 trugen dazu bei, die Stabilität der EU zu fördern. Schäuble setzte sich für eine stärkere wirtschaftliche Koordination und Integration neuer Mitgliedstaaten ein.

Berlin, 19.04.1999 Wolfgang Schäuble, CDU-Fraktionsvorsitzender, bei seiner Rede in der 1.Sitzung des Bundestages in Berlin. ©seppspiegl

Erfahrung und Kontinuität:

Schäuble brachte eine umfangreiche politische Erfahrung mit in seine Rolle als Bundestagspräsident. Diese Erfahrung, gepaart mit seiner ruhigen und bedachten Art, verlieh seinem Amt Kontinuität und Stabilität. Seine  Zeit als Bundestagspräsident markiert einen weiteren wichtigen Abschnitt in seiner langen und beeindruckenden politischen Karriere. Wolfgang Schäuble hatte seit Oktober 2017 das Amt des Präsidenten des Deutschen Bundestags inne. In dieser herausragenden Position repräsentierte er das höchste Amt im deutschen Parlament und spielte eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der parlamentarischen Abläufe, der Einhaltung demokratischer Prinzipien und der Vertretung der Rechte der Abgeordneten. Dies umfasst die Leitung der Plenarsitzungen, die Sicherstellung der Einhaltung der Geschäftsordnung des Bundestags und die Aufrechterhaltung einer respektvollen und konstruktiven Atmosphäre im Parlament. Schäuble repräsentierte den Deutschen Bundestag nach außen, sowohl national als auch international. Sein Amt verleiht ihm eine besondere Rolle bei offiziellen Anlässen und Veranstaltungen. In Zeiten politischer Spannungen oder Konflikte kann der Bundestagspräsident eine Vermittlerrolle übernehmen. Durch seine Autorität und Erfahrung versucht Schäuble, zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten beizutragen und den politischen Dialog zu fördern.

Wolfgang Schäuble ©seppspiegl

 

Schäubles Leben im Rollstuhl machte ihn zu einem Vorbild für Menschen mit Behinderungen. Er setzte sich aktiv für die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen ein und trug dazu bei, Barrieren in der Gesellschaft abzubauen. Seine persönliche Geschichte bleibt eine Inspirationsquelle für viele, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Das Leben von Wolfgang Schäuble im Rollstuhl ist nicht nur ein persönliches Überwindungsbeispiel, sondern auch eine Demonstration seiner Hingabe an die politische Verantwortung und seinen Einsatz für eine inklusive Gesellschaft. Seine Geschichte illustriert, wie individuelle Stärke und Entschlossenheit dazu beitragen können, Verhaltensgrenzen zu überwinden und eine positive Veränderung zu bewirken. Sein Einsatz für die europäische Integration und seine Überzeugung, dass Deutschland eine aktive Rolle in internationalen Angelegenheiten spielen sollte, spiegeln sich in seinem Engagement als Bundestagspräsident seit 2017 wider. Schäuble hat bewiesen, dass seine politische Leidenschaft und sein Dienst am Gemeinwohl durch nichts gebrochen werden können.

Intrigen, Kampf und Überzeugungen

Politiker – schon gar “Berufspolitiker” – genießen in Deutschland gemeinhin keinen sonderlich guten Ruf. Inkompetenz, Faulheit, Raffgier, Machthunger, Realitätsferne – die Liste der negativen Stereotypen in Richtung derer “da oben” könnte mühelos noch beträchtlich verlängert werden. Dass die übergroße Zahl der Kritiker dabei geflissentlich außer Acht lässt, dass die Parlamente doch im Grunde die Gesellschaft widerspiegeln sollen – wen kümmert das schon beim Dampfablassen. Natürlich gibt es auch im Bundestag höchst fragwürdige Abgeordnete. Aber es gibt genauso Persönlichkeiten von herausragender Bedeutung. Exakt eine solche Persönlichkeit war Wolfgang Schäuble. Mit allen Vorzügen, aber auch mancherlei unnötigen Kanten. Mit feinfühliger Mitmenschlichkeit, aber auch brutaler Härte, wenn es darum ging, Dinge umzusetzen, von deren Notwendigkeit für Staat und Gesellschaft er (nach zumeist langen, gründlichen Überlegungen) überzeugt war. Dabei schonte Schäuble auch die eigene, christdemokratische Partei und die Unions-Mitglieder nicht. Als Beispiel dafür mag die Rolle des damals noch jungen, weithin unbekannten Abgeordneten während des so genannten Barzel-Untersuchungsausschusses gelten. Die schärfsten Fragen an den und die härtesten Attacken gegen den seinerzeit prominenten CDU-Politiker stellte und ritt der juristisch gut geschulte Schäuble. Mit dreifachem Erfolg – Barzel musste gehen, die CDU/CSU war eine “politische Last” los, und der ebenso hartnäckige wie ehrgeizige Schäuble hatte seinen Namen auf der Liste parlamentarischer Hoffnungsträger auf der damals noch in Bonn agierenden politischen Bühne.

Der Pfälzer Helmut Kohl und der Badener Wolfgang Schäuble galten in der Bonner Szene nicht nur als eine Art Traumpaar, sie waren es tatsächlich über lange Jahre auch. In Schäuble hatte der Kanzler einen nicht nur fleißigen und intelligenten, sondern vor allem absolut treuen Knappen. Und es war allen Beobachtern klar, dass aus dem Knappen eines Tages der Kronprinz erwachsen und (Wählerwille vorausgesetzt) auch der nächste Regierungschef kommen werde. So legte es der “Riese aus der Pfalz” tatsächlich auch in der zweiten Hälfte der 90-er Jahre auf dem Leipziger Parteitag, begleitet von der Zustimmung der Delegierten fest. Aber dann traute der früher immer so instinktsichere Kohl seinem bisherigen Favoriten plötzlich nicht mehr zu, die Bundestagswahl 1998 für CDU und CSU zu gewinnen und trat stattdessen selbst noch einmal an. Das Ergebnis ist bekannt: die Union verlor, die Ära Kohl war nach 16 Jahren beendet, das bis dahin enge Freundschaftsverhältnis zwischen den beiden Männern hatte einen ersten Knacks bekommen. Aber immerhin – Schäuble erhielt den einflussreichen Posten des Fraktionsvorsitzenden und konnte den Kurs der Unionsparteien ganz entscheidend beeinflussen. Als sich Helmut Kohl während der so genannten Parteispenden-Affäre schließlich weigerte, die Namen der Personen zu nennen, die ihm (nicht zur persönlichen Bereicherung) anonym für die Partei Geld zugesteckt hatten, kündigte Schäuble seinem einstigen großen Vorbild vollends die Freundschaft. Die Verbitterung saß so tief, dass Wolfgang Schäuble nicht einmal mehr an der Beerdigung Helmut Kohls teilnahm. Nicht wenige Zeitzeugen meinten in diesem Verhalten auch so etwas wie pietistische Selbstgerechtigkeit des Badeners zu erkennen.

Kein Zweifel, das wirklich große Lebensziel dieses Politikers aus Leidenschaft war die Kanzlerschaft, war ein Regierenwollen im Sinne des Grundgesetzes zum Wohle  der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger. Nach ethischen, dem modernen Christentum verpflichteten Grundsätzen, aber trotzdem konservativen Werten wie Grundsatztreue, Zuverlässigkeit, Solidarität, Eigenverantwortung und -verantwortlichkeit. Doch mit dem kalendarischen Übergang ins 21. Jahrhundert, vielleicht auch mit dem (von ihm selbst mit Inbrunst betriebenen) politischen Wechsel von Bonn nach Berlin und neuen Politiker-Generationen war offensichtlich auch die hohe “Zeit” Wolfgang Schäubles überschritten. Einen wirklichen Machtkampf mit Angela Merkel ließ er ebenso aus wie ein Wettrennen um den Thron des Bundespräsidenten. Stattdessen ließ er (ganz offensichtlich mit Vergnügen) sein zorniges Auge und seinen mahnenden Zeigefinger noch ein paar Jahre als Parlamentspräsident walten. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, als Bundestagssenior den “Neuen dort unten” zumeist kluge Ratschläge zu erteilen. Mit Wolfgang Schäubles Tod ist ohne Zweifel die Zahl von Deutschlands wirklich bedeutenden Köpfen noch einmal kleiner und überschaubarer geworden.

Mit Zuarbeit von Gisbert Kuhn

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