Wohin führt die neue Seidenstraße?

China läuft Gefahr, die Fehler westlicher Entwicklungspolitik zu wiederholen.

Karawane in der Taklamakan-Wüste. Die neue Seidenstraßen-Initiative sieht dagegen vor allem den Ausbau von Tiefseehäfen, Eisenbahntrassen, Straßen und Pipelines vor.

In der Diskussion um die Rückkehr der Geopolitik wird dem eurasischen Kontinent eine maßgebliche Rolle zugeschrieben. Die Vormachtstellung der USA in der Welt hänge davon ab, ob es den USA gelinge, sich in Eurasien zu behaupten. So der Befund des Strategen der alten Schule, Zbigniew Brzeziński, ehemaliger Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Charter. In seinem vielbeachteten Buch „The Grand Chessboard“ von 1997 schrieb er: „Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird.“ China stufte Brzeziński in der Analyse vor 20 Jahren noch als Regionalmacht ein.

Heute im Jahre 2017 ist der asiatische Kontinent durch eine Vielzahl von Konflikten unterschiedlicher Intensität geprägt, doch hat sich die Volksrepublik China zur globalen Großmacht mit Ambitionen gemausert. Auf zwischenstaatlicher Ebene wird das Konfliktgeschehen daher vor allem vom Wettbewerb zwischen den USA und einem an Macht und Einfluss gewinnenden China dominiert. Die Frage der strategischen Hegemonie in Asien ist dabei von maßgeblicher Bedeutung. So ist es wohl kein Zufall, dass Staatspräsident Xi Jinping auf einer Zentralasien-Reise im September 2013 bei seiner Rede an der Nasarbajew-Universität in Astana unter dem Stichwort „Seidenstraßen“-Initiative („One Belt, One Road“) eine neue diplomatische Offensive Chinas in Asien ankündigte.

Es handelt sich um nichts Geringeres als die größte Initiative der Volksrepublik in der internationalen Arena seit ihrer Gründung 1949. Im Rahmen dieser Großinitiative möchte das Land in den kommenden Jahrzehnten neben einer „maritimen Seidenstraße“ auch einen Wirtschaftsgürtel entlang der „ländlichen Seidenstraße“ Richtung Westen aufbauen. Der sogenannte „Silk Road Economic Belt“ reicht von Zentral- über Westasien bis in den Kaukasus und die Schwarzmeerregion. Er soll die Wirtschaftsräume Chinas und der EU verbinden und könnte perspektivisch auch die europäisch-asiatischen Wirtschaftsbeziehungen neu definieren.

Im Mittelpunkt der Debatte um die Seidenstraßen-Initiative stehen bisher wirtschafts- und handelspolitische Fragen. Peking hat für die Umsetzung der Initiative eigene Finanzierungskanäle geschaffen, wie etwa die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank und den sogenannten Seidenstraßenfonds. China sieht sich als Hauptgeldgeber und Architekt für ein Netz von Pipelines, Eisenbahntrassen und Straßen. Der Ausbau von Tiefseehäfen, insbesondere im Indischen Ozean, hat begonnen. Konnektivität ist das Leitthema, auch für eine Arbeitsgruppe zwischen der EU und China. Die im Rahmen der Initiative von China geplanten Investitionen und Infrastrukturprojekte haben jedoch unweigerlich Auswirkungen auf das machtpolitische Gleichgewicht in einzelnen Ländern und Subregionen sowie auf die zahlreichen inner- und zwischenstaatlichen Konflikte entlang der anvisierten Seidenstraße. Auch die Fragen, was eine Umsetzung der Initiative für die ordnungspolitischen Strukturen Asiens bedeutet und welches Kooperationspotenzial jenseits der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit mit der Initiative einhergeht, sollten von der europäischen Politik stärker in den Blick genommen werden.

Mit viel Aufwand ist China bemüht, die Seidenstraßen-Initiative als Investitionsprogramm darzustellen, das vor allem der Erschließung neuer Verkehrswege und der wirtschaftlichen Entwicklung Zentral- und Südasiens dient. Chinesische Politiker betonen die Offenheit der Initiative und heben hervor, dass prinzipiell alle Staaten eingeladen sind, von dem chinesischen Infrastruktur- und Investitionsprogramm zu profitieren. Tatsächlich will China seinen Einfluss auf dem eurasischen Kontinent massiv ausbauen und sich dabei selbstverständlich auch neue Handlungs- und Gestaltungsspielräume in Süd- und Zentralasien schaffen. Letztlich wird China langfristig auch die Beziehungen gegenüber Russland und den EU-Staaten neu ordnen wollen. Vor allem wird es aber China auch darum gehen, die amerikanische Gestaltungsmacht einzudämmen.

China betrachtet den eigenen Weg der autoritären Modernisierung als Entwicklungsmodell.

Wenn sich die Volksrepublik ihrer Rolle als ordnende Großmacht bewusst wird und ihre wirtschaftliche Stärke konstruktiv in Asien nutzt, liegt darin für die internationale Gemeinschaft eine Chance. Schließlich birgt die Seidenstraßen-Initiative viel entwicklungspolitisches Potenzial. China investiert in Zentralasien und Pakistan, also dort, wo andere Investoren rar sind. China ist zu Recht stolz auf den eigenen Entwicklungs- und Transformationserfolg der Reform- und Öffnungspolitik. Dieser Erfolg speiste sich aus einem gigantischen Urbanisierungsschub mit einem jeden Chinabesucher in seinen Bann schlagenden Aufbau der chinesischen Infrastruktur und vor allem aus der Mobilisierung von mehreren hundert Millionen Arbeitskräften für Bau und Produktion. Letztlich wurde die Wirtschaftskraft der chinesischen Gesellschaft freigesetzt. Nun leitet China aus diesen Errungenschaften offensichtlich Entwicklungskompetenz für andere Länder ab und betrachtet den eigenen Weg der autoritären Modernisierung als Entwicklungsmodell.

Die Seidenstraßen-Initiative ist Ausdruck dieses Bewusstseins. Die Initiative wirft aber auch viele Fragen auf. Ist China den Ansprüchen der eigenen Initiative gewachsen? Verfügt es über kompetente Institutionen, um die geplanten Investitions- und Entwicklungsprogramme durchzuführen? Wie wird das Land mit möglichen Widerständen umgehen? Sind die Zielländer tatsächlich Partnerländer oder eher geopolitische Verfügungsmasse einer aufstrebenden und ehrgeizigen Großmacht? Was für eine Entwicklung strebt China in den Zielländern an? Wie wird China in Zukunft die eigenen Investitionen und Interessen sichern?

Jenseits der Rhetorik von Entwicklung und Partnerschaft verfolgt China selbstverständlich nationale Interessen. China will mit den Investitionen eigene Überkapazitäten aus der chinesischen Produktion, etwa im Stahlsektor abbauen und neue Absatzmärkte erschließen. China ist dabei, kürzere und sichere Handelswege für den Warenverkehr mit Südasien, Zentralasien, Russland und Europa zu erschließen, daher wird massiv in den Ausbau der Transportnetze nach Pakistan und Richtung Westen, also über Zentralasien nach Europa investiert. Damit soll eine Alternative zur maritimen Route durch Südostasien und die Straße von Malakka geschaffen werden. Diese Route nimmt mehr Zeit in Anspruch und macht China auch angreifbar, da sie im Konfliktfall geschlossen werden kann. Mit den ausgebauten Handelswegen, die eben gerade auch ein Pipeline-Netzwerk umfassen, wird China auch seine Energiesicherheit erhöhen und die eigene Rohstoffversorgung verbessern können.

Am Ende soll durch die Seidenstraßen-Initiative auch der Westen Chinas entwickelt werden. Die westlichen Provinzen der Volksrepublik haben nicht wie die Küstenprovinzen im Osten von der Transformation der vergangenen 40 Jahre profitiert und sind außerdem in viele Konflikte verstrickt. China strebt mit der Seidenstraßen-Initiative eine Stabilisierung einer volatilen Region an, und zwar über die eigenen Grenzen hinaus. China hofft auch, durch Entwicklung und Stützung autoritärer Regime, Islamismus und Terrorismus zu bekämpfen. Daher setzt China bei der Entwicklung in Zentralasien auf die vorhandenen Herrschaftseliten und auf Regimesicherheit. Insofern ist fraglich, ob mit diesen Strukturen eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung gelingen kann.

China läuft Gefahr, die Fehler der Vergangenheit, besser gesagt: die Fehler westlicher Entwicklungspolitik, zu wiederholen.

Aus europäischer Perspektive ergibt sich das Problem, dass China überhaupt kein Interesse an gesellschaftspolitischer Entwicklung, Entstehung demokratischer Strukturen und guter Regierungsführung in den Zielländern der Seidenstraßen-Initiative hat. Insofern untergräbt die chinesische Politik europäische Entwicklungsansätze. Gleichzeitig fehlt es den chinesischen Investitionsprogrammen an Transparenz und verbindlichen Standards. China läuft Gefahr, die Fehler der Vergangenheit, besser gesagt: die Fehler westlicher Entwicklungspolitik, zu wiederholen. Der Fokus der chinesischen Bemühungen liegt zu stark auf materieller und zu wenig auf sozialer Infrastruktur. Es gibt bisher relativ wenig Sensibilität, wie sich Infrastrukturprojekte vor Ort in den Zielländern auswirken. Ein vorläufiges Ergebnis der chinesischen Initiative ist sicherlich die Stärkung autoritärer Herrschaft und die Verfestigung einer wenig nachhaltigen Wirtschaftsstruktur.

Offensichtlich ist China durch die Seidenstraßen-Initiative bemüht, zwei bilaterale Partnerschaften zu stärken, zum einen mit Russland und zum anderen mit Pakistan. Dementsprechend wird die Initiative von den Regierungen beider Länder befürwortet und unterstützt. Russland ist sogar bereit, eine sicherheitspolitische Rolle Chinas in Zentralasien zu akzeptieren. Auch in Pakistan und damit in Südasien wird China seine sicherheitspolitische Präsenz ausbauen. Die Vermutung liegt nahe, dass China dabei auch die USA und Indien als potenzielle Gegner im Blick hat.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten verfolgen keine geopolitischen Interessen in Süd- oder Zentralasien. Das ist eine Chance, um eine stärker stabilisierende und fördernde Rolle in der Region zu übernehmen. Ein größerer strategischer Fokus der EU auf Süd- und Zentralasien ist notwendig. Für die europäische Politik wird es wichtig sein, die friedens- und sicherheitspolitischen Auswirkungen der chinesischen Initiative und des daraus resultierenden Kooperationspotenzials für Asien und Europa zu identifizieren. Deutsche und europäische Akteure müssen Chancen und Risiken der chinesischen Initiative sorgfältig analysieren, damit ein europäischer Handlungsrahmen entwickelt werden kann.

Es muss darum gehen, die Verantwortlichkeit Chinas in internationalen Fragen aufzugreifen und mit den chinesischen Partnern Konzepte für eine solche Rolle Chinas in der Sicherheits-, Handels- und Nachbarschaftspolitik zu entwerfen und dabei europäische Erfahrungen erkennbar in die Konzeptformulierung einfließen zu lassen. Es gilt dabei zu zeigen, dass zu einer verantwortungsvollen Sicherheits- und Nachbarschaftspolitik auch eine enge Abstimmung mit den Partnern der Region notwendig ist und Alleingänge kontraproduktiv sind. Dieser Aspekt gewinnt gerade vor der sich neu herausbildenden chinesischen Außen- und Sicherheitspolitik an Bedeutung.

Knut Dethlefsen ist Referent für Ostasien der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Zuvor leitete er die Büros der FES in Warschau, Ost-Jerusalem und Shanghai.

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